«Partner müssen mit dem Wandel mithalten»
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«Partner müssen mit dem Wandel mithalten»

IBM hat im Frühjahr vier Wachstumspfeiler definiert. Was diese beinhalten und was sie für die Partner bedeuten, hat IBM-Schweiz-Chefin Isabelle Welton im Interview verraten.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2011/07

     

Im Frühjahr hat IBM die vier Wachstumspfeiler Cloud Computing, globale Integration, «making the world work better» und die Handhabung der Datenflut angekündigt. Was verstehen Sie konkret darunter?
Isabelle Welton, Country General Manager IBM Schweiz:
Wir haben sehr ambitionierte Ziele. Bis 2015 wollen wir unsere Earnings per Share verdoppeln. Nebst dem organischen Wachstum, das durch das heute schon vorhandene Geschäft getrieben wird, soll dieses Ziel durch die genannten vier Wachstumspfeiler erreicht werden. Einer dieser Pfeiler ist Cloud Computing. Cloud Computing wird häufig als Hype angesehen, auf den viele Anbieter und Firmen aufspringen. Aber ich persönlich glaube, dass es mehr ist, als ein Hype. Cloud Computing ist eine neue Art und Weise, wie man IT Ressourcen zur Verfügung stellen kann. Dabei geht es mehr als um einen E-Mail-Account in einer Cloud. Die Zukunft der Cloud liegt in einer dynamischen, agilen Prozessunterstützung für bestehende und neue Geschäftsmodelle. Dazu muss definiert werden, welche Prozesse in der Cloud durch welche Cloud-Typen abgewickelt werden. Häufig wird zwischen Public und Private Clouds unterschieden. Wir würden eher sagen, es geht Richtung Hybrid Clouds, also einer Mischform aus Private und Public Clouds. Denn es gibt durchaus Aufgaben, die in einer Public Cloud gut aufgehoben sind, so zum Beispiel, wenn sehr hohe Elastizität eine grosse Rolle spielt. Testing kann hier ein Beispiel sein. Tests können gerade auch deshalb oft in einer Public Cloud ausgeführt werden, weil sich Anforderungen an Sicherheit und Verfügbarkeit von Produktionsumgebungen unterscheiden. Erfordert das Geschäft oder der Gesetzgeber die direkte Kontrolle über die Daten, oder soll die kurzfristige Abhängigkeit von Dritten minimiert werden, so bieten sich Private Clouds an.
Bis wann denken Sie, wird IBM in der Lage sein, eine Hybrid Cloud anzubieten und damit Geld zu verdienen?
Wir haben heute in Ehningen bereits eine Cloud, die unseren Kunden definierte Umgebungen schnell zur Verfügung stellt. Durch Skaleneffekte sind wir damit auch aus kommerzieller Sicht sehr attraktiv. Wir werden zudem im Oktober ein erweitertes Datacenter in Genf eröffnen, das den höchsten Sicherheitsstandards entspricht. Darüber bin ich sehr glücklich, denn ich glaube, dass sich die Schweiz als sicherer Datenhafen positionieren kann. Wir haben hierzulande teilweise spezifische Vorgaben was die Datenverarbeitung und -speicherung anbelangt, welche sich von Anforderungen in anderen Ländern unterscheiden. Mit dem Datacenter in Genf werden wir in der Lage sein, diesen Vorschriften zu entsprechen. IBM bietet bereits heute neben Public und Private Clouds wichtige Elemente an, welche eine Zusammenführung in hybride Lösungen ermöglicht. Ebenfalls zu dieser Strategie gehört eine intensive Zusammenarbeit mit unseren Partnern.


Was gibt es zu den weiteren Wachstumspfeilern zu sagen?
IBM verfolgt seit zehn Jahren dieselbe Strategie. Einerseits wollen wir möglichst viel Innovation zum Kunden bringen. Wir haben im Dialog mit unseren Kunden festgestellt, dass diese nicht daran interessiert sind, einfach eine neue Box in den Keller zu stellen. Vielmehr arbeiten sie mit uns zusammen, um innovativ zu werden und die Konkurrenz auszustechen. Und andererseits wollen wir wirklich die Integration von Lösungen vom Anfang bis zum Ende anbieten können und nicht nur einen Teilbereich. Deshalb sind wir ja auch so breit aufgestellt.
Ein weiterer Punkt ist die global integrierte IBM. Wir sind nicht in jedem Land gleich aufgestellt, sondern überall so, wie es unter regulatorischen und ökonomischen Gesichtspunkten und vom Potential her am besten ist. Dabei geht es oft auch um das Potential der Mitarbeiter. Deshalb haben wir ja auch Mitte der 50er Jahre in Rüschlikon das erste Forschungslabor ausserhalb der USA gegründet, weil das regulatorische Umfeld, die Nähe zu den Universitäten, die Lage mitten in Europa und die Rahmenbedingungen wie die Infrastruktur oder die Lebensqualität gestimmt haben.
Und was versteht IBM unter «making the world work better»?
Ich stand heute Morgen im Stau, einmal mehr. Um diesem zu entgehen, habe ich mich entschieden, nicht wie die anderen über die Autobahn, sondern über die Überlandstrasse zu fahren. Nur hatten mit mir etwa 120'000 andere Automobilisten dieselbe Idee. Technologisch wäre es doch nun möglich, dass mir mein Navi einen Weg angibt, den nicht 120'000 andere auch gewählt haben. Das meine ich mit «making the world work better». Die Technologie hat ein enormes Potential, Systeme wie ein Verkehrssystem effizienter und schlauer zu machen. Aktuell sprechen wir mit vielen Städten darüber. Und in Ittigen bei Bern läuft zusammen mit der Post, Swisscom und der BKW ein Pilotprojekt, um neue Formen der Mobilität zu testen. Stellen Sie sich mal vor, was man alles machen könnte, wenn die Sensoren, die zum Beispiel in Mobiltelefonen sind, sinnvoll genutzt werden können.

Wieso hat man das bislang nicht gemacht?
Da gibt es verschiedene Gründe: Zum einen sicher der Datenschutz – unsere Forscher im Labor arbeiten daran, Lösungen zu finden, die die Daten anonymisieren – und zum anderen die schiere Rechenleistung. Aber auch die enorme Datenmenge, die zu 80 Prozent aus unstrukturierten Daten besteht, muss für einen solchen Service analysiert werden. Als Beispiel dient hier unser schlauer Supercomputer Watson, der in der amerikanischen Quiz-Show Jeopardy die bisherigen Champions besiegte. Watson hat eine immense Menge an Daten gespeichert und ist in der Lage, Sprache und sprachliche Nuancen im Kontext zu erkennen und nachher verschiedene Lösungen plus die Wahrscheinlichkeit ihres Zutreffens anzugeben. Die Fähigkeit, die Daten so zu analysieren, dass es danach mögliche Entscheide gibt, ist das Geniale an Watson.


Wann wird IBM soweit sein, ein solches System Unternehmen zur Verfügung zu stellen?
Erste Tests laufen bereits mit einer Klinik in den USA, aber es ist noch nicht kommerziell verfügbar. Auch im Finanzdienstleistungsbereich läuft ein Pilotversuch. Mit diversen Firmen in der Schweiz sind wir zudem im Gespräch für weitere Tests. Ich denke, solche Systeme werden in den nächsten Jahren kommerziell verfügbar sein. Probleme bereiten die Rechenleistung und das, je nach Branche, zum Teil sehr spezifische Datenmaterial.
Wie sieht die Rolle der Partner bezüglich dieser Wachstumspfeiler aus?
Die Partner zeigen eine grosse Bereitschaft, sich dem Wandel durch Cloud Computing zu stellen. Ich spüre viel Interesse für das Thema. Aber ich denke, es gibt noch ein paar Hürden, so zum Beispiel, wie man mit Cloud Computing Geld verdient. Zudem sind die richtigen Skills entscheidend. Denn es handelt sich hier um ein neues Gebiet. In diesem Bereich unternehmen wir gemeinsame Anstrengungen, um zusammen mit unseren Partnern Leute auszubilden, Talente zu fördern und den Austausch unter den Partnern anzuregen.

Sie sprechen von den «richtigen Leuten». Wird sich IBM folglich von einigen Partnern trennen, weil sie nicht bereit sind, sich dem Wechsel zu stellen und auf reiner Software-Implementierung beharren?
Ich sehe Cloud eher als Zusatzpotential. Aber die Partnerlandschaft verändert sich und die Partner müssen mit dem Wandel mithalten. Und das ist für eine grosse Organisation einfacher als für eine kleine. Gleichzeitig brauchen wir auch weiterhin traditionelle Hard- und Software-Spezialisten, aber zunehmend gefragt ist die richtige Balance. Das ist eine enorme Herausforderung. Im Kontakt mit den Partnern habe ich festgestellt, dass diese bereit sind, sich frühzeitig auf den Wandel einzustellen. Viele unserer Partner haben bereits ein starkes Standbein rund um Services, weil sie gemerkt haben, wie wichtig Lösungskompetenz ist. Unsere neue Midmarket-Strategie besagt, dass gewisse Kunden ausschliesslich über die Partner betreut werden. Das ist ein Paradigmawechsel, der bedeutet, dass wir im Midmarket-Bereich ganz dedizierte Leute haben müssen, die den Markt bearbeiten, damit dort auch genug Volumen entsteht.


Welche Kunden im Midmarket-Segment werden direkt betreut?
Im Prinzip werden Kunden ab 1000 Mitarbeitern direkt betreut.

Kann man sagen, dass IBM der Ansicht ist, dass ein reines Software-Reselling nicht mehr sinnvoll ist, weil der Partner zu wenig Geld verdient und er sich dem Wandel stellen muss?
Ich denke, dass es durchaus Partner geben kann, die aus dem reinen Hard- und Software-Reselling ein Geschäftsmodell entwickeln können. Es ist nicht an mir, das zu beurteilen. Allerdings wird zum Beispiel Software als Thema je länger je komplexer sowie branchen- und prozessspezifischer. Man muss also je länger je mehr wissen, wie die Software im Unternehmen eingesetzt wird, um sie auch richtig verkaufen zu können.
Beim Wachstumspfeiler globale Integration haben Sie von den richtigen Leuten auch bei IBM gesprochen. Das führt einem hierzulande unweigerlich zum Fachkräftemangel. Wie stark ist IBM davon betroffen?
Wir sehen vor allem bei technischen Jobs einen akuten Mangel. Dies betrifft Fachspezialisten, welche die Übersetzung zwischen den Anforderungen des Business und dem, was technologisch möglich ist, verstehen. Und das ist nicht nur bei uns so, sondern auch bei meinen Kollegen auf Anbieter- und Anwender-Seite. Vor allem Software- und Infrastruktur-Architekten fehlen. Diese Scharnierpositionen sind besonders schwer zu besetzten. Und dann ist es schlicht und einfach so, dass wir zu wenige Ingenieure ausbilden. Und damit meine ich nicht nur die ETHs, sondern auch die Fachhochschulen sowie die Lehrlingsausbildung.

Wirklich wirkungsvolle Massnahmen gegen den Fachkräftemangel fehlen aber bislang.
Ich glaube, dass die Fachkräfteinitiative von Bundesrat Schneider-Ammann jetzt einiges in Bewegung setzen wird. Ich sehe, dass sich immer mehr Unternehmen mit dem Thema Lehrlingsausbildung auseinandersetzen. IBM beschäftigt in der Schweiz rund 70 Lehrlinge und über 300 Werkstudenten. Zudem bilden wir in der Graduate Sales Class jedes Jahr Absolventen aus Uni und Fachhochschule im Verkauf aus. Wir machen sehr viel und das Beispiel macht langsam Schule. Man kann nicht erwarten, dass man eine Wunderwaffe findet und mit einem Schlag das Problem löst. Es braucht viele kleine Schritte und diese vor allem in dieselbe Richtung. Ich sehe heute einiges mehr an gleichgerichtetem Effort als noch vor fünf Jahren. Und es ist wichtig, dass wir die Offenheit behalten. Denn organisch schaffen wir es nicht, das Fachkräfteproblem zu lösen.


Bis 2015 will IBM die Earnings per Share verdoppeln. 50 Prozent davon sollen aus der Software-Sparte kommen. Wie will IBM das erreichen?
Wir haben in den letzten fünf Jahren für etwa 11 Milliarden Software-Firmen akquiriert, vor allem im Bereich Analytics. Und diese Akquisitionswelle geht weiter. Es ist klar, dass wir in dieser kurzen Zeit das angestrebte Ziel nicht nur durch organisches Wachstum erreichen können. Bei den Übernahmen fokussieren wir uns vor allem auf die Ergänzung unseres Middleware-Portfolios, damit wir ganze Prozessketten abbilden können oder vertikal in einer Branche in die Tiefe gehen können.
Wohin wollen Sie mit IBM Schweiz?
Meine Vision ist, dass wir für Kunden die Topadresse sind, was «making the world work better» anbelangt. Ausserdem möchte ich die besten Leute für unser Unternehmen begeistern und auch halten können. Als Arbeitgeber mit ein paar tausend Mitarbeitern in der Schweiz haben wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Ich möchte diese wahrnehmen und einen Beitrag leisten bei Diskussionen zu Themen wie Fachkräfte, City Management oder Cloud.

Ist diese Verantwortung für die Gesellschaft auch der Grund für das Engagement im Nanotechnologiezentrum?
Im Bereich Nanotechnologie haben wir vor 25 Jahren den Grundstein gelegt mit dem Nobelpreis. Die Erfindung des Rastertunnelmikroskops hat es zum ersten Mal ermöglicht, diese Nanobauteile überhaupt zu sehen. Das Sichtbarmachen der Atome hat ganz neue Möglichkeiten eröffnet in Bezug auf Chipdesign. Wir sind sehr stolz auf das Nanotechnologiezentrum, das wegweisend ist für die Art der Zusammenarbeit mit der ETH und Partnern wie der EMPA. Und wir sind offen für weitere Partnerschaften. Die Idee ist, in diesem Zentrum interdisziplinär und über Unternehmensgrenzen hinweg zu forschen. Das ist einzigartig. Mir ist auf alle Fälle kein Unternehmen bekannt, welches das so macht. Durch unsere Investition ist der Forschungsstandort Schweiz extrem gestärkt worden.


Wie ist der Entscheid für die Schweiz als Standort gefallen?
Wir haben sehr signifikant investiert. Zudem ist der Entscheid eine logische Konsequenz aus dem auf dem Standort Schweiz vorhandenen Wissen. An der ETH hat es Lehrstühle, Professoren und Forscher, die ein profundes Wissen über Materialwissenschaften, Nanotechnologie oder Chipdesign haben, was den Standort hier prädestiniert.
Zudem hat IBM Anfang Juni ein Banking Solution Center eröffnet. Was muss man darunter verstehen?
Primär sind das Menschen, die wissen, wie man Technologie im Bankenumfeld richtig einsetzt zusammen mit den nötigen Assets. Das sind entweder Software-Applikationen oder Verknüpfungen von Software mit gewissen Bankenprozessen, die wir bei Banken betreiben und so auch über das nötige Know-how verfügen. Wir stellen immer wieder fest, dass Banken unter dem zunehmenden regulatorischen Druck ächzen und sehr wenig Zeit haben für wirkliche Innovationen. Sie sind darauf angewiesen, dass sie das Rad nicht immer wieder neu erfinden müssen, sondern gewisse Innovationen übernehmen können.

Die Mitarbeiter des Banking Solution Center waren also schon für IBM tätig, aber verstreut?
Genau, und diese Kompetenzen werden nun gebündelt. Zudem haben wir in diesem Center nicht nur IBM-Kompetenzen, sondern arbeiten auch mit unseren ISVs zusammen, die einen wichtigen Beitrag zum ganzen Konstrukt leisten.


IBM will in der Schweiz im Channel wachsen. Wie wollen Sie das erreichen?
Das sagt natürlich jeder (lacht). Ich denke, wir haben im Laufe des letzten Jahres doch etwas mehr Klarheit geschaffen, welche Marktsegmente wir angehen und welche die Partner. So gibt es im Channel die Business Partner Charta, welche die Zusammenarbeit mit dem Channel regelt. Zudem unterstützen wir die Partner verstärkt, sei es in den Bereichen Co-Marketing und Commissioning und bezüglich Zusammenarbeitsmodellen. Ich wünschte mir ausserdem, dass Ausbildung und die Analyse, ob die richtigen Leute vorhanden sind, auch bei den Partnern weit oben auf der Agenda stehen. Denn wir müssen sicherstellen, dass wir langfristig investieren – auf allen Seiten. (abr)


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