Change Management: Menschen & Kultur
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Change Management: Menschen & Kultur

Der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier, was sich im Unternehmen spätestens dann bemerkbar macht, wenn Veränderungen anstehen. Doch Veränderungen respektive der Wille dazu lassen sich managen. Wie man dabei vorgehen kann, erklärt Albert Schnyder, Dozent und Projektleiter an der Hochschule für Wirtschaft Luzern und Experte für das Thema Change Management.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2020/10

     

Wenn in einem Unternehmen neue Tools, Prozesse und Strategien implementiert werden, ist die Arbeit mit der technologischen oder administrativen Integration noch lange nicht getan. Entsprechende Prozesse wollen entwickelt, Mitarbeiter geschult und dauerhaftes neues Nutzerverhalten etabliert werden. Der vorliegende Fokus von «Swiss IT Reseller» widmet sich der Disziplin, die genau diese Herausforderungen angeht: dem Change Management.Reseller sind heute mehr denn je gefordert, Change Management im Zuge eines IT-Projektes mitzuliefern. Manche tun das bisher kaum, andere kaufen die Beraterleistungen hinzu und wieder andere haben bereits eigenständige Teams, die das Change Management bei ihren Kunden und Projekten begleiten. Im ersten Teil des Fokus beantwortet Albert Schnyder, Dozent für Change Management an der Hochschule für Wirtschaft in Luzern, die brennendsten Fragen rund um Change Management. Im Anschluss diskutieren drei Change-erfahrene Schweizer Reseller gemeinsam mit Microsoft die Strategien, Herausforderungen und Chancen, die mit dem Schritt in diesen beratungslastigen Fachbereich einhergehen.
«Das Interessante am Menschen ist ja folgendes: Wir kommen als Babies zur Welt und merken sofort, dass wir stark auf andere Menschen angewiesen sind. Wir wollen als Kinder etwa immer den Knopf im Tram drücken und haben daher ein ausgesprochen positives Verhältnis zur Veränderung, mit der wir uns Neues erschliessen», erklärt Albert Schnyder, der als Dozent und Projektleiter Public and Non-Profit-Management an der Hochschule für Wirtschaft in Luzern die angehenden Wirtschaftsinformatiker in Change Management unterrichtet. Aber, wie er ergänzt, ändert sich dies im Laufe unserer Sozialisation massgeblich und wir tun uns als Erwachsene schwerer mit Einschnitten in unsere Gewohnheiten. Dies sei bedingt durch biografische, persönliche, aber eben auch berufliche Faktoren und Erfahrungen, die wir auf unseren Lebenswegen erfahren. «Bei Vielen resultiert das darin, dass im Zweifelsfall das Bestehende einen Vorteil gegenüber dem Neuen geniesst, welches für viele Menschen zunächst mit Unsicherheit verbunden ist», so Schnyder. Dies, so der Experte weiter, ist ein Hauptgrund für die Notwendigkeit von Change Management.

Der zweite zentrale Zusammenhang ist, dass heute oft und gerne an der grundlegenden Struktur von Organisationen gearbeitet wird. Im Falle eines Strategiewechsels etwa machen sich neben dem Management, das über die Strategie entscheidet, auch die Mitarbeitenden Gedanken zu ihrem Platz innerhalb der neuen Organisationsstrategie. Change ist damit ein natürlicher Teil einer sich bewegenden und entwickelnden Wirtschaft.


Und drittens, so Schnyder, gehe es um Kultur. «Ein gutes Beispiel finden wir in den Nullerjahren – da kam die Idee auf, dass man Banken und Versicherungen zusammenlegen könnte», berichtet der Change-­Experte. «Das hätte den Investmentbankern damals haufenweise Geld für ihre Geschäfte in die Kassen gespült. Aber wenn man die Kultur in Versicherungen anschaut, merkt man, dass es da grösstenteils um Sicherheit, Solvenz und lange Fristen geht. Das ist aber nicht vereinbar mit dem Investmentbanking, wo es immer heisst: lieber heute als morgen.» Seine Erfahrung aus der Beratung habe wiederholt gezeigt, dass sich Unternehmen zu wenig Gedanken um soziale und kulturelle Begebenheiten und die Arbeit mit diesen Faktoren machen.

Avantgardisten, Saboteure und die stille Mitte

Zu den Reaktionen der Mitarbeitenden auf einschneidende Veränderungen sagt Schnyder: «Studien zeigen, dass Maximal ein Drittel, eher ein Viertel der Mitarbeiter grossen Veränderungen positiv gegenübersteht. Rund 20 Prozent sind hingegen skeptisch oder sabotieren die Pläne sogar. Dazwischen registrieren wir zwei Gruppen: Die Zurückhaltenden, Skeptischen, die aber soweit loyal sind, und die, die den Wandel mit positiverer Gesinnung einfach auf sich zukommen lassen.»
Das Problem: Die Kritiker und die Avantgardisten sind die lautesten Parteien. «Aber», so Schnyder, «eigentlich sind es eben genau die anderen, die beiden mittleren Gruppen, zu denen die Energie fliessen sollte. Denn oft sind das auch die Leistungsträger im Unternehmen.»

Schnyders Devise: «Lernen von denen, die Widerstand leisten, denn sie haben Botschaften, die man nicht überhören darf – aber nicht zu lange. Gleichzeitig muss man versuchen, die Energie der Avantgardisten zu nutzen, ihnen als Change Agents Aufgaben und Rollen zuteilen, ihnen aber auch klar machen, dass nicht alle so funktionieren wie sie.» Die Hauptaufmerksamkeit sollte darauf liegen, das Gros der Leute in der Mitte mithilfe einer attraktiven Ziellandschaft mitzunehmen. Schnyder zitiert zum Thema Ziellandschaft den französischen Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry: «Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.» Ein klares, erstrebenswertes Ziel macht den Mitarbeitenden den Umgang mit Veränderung also deutlich leichter.


Neben der Ziellandschaft nach Saint-Exupéry sei ein zweiter Punkt zentral, um die Mitarbeiter abzuholen, wir Schnyder ergänzt: «Schaffen Sie so rasch wie möglich Sicherheit. Es geht hierbei etwa um die Beschäftigungssicherheit oder um die Rollen- und Aufgabenverteilung. Man sollte rasch aufzeigen können, wie das im neuen Kontext aussehen wird.»

Ein Gefühl der Dringlichkeit

In den meisten Fällen gibt es eine Gruppe im Unternehmen, die die Verantwortung für ein Change-­Projekt bekommt, erklärt der erfahrene Berater. «Im besten Fall lässt sich eine solche Gruppe für diese Arbeit coachen. Im weniger guten, aber häufigeren Fall, legt man aber einfach los und ruft erst dann einen Berater dazu, wenn es im Gepäck bereits knirscht.»

Zum Start sei es sinnvoll, einen «Sense of Urgence and Ownership», zu Deutsch: Ein Gefühl der Dringlichkeit zu schaffen und sicherzustellen, dass sich viele Mitarbeitende das Ziel der Veränderung zu eigen machen. Dies gelte besonders für Unternehmen, in denen das Geschäft gut läuft, die Geschäftsleitung aber den nächsten Evolutionsschritt plant, so Schnyder. «Das Gefühl der Dringlichkeit zu schaffen, ist aber äussert schwierig.» Die Abklärung der Wandlungsbereitschaft, des Wandlungsbedarfs und -fähigkeit seien ebenfalls zentrale Punkte beim Start eines Change-­Projektes. «Dies zu schaffen, nimmt meistens mehr Zeit in Anspruch, als man sich das wünscht – dafür hat man dann auch mehr Leute im Boot», resümiert er.


Zum Punkt Wandlungsfähigkeit berichtet der Management-Profi von einem Beispiel aus seinem Erfahrungsschatz: In einem Altersheim, in dem sämtliche Patientendaten auf Papier verwaltet wurden, beschloss man, Tablets und digitale Patientenakten einzuführen. Innerhalb eines Jahres sollte die Umstellung komplett sein, recht schnell realisierte man aber, dass es nicht vorangeht. Das Pflegepersonal bestand nur zu 50 Prozent aus geschulten Leuten, die andere Hälfte waren Pflegeassistierende. Von diesen besassen gerade einmal 10 Prozent einen Computer und etwa gleich viele konnten grundlegend mit der ­Office-Suite umgehen – die Ausganglage für ein Digitalisierungsprojekt war nicht gegeben. «Auf einmal heisst es: fünf Schritte zurück!», berichtet Schnyder.

Das Personal wurde in der Folge zuerst im grundlegenden Umgang mit Computern sowie Word und Excel geschult – das dauerte bereits ein Jahr. Im zweiten Jahr arbeitete das Personal wie bis anhin auf Papier und übertrug die Ergebnisse an einem stationären PC mit zugehörigem Support. Im dritten Jahr übte man den Umgang mit Tablets in einer einzigen Abteilung und im vierten stellte man schliesslich ganz um. «Der Sense of Urgence und die Wandlungsbereitschaft waren grösstenteils vorhanden, niemand mehr war überzeugt von der alten Papierlösung», so Schnyder. «Die Wandlungsfähigkeit war hingegen nicht gegeben. Wenn diese zuvor geklärt und eine attraktive Ziellandschaft definiert ist, erst dann kann man den Leuten einen konkreten Plan vorlegen.»

Change und die IT

Zum Zusammenspiel von Digitalisierung und Change Management erklärt Schnyder: «Man kann sicher sagen, dass die Digitalisierung grundlegende Veränderungen fürs Change Management gebracht hat.» Er schliesst zwar nicht aus, dass das auch mit der Entwicklung hin zu Managed IT Services zu tun hat, bringt aber einen in seinen Augen wichtigeren Grundsatz ins Spiel, der heute vermehrt auch im Change Management Anwendung findet: Agilität. Schnyder erklärt: «Als in den 90er-Jahren die ersten ­grossen IT-Projekte durchgeführt wurden, arbeiteten wir noch mit diesen riesigen Wasserfall-­Modellen und zwei- oder dreijährigen Projektlaufzeiten. Heute arbeitet man aber agil, organisiert sich in Sprints, nutzt Storytelling und vor allem: liefert Deliverables, also nutzbare Zwischenresultate. Das schwappt in andere Bereiche und so auch ins Change Management über. Das ist über längere Sicht einer der wichtigsten Einflüsse der Digitalisierung auf diesen Bereich, da konnten wir viel lernen.»

Der Preis von Veränderung

«Wenn ich jetzt eine Zahl nennen würde, wie viel Change Management kostet, würde ich von Ihren Lesern als Spinner bezeichnet werden», sagt Schnyder zur Frage, ob es ein Preisschild für ­Change Management gibt. Zur Kalkulation eines Change-Projektes und den Beraterkosten hat er dennoch wertvolle Inputs: «Es gibt eine alte Darstellung im Change Management, das sogenannte Lewin'sche Modell: Erst wird der Ausgangszustand aufgetaut, dann gibt es eine Veränderungsphase und sobald der gewünschte Zustand erreicht wird, wird er wieder eingefroren. In der Veränderungsphase haben wir eine Produktivitätseinbusse, denn die Leute sind mit anderem beschäftigt als ihren täglichen Aufgaben. Das kann man in etwa abschätzen und entsprechende Ressourcen kalkulieren.» Auch könne man den Zustand nach dem Change abschätzen, messen und einen Return on Investment definieren. «Das muss in einem vernünftigen Verhältnis stehen, das ist sicher wichtig», so Schnyder. Wenn man das Beraterhonorar ins Verhältnis zu diesem finanziellen Aufwand stelle, sei dieses aber letztlich nur noch «Peanuts». Diese Berechnung wird seiner Erfahrung nach aber leider zu wenig gemacht.

Reseller als Change Manager

Auf die IT bezogen schlussfolgert Schnyder, dass es heute neben den vielleicht eher introvertierten Entwicklern und Engineers auch dort Menschen braucht, die kommunikativ stark sind. «Denn Tatsache ist: Jede Digitalisierung – auch eine einfache, wie im zuvor beschriebenen ­Altersheim – ist ein People Business.» Wenn man als IT-Dienstleister seine Services und das zugehörige Change Management anbieten wolle, müsse man sowohl technologische Expertise wir auch die Skills für modernes Dienstleistungs-Marketing mitbringen.

Man kann damit schlussfolgern, dass Change Management nicht erst in der Projektplanung, sondern bereits beim Sales eine zentrale Rolle spielt. «Zuhören!», sagt Albert Schnyder dazu. «Dem Kunden helfen, seine wirklichen Bedürfnisse herauszufinden – eine alte Marketing-Weisheit.» Um beim Beispiel des Altersheims zu bleiben: Wenn der Kunde Tablets einführen will, sollte man ihn etwa auch auf die sozialen und kulturellen Einflüsse ­sowie auf das (nicht) vorhandene IT-Know-how aufmerksam machen.


Wer sich diese Fähigkeiten aneignen will, findet einen grossen Markt vor. «Von Hochschulen bis zu privaten Anbietern – das Bildungsangebot im Change Management ist riesig», erklärt Schnyder. «Die Kombination der Skills ist aber entscheidend. Man muss technisches Verständnis mitbringen und gleichzeitig fähig sein, sich in den Kunden hineinzuversetzen. Im Grunde braucht man Verkäuferkompetenzen. Das hat viel mit Psychologie und Verständnis für Prozesse zu tun. Für ­einen Verantwortlichen wäre es ausserdem optimal, wenn bereits Erfahrung in der Durchführung von Change-Projekten gesammelt wurde.» Er selbst würde in der Lage eines Geschäftsleiters im IT-Geschäft versuchen, intern Leute nachzuziehen und diese von erfahrenen Change Managern lernen zu lassen. Eine theoretische Ausbildung im Change Management könne unter Umständen aber dabei helfen, das eigene Vorgehen besser zu systematisieren.

Der Autor

Albert Schnyder arbeitet an der Hochschule für Wirtschaft in Luzern als Dozent und Projektleiter Public and Non-Profit-Management und unterrichtet gemeinsam mit Vertretern aus der Wirtschaft angehende Wirtschaftsinformatiker in Change Management. Der promovierte Geograph und Historiker arbeitete lange in verschiedenen Führungspositionen in der kantonalen Verwaltung und bei Caritas Schweiz. Zudem bietet der 64-Jährige seine Dienste freiberuflich als Berater, Interims-Manager und Dozent an. (win)


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