Der Wind hat sich längst gedreht

In der IT-Branche tun noch die meisten so, als ob das Geschäft wie geschmiert laufen würde. Doch hört man sich genau um, so wird klar: Die Kehrtwende hat längst begonnen. Dennoch wollen viele Firmen das nicht wahrhaben und stellen Leute ein, die sie schon bald nicht mehr werden zahlen können.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/12

     

«Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen», meinte einst der deutsche Schriftsteller Hermann Hesse. Wer nach diesem Ausspruch lebt, macht sich mitunter unbeliebt. Wesentlich einfacher ist es, die Augen vor der Realität zu verschliessen und sich gegenseitig in die Tasche zu lügen. Genau das passiert momentan in der IT-Branche. Da wird gegenüber Kunden und Lieferanten so getan, als ob man sich vor Projekten wie bis anhin kaum noch retten könne. Gleichzeitig verbreitet die interne PR-Abteilung immer neue Erfolgsgeschichten im Markt, denn das Bild des erfolgsverwöhnten Unternehmens darf in der Öffentlichkeit keine Risse bekommen.

Doch der Schein trügt: Spricht man mit Entscheidungsträgern von Schweizer IT-Unternehmen, tönt es seit einigen Monaten vielerorts ganz anders. Es wird hinter vorgehaltener Hand offen zugegeben, dass die aktuelle Auftragslage alles andere als rosig ist. Da steht man unumwunden dazu, dass gerade im Finanzumfeld sicher geglaubte Projekte storniert oder gänzlich gestrichen wurden, weil das Geld auf Kundenseite auf einmal nicht mehr so locker sitzt. Da wird kolportiert, dass neue Mitarbeiter nur noch mit offi­zieller Einwilligung von höchster Stelle eingestellt werden dürfen oder sogar zurzeit ein genereller Anstellungsstopp gelte. Und da beklagen sich manche bitter über teilweise fragwürdige Methoden, die Kosten in den Griff zu bekommen. Sei es, dass Verkäufer bis auf weiteres ihre Kunden nicht mehr zum Mittagessen einladen dürfen oder dazu angehalten werden, möglichst wenige Kundentelefonate mit ihrem Handy zu tätigen. Als ich neulich beim Mittagessen mit dem Verkaufsdirektor eines IT-Konzerns sagte, dass man heute wieder doppelt so hart arbeiten müsse, um den gleichen Umsatz zu erzielen wie noch vor einem Jahr, meinte er trocken: «Was heisst hier doppelt so hart? Dreimal so hart wäre wohl die korrekte Definition!» Er brachte damit auf den Punkt, was Finanzchefs, Geschäftsleitungsmitglieder und Sales Manager mit immer grösserer Besorgnis zur Kenntnis nehmen, wenn sie ihre Umsatz-und-Prognose-Statistiken betrachten: Die Trendwende in der IT-Branche hat begonnen, doch die wenigsten wollen es jetzt wahrhaben.


Persönlich bin ich der Überzeugung, dass sich der Markt in den nächsten zwölf Monaten weiter verschlechtern wird und sich schon in absehbarer Zeit die Situation nicht mehr schönreden lässt. Was für Konsequenzen hat dies für die Rekrutierung von neuen Vertriebsmitarbeitern?

Nur einstellen, wenn genug Geld da

Es ist ein offenes Geheimnis, dass im klassischen Lösungsverkauf auch der beste Vertriebler zirka sechs bis neun Monate braucht, um die ersten grösseren Projekte abschliessen zu können. Etwas hart ausgedrückt: In dieser Zeit ist der neue Verkäufer für das Unternehmen noch kein Umsatzträger, sondern ein reiner Kostenfaktor. Bei guter Auftragslage ist das kein Problem. Verändert sich die Marktsituation aber nur ein wenig, hat dies für mittelständische Unternehmen schwerwiegende Konsequenzen, da ihnen das Geld auszugehen droht. Der Druck auf den neueingestellten Verkäufer ist von Anfang an sehr gross.


Es ist darum kein Zufall, dass Verkäufer, welche die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen, zurzeit bereits vielfach noch während der Probezeit wieder auf die Strasse gestellt werden. Möglich, dass ein solcher Schritt in einzelnen Fällen gerechtfertigt ist. Wenn ein Unternehmen allerdings zu einer solchen Massnahme greifen muss, weil man nach einigen Monaten ausbleibender Aufträge realisiert, dass man den Verkäufer nicht mehr finanzieren kann, liegt die Schuld in erster Linie bei der Geschäftsleitung selbst. Darum: Wer in der jetzigen Phase einen neuen Verkäufer rekrutiert, soll sich bewusst sein, dass er damit kurzfristig keinen Mehrumsatz erzielen wird. Was steigt, sind für eine gewisse Zeit einzig und allein die Fixkosten des Unternehmens. Wer dafür als Firma die notwendigen finanziellen Mittel nicht bereitstellen kann, sollte sich gerade als KMU jetzt davor hüten, neue Vertriebsmitarbeiter zu engagieren.

Ab Frühjahr 2009 wird’s eng

Erfahrungsgemäss haben Personalberater gegen Ende des Jahres immer sehr viel zu tun. Da Firmen per Anfang des neuen Geschäftsjahres ihre Strategie umsetzen wollen, werden neue Stellen geschaffen oder Mitarbeiter mit ungenügendem Leistungsausweis ersetzt. Möglicherweise wird dieser Trend gerade in diesem Jahr noch viel stärker zu spüren sein als in der Vergangenheit. Der Grund: Einerseits macht die Firmenleitung die aus ihrer Sicht schlechten Verkäufer für die stagnierenden oder rückläufigen Umsatzzahlen verantwortlich. Mit der Rekrutierung von neuen und Vertrieblern glauben sie, diesen Trend brechen zu können. Auch werden vermutlich gerade in diesem Jahr vermehrt neue Verkaufsstellen geschaffen, da man sich der Illusion hingibt, dass zwei Verkäufer automatisch doppelt so viel Umsatz generieren werden wie einer allein. Damit werden aber bei vielen Firmen die Lohnkosten auf Anfang 2009 explodieren. Da die Umsätze auch mit der neuen Verkaufscrew mit ziemlicher Sicherheit harzen werden, wird man spätestens zu Anfang des zweiten Quartals 2009 die Handbremse ziehen und Mitarbeiter im grösseren Stil wieder auf die Strasse stellen.


In seinem vielzitierten Aufsatz «Die langen Wellen der Konjunktur» beschrieb der Wirtschaftswissenschafter Nikolai Kondratjew bereits 1926 die Theorie, dass kürzere Konjunkturzyklen von langen Konjunkturwellen überlagert werden (siehe Grafik). Phasen des Aufschwungs, wie wir sie in der IT-Branche aber auch schweizweit in den vergangenen drei bis vier Jahren erlebt haben, sind genauso normal wie absteigende Zyklen. Entscheidend ist, vor dieser Realität nicht die Augen zu verschliessen und den Zeitpunkt nicht zu verpassen, seine Firmenstrategie auf die sich verändernde Marktsituation anzupassen. Auch, oder vor allem dann, wenn die Mehrheit sich der Illusion hingibt, dass doch noch alles in bester Ordnung sei.

Das nächste Mal

Verkäufer sollen Biss haben, sich durchsetzen können und hart im Nehmen sein. Kurz, sie sollen echte Kerle sein. Möglich, dass deshalb viele Schwule in der IT-Branche es nicht wagen, offen zu ihrer Homosexualität zu stehen. Was sind die Konsequenzen für die Betroffenen - und was gibt es für Alternativen?

Der Autor

Markus Schefer (40) ist selbständiger Personalberater. ­Daneben ist der ausgebildete Primarlehrer Dozent für das Fach «Verkauf» an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel. Er verfügt über langjährige Vertriebserfahrung im In- und Ausland, unter anderem bei IBM und Reuters.
www.scheferpersonal.ch
markus@scheferpersonal.ch


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