Biometrie wird wiederbelebt

Biometrischen Lösungen wurde vor Jahren ein boomender Markt prophezeit. Was sich bisher kaum bewahrheitet hat, könnte nun endlich doch eintreten: Marktforscher, Hersteller und Dienstleister spüren einen Nachfrageanstieg.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/12

     

Es ist egal, wo man nachfragt, überall ist die Antwort dieselbe: Biometrie könnte in naher Zukunft im Zusammenhang mit Identity Management einen Wachstumsschub erleben. Analysten rechnen damit, dass die Nachfrage nach entsprechenden Lösungen bis ins Jahr 2010 jährlich im Schnitt um rund 15 Prozent wächst. In diese Richtung weist auch das Verhalten grosser Unternehmen. So hat beispielsweise Siemens per 1. Juni 2008 seine Geschäfte mit Identity Management und Biometrie bei Siemens IT Solutions gebündelt. Gerd Hribernig, Leiter der neu zusammengelegten Sparte Identity Management and Biometrics, rechnet gar mit einem Wachstum von 20 Prozent pro Jahr: «Wir entwickeln gemeinsam Biometrie-Lösungen und Identity Management und kombinieren dies mit IT-Integration und -Betrieb.» Siemens sieht seinen Wettbewerbsvorteil insbesonde-re darin, dass sie optimal aufeinander abgestimmte Lösungen allen Kunden branchenübergreifend anbieten kann.


Auch NEC hat Mitte Juni einen neuen, europaweit agierenden Geschäftsbereich Identification Solutions Division in Düsseldorf gegründet. Anlass dafür war laut NEC der wachsende Bedarf an behördlicherseits eingesetzten biometrischen Lösungen in Europa. NEC-Systeme sollen im öffentlichen Bereich, von Strafverfolgungsbehörden, im Transportsektor sowie bei Grenzkontrollen eingesetzt werden. Für Kei Nakata, Leiter der NEC Identification Solutions Division, ist der anspruchsvolle Markt Europa erfolgsversprechend: «Die Bildung eines dedizierten europaweiten Geschäftsbereichs für Biometrie sehe ich als eine logische Weiterentwicklung unserer Kompetenz, die sehr spezifischen Identifikationsanforderungen in den europäischen Mitgliedsstaaten abzudecken.»

Einfachheit in der Anwendung

Die Biometrie-Lösung, welche in Unternehmen das grösste Potenzial hat, ist die Fingerabdruckerkennung. Ihre Vorteile liegen in den meist kompakten Sensoren, die sich leicht in andere Geräte integrieren lassen. Dies zeigen die zahlreichen in letzter Zeit auf den Markt gekommenen Notebooks mit integriertem Fingerabdruckleser. Ein zusätzliches Plus ist die einfache und schnelle Bedienbarkeit. Damit ist Fingerabdruckerkennung grundsätzlich für ein breites Anwendungsfeld geeignet.

Allerdings ist von Nutzerseite vermehrt Skepsis spürbar. Dies liegt einerseits daran, dass ein Fingerabdruck ein Körpermerkmal ist, das man an vielen Stellen unbemerkt hinterlässt. So kritisiert beispielsweise der Chaos Computer Club (CCC) schon seit Jahren den möglichen Missbrauch von Fingerabdrücken und hat in der Zeit auch schon einige Male fremde Fingerabdrücke von Gegenständen abgenommen und damit Sicherheitssysteme überlistet.


Genau diese Hindernisse nimmt auch Tom Hager, CEO beim Sicherheitsdienstleister Infotrust, wahr: «Das Vertrauen der Mitarbeiter ist noch nicht auf einem hohen Niveau. Biometrische Verfahren können sich erst durchsetzen, wenn die Sensoren nicht getäuscht werden können und in den Geräten zur Verfügung stehen sowie die Authentisierungsdaten über entsprechende Lösungen zentral managebar sind.» Ins gleiche Horn stösst Marco Marchesi vom Dienstleister Ispin: «Für Commodity-Anwendungen wie das Anmelden an Windows via Fingerprint sehen wir steigende Anwendungszahlen. Für hochsichere bio­metrische Authentisierung sehen wir nach wie vor nicht die Massenanwendungen, sondern ausgewählte Anwendungen. Der Betriebsaufwand für solche Lösungen ist immer noch sehr hoch.»

Das Fraunhofer Institut für sichere Informationstechnologie (SIT) hat hingegen vor kurzem einen Artikel veröffentlicht, welcher solche Bedenken relativiert. Demnach ist Biometrie «definitiv» eine Alternative zu PIN oder Passwort zur Benutzerauthentifizierung. Denn durch Biometrie liessen sich zahlreiche Probleme lösen, die bei Passwortverfahren durch unsachgemässen Umgang wie Vergessen oder nach aussen sichtbares Aufschreiben entstehen. In vielen Anwendungsbereichen biete Biometrie einen höheren Benutzer-Komfort. Indessen ist laut dem SIT die Biometrie, speziell der Fingerabdruck, für einen reinen Identifikationsbetrieb nur bedingt geeignet. Das SIT empfiehlt dabei eine Kombination aus Biometrie und PIN, bei der die Biometrie die Identifikation und die PIN die anschliessende Authentifiziereung übernehmen. Dadurch könne sowohl auf Benutzernamen und Karten verzichtet werden, und gleichzeitig werde eine deutliche Anhebung des Sicherheitsniveaus und des Bedienkomforts erreicht.

Aufklärung ist nötig

Auf diese positiven Aspekte verweist auch Göran Lindholm, Director beim Sicherheits-VAD Mtrix Schweiz, der seit Anfang Jahr auch hierzulande operativ tätig ist. Mtrix vertreibt die Fingerabdruck-Authentifizierungen von Digital Persona, welche nahtlos mit Active Directory zusammenarbeiten. Seit Anfang Jahr hat er schon konkrete Projekte mit mehreren 10’000 Benutzern. Auch Systemintegrator Itris hat ein steigendes Interesse an solchen Lösungen festgestellt und setzt jetzt die Lösung von Digital Persona ein. Lindholm sagt gegen­über IT Reseller: «Der grosse Nutzen ist, dass für die Benutzer alle Passwörter völlig eliminiert werden. Dadurch bringt man das Sicherheitslevel massiv hoch und die Kosten massiv runter.» Zwar gäbe es allenthalben negative Vorurteile zu entkräften und zu Themen wie Datenschutz Aufklärung zu leisten. «In der Regel steigt das Interesse nach einer Vorführung enorm, denn viele Unternehmen wissen nicht, dass Fingerabdruck-Lösungen so einfach funktionieren können», erklärt er. (Claudio De Boni)


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