Endlich wird der mobile Computer fertig gebaut

Seit geraumen Zeiten warten wir auf das mobile Büro, doch weder Notebooks noch Smartphones haben das Ideal vom «Always On» befriedigend einlösen können. 2008 könnte endlich das Jahr der Wende werden, was nicht heisst, dass alle glücklich darüber wären.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/10

     

Es ist eine langwierige und oftmals auch mühsame Evolution: Am Anfang stand der Traum vom mobilen Büro, der Wunsch, immer und überall auf Geschäftsdaten, Internet und dergleichen zugreifen zu können. Noch immer hat die Industrie diese Träume nur unbefriedigend in die Realität umsetzen können: Zu hohes Gewicht, zu hohe Platzanforderungen, geringe Akkulaufzeiten, zu schwache Leistung oder unergonomische Umsetzung machen dem digitalen Nomaden das Leben schwer, lassen ihn im Dreijahresrhythmus die neuste Gerätegeneration kaufen und weiterhoffen.


Weil Notebooks zu schwer und zu gross, Smartphones aufgrund ihrer tiefen Leistung keine ernsthaften Arbeitsinstrumente sind und dazu beide Geräteklassen noch teuer sind, sieht man solche Geräte zwar oft, aber sie sind doch noch weit vom Status des stetigen Begleiters entfernt. Oft dienen sie vielmehr als Statussymbol und Spielzeug, beispielsweise beim beispiellos gehypten iPhone, von dem x-tausend in der Schweiz im Umlauf sind, ohne dass man sie bisher offiziell von einem Provider hätte beziehen können.

Neue Chips bringen ganz neue Geräte

Der Markt mit kleineren, mobilen Geräten wächst noch immer, mittlerweile werden mehr Notebooks als Desktops-PCs verkauft. Lange dominierten Chip-Anbieter wie ARM oder Samsung dieses Segment, doch jetzt will auch Intel mit der «Atom» betitelten Plattform auf den Zug aufspringen. Schon vor einem Jahr stilisierte Intel-Präsident Paul Ottelini diese Entwicklung zur technischen Revolution hoch: «Der neue Chip hat für uns eine Bedeutung, die nur mit dem 8088-Prozessor oder dem Pentium vergleichbar ist», sagte er im Juni 2007. Was sich dazumals lediglich wie eine weitere Marketingphrase anhörte, nimmt heute konkrete Formen an. So wird zum Beispiel die nächste Generation des erfolgreichen Asus-Billig-Netbooks EeePC mit Atom ausgerüstet. Dazu passt auch die Aussage, die von Intel-Managern allenthalben zu hören ist: «Das Internet ist für den PC gemacht.» Aus Herstellerkreisen hört man vermehrt, dass Intel mit der Atom-Plattform und ihrer Kompatibilität für x86-Code Server, Notebook und Handy mühelos zusammenarbeiten lassen wird. Denn Web-2.0-Funktionalitäten müssten durch die neue Architektur nicht mehr mühselig portiert, sondern höchstens geringfügig angepasst werden. Intel will damit gar eine neue Art von Geräten schaffen, so genannte «Mobile Internet Devices» (MID), die primär für die Internetnutzung und Unterhaltung eingesetzt werden sollen. Eine grosse Anzahl von Designstudien, Konzeptgeräten und Prototypen besteht bereits.


Bezüglich Leistung soll die Atom-CPU in etwa an den vier Jahre alten Pentium-M herankommen. Allerdings unterstützt Atom den aktuellen Core-2-Duo-Befehlssatz und beherrscht sowohl «Hyperthreading» als auch «Simultaneos Multi-Threading». Bei einer anfänglichen Taktfrequenz von 1,87 GHz soll die Leistungsaufnahme zwischen tiefen 0,6 und 2,5 Watt liegen, in Kombination mit Flash-Speichern oder Solid-State-Disk werden die Geräte im Vergleich zu heute verfügbaren extrem sparbar im Stromverbrauch sein. Gute Nachrichten also, was die Batterielaufzeiten betrifft. Auch bezüglich Preismodell ist Sparsamkeit die Devise: Laut Intel soll eine Atom-CPU weniger als 50 Dollar kosten, was den Preis der Endprodukte wiederum spürbar senken könnte.

Handy-Vertriebsmodelle boomen

Ein weiterer Trend, der für den Konsumenten die Kosten für mobile Geräte zumindest auf den ersten Blick senkt, sind sogenannte Embedded Notebooks. Unabhängig von der äusserlichen Gestaltung sind diese Maschinen mit mobilen Datenübertragungs-Technologien ausgestattet und werden deshalb oft - analog zu Handys - von Telekomunternehmen zu reduzierten Preisen im Abo verkauft. Nach der Einschätzung von Markus Wullschleger, Geschäftsleiter des Systemintegrators MTF, ist dies der grösste Trend im mobilen PC-Markt überhaupt, der auch grössere Auswirkungen auf die Vertriebsstrukturen haben könnte: «Embedded Notebooks werden zusammen mit vorkonfigurierten Sim-Karten oft über die Telekommunikationsunternehmen verkauft. Im Geschäft mit mobilen Computern mischen zusehends auch Provider mit» sagt er gegenüber IT Reseller. Notebooks sind bei MTF momentan eine gefragte Ware, wobei vor allem die relativ grossen Modelle mit 15-Zoll-Monitoren gut ankommen, knapp gefolgt von den noch grösseren 17-Zoll-Modellen. Zudem seien Smartphones nach wie vor ein echtes Marktbedürfnis. Hingegen verkaufe sich der EeePC vor allem gut, weil der Preis schlicht sexy sei. Wullschleger sieht zwar einen Markt für billigere und gleichzeitig leistungsfähigere sowie effizientere Produkte, im Geschäftsbereich glaubt er aber nicht an das Zusammenwachsen von Telefon und Notebook: «Erstens braucht es für den Durchbruch mobiler Kommunikations-Computer zumindest in der Schweiz noch eine grössere mobile Bandbreite. Die grösste Herausforderung besteht aber in der Ergonomie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man die Lücke zwischen Telefon und Arbeitscomputer mit einem befriedigenden Gerät füllen kann», sagt er und stellt damit die Prognose von Intel in Frage.

Hersteller fokussieren Privatkunden

Ähnlich äussert sich Martin Ottiger, Geschäftsführer der auf mobile Synchronisationslösungen spezialisierten Comdirect AG: «Tatsache ist, dass die Hersteller die Geräte nicht für Geschäftskunden fabrizieren, sondern für den Privatkunden. Leider haben die Hersteller keine Ahnung, was eigentlich bei Geschäftskunden gefragt ist. Zum Beispiel ist der kurze Lebenszyklus nicht ideal für Firmen, da die Firmen einen Standard definieren und diese Definition nicht dauern ändern können. Technische Finessen wie Bluetooth, Kamera oder Speicherslots sind häufig auch nicht gefragt, da diese meist ein Sicherheitsproblem darstellen». Im Bereich von Handys, Smartphones und PDAs seien bei den Geschäftskunden von Comdirect vor allem die Modelle von HTC, Palm Centro und der Nokia E-Serie gefragt, alle anderen Modelle seien vernachlässigbar. Was bei allen Smartphones bisher fehle, sei eine integrierte Firewall. Als Trend sieht er sowohl für den Privatkunden- als auch für den Geschäftsbereich Dial-Sim-Smartphones mit Windows Mobile 6, mit denen einerseits private und geschäftliche Anrufe getrennt und andererseits die immer noch recht teuren Roaming-Gebühren im Ausland gesenkt werden können. Falls Geschäftskunden eine ultraportable Lösung suchen, empfiehlt Ottiger den momentan kleinsten Vista-fähigen UMPC (oder Netbook, siehe Tabelle unten) von Qqo. Der kommt mit einem 1,5 GHz schnellen Via-Prozessor und kostet um die 1700 Franken.


In dieser Preiskategorie sieht Martin Walthert, Head of Marketing beim Onlineverkäufer Digitec, wenig ­Potenzial: «Mit Abstand am besten verkauft haben wir bisher den EeePC in seinen verschiedenen Versionen. Mit seinem Gadget-Faktor spricht er, soweit wir das überhaupt beurteilen können, vorwiegend Privatpersonen an. Das grösste Potential haben unserer Ansicht nach ohnehin Geräte, die deutlich unter 1000 Franken kosten und zwar auch im Business- und Ausbildungsumfeld.» Der Entwicklung mit Embedded-Produkten sieht er zudem gelassen entgegen: «Das Geschäft mit Embedded Devices hat sicher Potential. Momentan sind die Angebote aber eher für Geschäftskunden interessant, für Privatanwender dünken mich die Datenabos noch zu teuer. Marge werden wir deswegen jedenfalls nicht verlieren. Die Geräte werden für den Käufer einfach günstiger, zumindest auf den ersten Blick.»

Der Akku ist das schwächste Glied

Auch Carsten Krenz, Leiter Kommunikation im Geschäftsbereich Grosskunden bei Swisscom, sieht diese Tendenz als den grössten Trend: «Der Embedded Markt wird vor allem bei Geschäftskunden schnell wachsen, die dafür notwendige Technologie immer günstiger.» Deshalb müssen sich die Module der Hersteller der ersten Stunden wie Novatel, Sierra Wireless und Option gegenüber den Grossanbietern der Chip-Branche wie Ericsson, Qualcomm, und vielleicht auch Intel behaupten. Zur Zeit basieren knapp 10 Prozent der Notebooks auf den Embedded-Lösungen, insbesondere die Bereiche Versicherungen und Consulting investieren darin, seit diesem Jahr werden sie aber auch zunehmend von Privatkunden nachgefragt.


Dass die Provider somit den Systemintegratoren das Wasser abgraben, glaubt Krenz nicht: «Wir können nicht alle KMU selbst bedienen. Wir brauchen unsere IT-Partner, die sich darum kümmern.» Zu den geplanten technischen Intel-Innovationen und den daraus möglicherweise entstehenden neuen Gerätetypen will Krenz noch nichts sagen, da noch zu wenig Informationen vorhanden seien. ­Allerdings betont er, dass im Allgemeinen die Akkuleistung der Geräte immer wichtiger wird. Glaubt man Intel, wird sich diese tatsächlich noch dieses Jahr massiv verbessern und somit die mobile Welt beflügeln.

Die neuen Mobilen geräteklassen im Überblick|

MID: Das Mobile Internet Device ist ein mobiles Gerät für Internet-Nutzung und Unterhaltung. Die Bildschirmdiagonale soll zwischen 4,5 und 6 Zoll messen. Als Betriebssys­teme kommen bis jetzt angepasste Linux-Distributionen oder Windows XP in Frage.

Netbook: Das Netbook ist der einfacher aussprechbare Nachfolger des Ultra Mobile PC (UMPC) hat Bildschirmdiagonalen von 5 bis 10 Zoll und ermöglicht angeblich neben Linux und Windows XP dank höherer Leistung auch Vista als Betriebssys­tem. Im Geschäftsbereich soll es als Zweit- oder Drittgerät zum Einsatz kommen. Mit speziellen Modellen sollen auch Kunden im lukrativen Markt der Schwellen- und Entwicklungsländer erreicht werden.


Nettop: Der Nettop ist analog zum Netbook ein günstiger Desktop-PC. Das Referenzdesign ist unter dem Namen «Shelton 08» bekannt geworden und soll Gerätepreise von 100 Dollar ermöglichen.

Embedded-Produkte: Embedded bezeichnet Geräte, die über eine integrierte mobile Datenübertragungstechnologie verfügen. Oft werden sie - analog zu Handys - von Telekomunternehmen zu reduzierten Preisen im Abo verkauft. (Claudio De Boni)


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