Traditions-Distributor Industrade wird zerschlagen


Artikel erschienen in IT Reseller 1999/04

   

Der laufend verschärfte Preiskampf und damit schwindende Margen für Distributoren und Händler fordert ein weiteres Opfer. Der bekannte Schweizer Distributor Industrade droht vom Schweizer IT-Markt zu verschwinden. Kein Wunder, musste der Disti gemäss CEO Eugen Frei zuletzt doch bei gewissen Produkten mit Margen von 0,5% zu (über)leben versuchen. Frei: «Alle leben heute doch nur noch von den Bonus-Rückvergütungen». Nun also wurde Industrade von der deutschen Spoerle geschluckt. Spoerle, zu 90% im Besitz des amerikanischen Distributionsgiganten Arrow, verfügt nicht nur über eine zentrale Logistik (Lager, EDV) in Dreieich (D) sondern auch schon über fünf verschiedene Firmen in der Schweiz. Zwei davon, Sasco (Halbleiter für die Industrie) und Microtronica (Prozessoren, Speicher u.a. für die IT-Branche), decken ähnliche Bereiche ab wie bisher Industrade. Ist damit das Schicksal von Industrade besiegelt?
Im Distributionsgeschäft, wo je länger desto mehr schiere Grösse entscheidet, macht das selbständige Weiterbestehen von Industrade für den Käufer Spoerle keinen grossen Sinn. Umso mehr als der Deutsche Gross-Disti mit Sasco in der Schweiz eine Firma besitzt, die auf die Distribution von Halbleitern an die Industrie spezialisiert ist, und mit Microtronica den IT-Bereich abdeckt. An der Birmingham Computer Trade Show im Januar dieses Jahres hat Spoerle-Partner Arrow denn auch verkündet, europaweit seine IT-Distributionsaktivitäten unter dem Namen Microtronica zusammenzufassen. So ist es nur logisch, wenn Spoerle die IT-Aktivitäten von Industrade bei Microtronica unterbringt, während der Industrie-Disti-Bereich mit Sasco zusammengelegt wird. Jürgen Saalwächter, Managing Director der Spoerle Group bestätigt auch, dass die gesamte Logistik und EDV von Industrade aufgelöst und ins European Logistic Center in Dreieich verlegt wird. Spoerle garantiert seinen Kunden in der Schweiz von Deutschland aus Lieferung am folgenden Tag, wenn die Bestellung bis 18 Uhr am Vortag eintrifft.
Industrade-CEO Eugen Frei, der die Firma verlassen wird, nimmt denn auch kein Blatt vor den Mund. Industrade sei in der Industrie als Name gut plaziert und man werde im Industriebereich den Namen wohl auch weiterverwenden. Aber im Distributionsgeschäft mit IT-Resellern spiele der Name einer Firma keine grosse Rolle mehr, da entscheide einzig der Preis. Da könnte es auch gut sein, dass der Name «Industrade» verschwindet. Obwohl die Würfel noch nicht gefallen sind und Eugen Frei auch nicht mehr in alle Entscheide einbezogen wird, konnte er uns doch eine Vorstellung von der düsteren Zukunft von Industrade geben.
Industrade wird, so Frei, in drei Teile aufgesplittet werden und auf die Spoerle Firmen verteilt. Viel mehr als eventuell der Name und die Sales- und Marketing-Mannschaft im Core-Geschäft (Prozessoren) wird nicht übrigbleiben. Verschwinden wird die gesamte Logistik und die EDV. Verschwinden wird auch der bisherige Geschäftssitz in Wallisellen, wie übrigens auch – so Frei – der Sitz der Spoerle-Firmen in Opfikon-Glattbrugg. Die Spoerle-Gruppe wird an einem neuen Standort zusammengefasst. In der jetzigen Form nicht mehr weiter existieren wird auch die Einheit «Business Solutions» von Industrade, denn sie passt nicht ins Konzept von Spoerle. «Business Solutions» wurde aufgebaut, um in die margenträchtigeren Gefilde des VAR-Business vorzustossen und der Margenfalle im Disti-Geschäft zu entkommen. Nun versucht Spoerle «Business Solutions», die sich vor allem auf die Compaq-Vertretung stützte, an einen anderen Compaq-Händler zu verkaufen.
Der Industriebereich von Industrade hat noch die grössten Chancen, als solcher wenigstens für die Kunden weiterzuleben. Er werde sehr wahrscheinlich mit Sasco zusammengelegt werden, aber innerhalb der Spoerle-Sasco-Gruppe in nächster Zeit als Industrade-Teil firmieren. Schlechter sieht es für den IT-Bereich von Industrade aus. Der Bereich, der gemäss Eugen Frei immerhin gegen 60% des Umsatzes der alten Industrade trug, dürfte vom Markt verschwinden. Sonst machten die Anstrengungen von Arrow/Spoerle, den Namen Microtronica in Europa wiederzubeleben wenig Sinn. Spoerle-Manager Jürgen Saalwächter mochte dies aber nicht bestätigen, die neue Firma könne ebensogut Microtronica/Industrade heissen.
Der Industrade-Kunde wird sich also zumindest teilweise an neue Lieferanten gewöhnen müssen. Ein Trost bleibt ihm: Eugen Frei weiss, dass das berühmte «Chipman-Wägeli» von Industrade weiterhin seine kostbare Prozessorenfracht den Kunden ins Haus bringen wird. Was auch immer draufstehen wird. (hc)

Wer ist Arrow / Spoerle?


Arrow, zu 90% Besitzerin von Spoerle, ist der weltweit grösste Distributor von elektronischen Komponenten und Computer-Produkten. Der Umsatz belief sich 1997 auf bescheidene 7,8 Milliarden Dollar. Die Firma mit Hauptsitz in Melville, NY vertritt insgesamt über 600 Hersteller und liefert an über 160’000 OEM und Endkunden. 200 Verkaufsbüros und 26 «Distribution Centers» in 32 Ländern heizen den Umsatz des Distributionsriesen an.


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