KPNQwest und die Datencenter: Die Wette auf die Zukunft

Neben den etablierten Playern im Geschäft mit Datencentern gibt es eine Reihe von Playern, die Europa mit Glasfaserringen und Datencentern überziehen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/04

     

Beispiel KPNQwest: Das amerikanisch-europäische Joint-Venture legt in Windeseile sieben Glasfaserringe quer durch Europa mit Madrid als südlichsten Punkt und Helsinki weit im Nordosten. Im Endausbau noch dieses Jahr sollen die Ringe eine Länge von 20’000 Kilometern aufweisen und 50 Städte in 17 Ländern miteinander verbinden.
Beim Besuch an der KPNQwest-Zentrale im holländischen Den Haag spürt man den Stolz auf die praktisch unbegrenzte Bandbreite. «Wir brauchen keine Fremdleitungen zuzumieten!», hört man allenthalben. Tatsächlich verfügt KPNQwest über praktisch unbegrenzte Bandbreiten, denn in jedem Ring werden 96 Glasfasern verlegt. Auf jeder Glasfaser können zur Zeit Daten auf 80 Frequenzen (Farben) transportiert werden – und jede Frequenz ist derzeit für eine Bandbreite von 10 GB/s gut. Rechne!
Bewusst werden diese gigantischen Datenautobahnen auf Vorrat gebaut. Nur ein Glasfaserpaar pro Ring wird zur Zeit «beleuchtet», das heisst mit der nötigen Infrastruktur versehen, um überhaupt Daten zu transportieren. Die restlichen Fasern bleiben bei KPNQwest als Reserve für kommende Märkte oder werden als «Dark Fiber» verkauft. Gemäss CIO Ray Walsh ist das ein gutes Geschäft. «Wir haben bis jetzt etwa 10 Prozent der ‘Dark Fiber’-Kapazität an andere Carrier verkauft und damit den grössten Teil der Investitionen schon wieder hereingeholt,» so Walsh. Man verkaufe aber höchstens die Hälfte der vorhandenen Kapazität, der Rest bleibe als Reserve bei KPNQwest, so Walsh.
Von der Infrastruktur zum Service
Mit «roher» Infrastruktur ist relativ wenig Geld zu verdienen. Viel höher ist die Wertschöpfung desto komplexere Services verkauft werden können. Ray Walsh: «Wir denken nicht mehr in Begriffen wie ‘Netzwerk’, ‘Hardware’ und ‘Software’. Heute dreht sich alles um Systeme und Services.» Konkret bedeutet dies den Aufbau des IP-Carriers in vier Schritten: 1. Paneuropäische IP-Netzwerke (Glasfasern, IP-Infrastruktur wie Router etc.), 2. Datencenter, die direkt auf den Glasfaserringen sitzen, 3. Aufbau von Speicher-Kapazitäten in den Datencentern und 4. Entwicklung von Applikations-Angeboten. Wie alle bei KPNQwest will Walsh wenig Konkretes zu tatsächlich angebotenen Applikationen und Kunden verlauten lassen.
Immerhin lässt sich Walsh entlocken, dass KPNQwest mit Open Text (SW für Web-basiertes Wissens-Management und Zusammenarbeit) und Wicom Communications (IP-Callcenter-Lösung) zusammenspannt. KPNQwest will die Lösungen der beiden ISVs hosten und den Kunden zugänglich machen. Web-Hosting scheint heute zwar noch eine Kernapplikation zu sein, doch Walsh meint: «Web-Hosting wird zur Commodity. Die wirklichen Stolpersteine liegen in scheinbar einfachen Dingen, wie das Managen und die Integration der Speichernetzwerke und das Hosten und Überwachen der Kundenapplikationen. Andere haben da sehr viel Geld investiert und haben trotzdem Qualitätsprobleme.»

Das Datencenter

Das Den Haager Datencenter von KPNQwest ist nur eines von sieben sehr grossen (10’000 m2) Datencentern des IP-Carriers, die sich zur Zeit im Aufbau befinden. Zusätzlich sollen kleinere, lokale Hosting-Center aufgebaut werden. Die Zentren sind miteinander verbun-
den und könnten bei Ausfällen gegenseitig einspringen. Angesichts der gigantischen Übertragungskapazitäten zwischen den Centern, die ja direkt auf den Backbones sitzen, scheint dies ein realistisches Konzept. Ein riesiger Plasmabildschirm vor dem Eingang des Centers meldet life den Status der überwachten Server und Applikationen.
Die Datencenter sind von zwei Seiten an den Backbone angeschlossen – ein Bagger alleine würde also nicht zu viel Schaden anrichten können. Allerdings sind die Center (noch) nicht direkt an die Netzwerke von weiteren Carriern angeschlossen. Dies dürfte der klarste Unterschied zu den Centern von Carrier-unabhängigen Anbietern wie das Zürcher Telehouse und Interxion sein. Diese versprechen den Kunden blitzschnellen Carrierwechsel bei technischen Problemen oder Preisdifferenzen.

Augenschein

In das Datencenter hineinzukommen, ist gar nicht so einfach. Man hat bei Ein- und Austritt zu unterschreiben und auch der CIO muss sich die letzte Türe von einem Zuständigen aufsperren lassen. Die Infrastruktur ist sichtbar auf 24-Stunden Betrieb eingerichtet – auch an einigermassen «gemütliche» Aufenthaltsräume für Nachtschichten ist gedacht.
Drinnen bietet sich das Bild der modernen Computerei: Alles, was gut und teuer von Sun, HP, Compaq, EMC, Storagetek, Cisco, Nortel und Juniper ist, steht wohlgeordnet herum. Sämtliche Kabel sind im doppelten Boden verlegt und es ist auffallend kühl. «Drei Grad weniger, als bei der Konkurrenz!» meint Walsh. Die Server der Kundschaft stehen zusätzlich abgesperrt hinter Glas, allfällige Kleber mit den Kundenbezeichnungen sind sorgfältig gegen neugierige Journalisten-Augen abgedeckt. Man merkt es dem Center förmlich an: Der Markt für Datencenter ist noch alles andere als reif – es gibt noch viel Platz zu vermieten. Den Haag gilt als Pilot-Datencenter. Hier werden Applikationen, Hardware und Datenbanken konfiguriert und die Überwachung mit den Tools von Tivoli, CA und BMC getestet.

Wette auf die Zukunft


Die Leute bei KPNQwest sind – wie könnte es anders sein – überzeugt, dass ihr Konzept aufgeht. Man baut Übertragungskapazitäten und Datencenter «auf Vorrat» auf und vertraut den Prognosen, die einen explodierenden Bandbreitenbedarf voraussagen. Ausserdem glaubt man in Den Haag mit Sicherheit zu wissen, dass sich Konzepte wie ASP (Application Service Providing) – die «Vermietung» von Software über Internet – breitflächig durchsetzen werden. Die aufgebauten Kapazitäten von KPNQwest beeindrucken. Jetzt muss nur noch der Markt wie vorgesehen spielen. (hc)


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