«CRM hat sich zu einem Unding entwickelt»

Weil sich Michael Brendel darüber ärgerte, dass es kein anständiges Adressverwaltungssystem gab, hat er 1991 eine eigene Software entwickelt und Team Brendel gegründet. Ein Gespräch mit dem Schweizer CRM-Guru.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/14

     

10 Jahre nach der Gründung von Team Brendel ist der 36-jährige Basler mit neun Niederlassungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz vertreten und beschäftigt 100 Mitarbeiter. Im KMU-Bereich beansprucht Team Brendel, laut eigenen Angaben, im deutschsprachigen Raum Marktleader zu sein.
Und Brendel will ganz Europa mit Wincard erobern. Allerdings tummeln sich noch weitere Anbieter im selben Teich. Im unteren Bereich sind es Superoffice, Saleslogic und Interact, im oberen Bereich ist es Pivotal. Mit der Übernahme von Interact durch die Sage-Gruppe wird für Brendel auch sein langjähriger Partner Sage Sesam zum Konkurrenten.
IT Reseller: CRM ist in aller Munde. Sie als Spezialist können uns sicher sagen, was mit dem Begriff eigentlich gemeint ist.
Michael Brendel: Wir stellen fest, dass CRM sich zu einem Unding entwickelt hat, das hauptsächlich Angst und Respekt einflösst, weil niemand mehr weiss, was es eigentlich ist. Viele mittelständische Unternehmen kriegen zunehmend einen gewissen Respekt, weil sie nicht genau wissen, wo der Anfang und wo das Ende ist. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, gerade den KMUs aufzuzeigen, dass CRM gar nicht so komplex und schwierig einzuführen ist.
CRM ist eigentlich eine Management-Philosophie, die darauf beruht, mehr Erfolg und Wertschöpfung durch eine bessere Kundenbetreuung zu erzielen. Das umfasst Kundengewinnungs- und Kundenbindungsmassnahmen. Oder anders gesagt, der Versuch, dank Einsatz von Technologie das Tante-Emma-Prinzip wieder einzuführen.
Das Tante-Emma-Prinzip beruht darauf, dass eine Person eine geringe Anzahl von Kunden genau gekannt hat. Das war eine perfekte Kundenbindung und -betreuung. Dann kam die Synergiephase, wo Unternehmen immer mehr und mehr Kunden haben mussten. Plötzlich waren die Tante-Emma-Strukturen nicht mehr gefragt. Jetzt versucht man mit Einsatz von Technologie einen ähnlichen Effekt zu erzielen wie damals bei Tante Emma, nämlich den einer individuellen, zielgerichteten Betreuung, obwohl man tausende oder zehntausende Kunden hat.
Unserer Meinung nach wird der Einstieg in CRM von vielen Anbietern und auch Kunden als zu komplex und ganzheitlich betrachtet. Man schraubt viel zu sehr an der Theorie herum, was CRM alles sein sollte.
ITR: Das kommt doch aber sehr drauf an, welche Unternehmensgrösse ein CRM-Anbieter anspricht.
MB: Bei grossen Unternehmen mag eine komplexere Strategie besser geeignet sein. Aber auch die kleineren Unternehmen versuchen sich zu orientieren und schauen, was die Grossen schon gemacht haben. Diese Lösungen sind aber für die kleineren Unternehmen völlig unpraktikabel.
Viele versuchen ein CRM-Programm einzuführen, sind aber nicht mal in der Lage, einen einheitlichen Adressstamm aufzubauen.
Der Weg zum CRM besteht vielleicht aus zehn bis zwanzig Schritten, und die ersten paar sind chronologisch immer dieselben. Ich kann kein Kundenbindungsinstrument aufbauen, wenn ich nicht mal weiss, wer meine Kunden sind und wenn ich sie nicht sauber verwaltet habe. So simpel und einfach es tönt, aber am Anfang steht halt immer noch die Adresse.
ITR: Aber schon das schaffen viele nicht. Denken wir nur daran, dass Grossunternehmen oft verschiedenste Adressstämme haben, die untereinander nicht abgestimmt sind.
MB: Stimmt. Da hat man zum Beispiel ein Qualiflyer-Programm mit verschiedenen Mailings, die Sie zwar interessieren würden. Es stört Sie aber, dass Sie dreimal angeschrieben werden und so beachten Sie das Mailing nicht mehr.
ITR: Eine Siebel-Lösung werden Ihre Kunden nicht brauchen und auch nicht zahlen können. Sie sprechen ja die KMU an. Welches ist Ihre durchschnittliche Kundengrösse und welches sind Ihre Konkurrenten?
MB: Der Markt teilt sich in verschiedene Segmente auf, in denen sich verschiedene Anbieter zu etablieren versuchen. Letztlich begegnet man sich aber nicht ständig in Projekten, so dass man eigentlich in keinem Fall von einer echten, einer permanenten Wettbewerbssituation sprechen kann. Natürlich stossen wir auch auf Siebel. Eine Installation für 100 bis 200 User ist sicher nicht die Welt von Siebel, aber die werden sicher nicht sagen, wir verkaufen das nicht. Solche Fälle sind dann aber keine klassische Wettbewerbssituation.
ITR: Ihr Partner Sesam wird durch die Übernahme von Interact zu Ihrem Konkurrenten.
MB: Wissentlich angeboten habe ich Interact noch nicht gesehen. Potentiell könnte Sage Sesam ein Konkurrent werden, wenn sie anfangen, die Produkte ihrer Mutterfirma aktiv zu vermarkten. Aber sie sind Teil der Sage-Gruppe, die in X Ländern mit unterschiedlichsten Produkten weit versplittert ist. Auf einem Gebiet ist man halt Wettbewerber, auf einem anderen kooperiert man. Wir haben im übrigen auch andere Partnerschaften, zum Beispiel zu Simultan. Diese Kooperation wurde vor dem Hintergrund, dass unsere Linie Wincard CRM vom Pricing und von der Zielgruppenausrichtung her eher höher anzusiedeln ist, entsprechend verstärkt.
ITR: Sie haben die Firma vor zehn Jahren gegründet. Jetzt haben Sie 3 Mio. Aktienkapital bekommen. Die Firma gehört also jetzt nicht mehr alleine Ihnen. Was hat sich geändert? Sie sagten auch, Sie wollten an die Börse.
MB: Wir haben nie gesagt, wir wollten an die Börse. Wenn man aber Venture Capital aufnimmt, bringen das die Marktbeobachter automatisch mit einem Börsengang in Verbindung. Wir schliessen aber ein IPO nicht aus.
Mit dem Einstieg von Investoren ändert sich sehr viel. Man hat neue Menschen um sich herum, die das Firmeninterresse teilen. Das gibt einem zahlreiche neue Möglichkeiten, beispielsweise ein Netzwerk, das wir benutzen können. Man baut neue Führungsstrukturen auf, denn ein Investor hat seine eigene Erwartungshaltung was Unternehmensplanung auf langfristiger Ebene angeht.

ITR: Welches sind denn Ihre mittelfristigen Ziele?

MB: Wir wollen europäischer Marktführer für CRM im KMU-Segment werden. Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, bis 2001 Leader im deutschsprachigen Raum zu werden und ich glaube wir sind nahe daran, das Ziel zu erreichen. Unsere Marktposition in Deutschland ist sogar noch besser als in der Schweiz. Aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage wird die Expansion aber sicher etwas langsamer vorangehen, als man das vielleicht noch vor einem oder zwei Jahren gedacht hat. Im Moment ist keiner in der Lage, den Markt richtig einzuschätzen. Wir werden also erst nach Ende 2001 darüber nachdenken, in welchen Länder wirn weiter aktiv werden wollen.
Grundsätzlich sind wir wohl eher konservativ und vertreten nicht die Meinung, dass uns die Zeit gegenüber den Amerikanern davonläuft. Das behauptet man zwar seit Jahren, aber bis zum heutigen Zeitpunkt hat es noch kein amerikanisches Unternehmung geschafft, wirklich erfolgreich in Europa Fuss zu fassen. Umgekehrt hat es auch kein europäischer CRM-Anbieter geschafft, erfolgreich in den USA Fuss zu fassen. Das deutet im Moment darauf hin, dass zwei verschiedene Märkte bestehen bleiben werden. CRM und Verkauf hat gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen viel mit Kultur, Mentalität und Menschen zu tun.
ITR: Wincard ist ja WAP-fähig. Hat Team Brendel überhaupt WAP-Projekte realisiert?
MB: Nein, das hat bis jetzt niemanden ernsthaft interessiert. Uns hat es aber dennoch viel genützt. Wir konnten einmal mehr beweisen, dass wir schnell auf neue Technologien reagieren können.
ITR: Stichwort ASP. Was halten
Sie davon, ist ASP bloss ein Hype oder wird mal ein echter Markt daraus?
MB: Sie können Wincard über einen Webclient oder über Citrix Metaframe laufen lassen. Aber es wird trotzdem noch die klassische Variante gekauft. Es besteht kein Abschluss-Markt für ASP. Früher oder später wird es den aber geben. Dabei könnte zum Beispiel die Wireless-Technologie helfen. Zum heutigen Zeitpunkt will ASP aber noch keiner. Das sieht man schon daran, dass Siebel ein ASP-Projekt nach zig Millionen Dollar Aufwand wieder abgestossen hat.
Es gibt eine Hemmschwelle für ASP, denn es ist ein neues Modell, das ein grundsätzlich neues Gedankengut beinhaltet. Es existiert zwar ein grosses Interesse, die Zurückhaltung ist aber sehr hoch und es gibt noch keine wirkliche Kaufbereitschaft. Trotzdem ist es für die Kunden in Hinblick auf die Zukunft wichtig, dass ein Produkt ASP-fähig ist.
(interview: mh)


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