Der grosse Reibach rund ums Haus

Bei der Vernetzung des digitalen Heims stehen Hausautomations-Spezialisten und der CE/UE-Fachhandel an vorderster Front. Für spezialisierte Händler und Integratoren könnten diese Dienstleistungen zum Hauptgeschäft werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/20

     

Wenn zwei sich streiten, freut sich bekanntlich der Dritte. So diskutierten die Frage, wem das digitale Heim der Zukunft gehört, bis dato fast ausschliesslich die IT- und die CE-Branche. In der Regel in dieser Diskussion bisher aussen vor gelassen wurden die Systemintegratoren und im besonderen die Spezialisten für Gebäudetechnik. Doch die Netzwerktechnik erobert in ­Riesenschritten immer mehr den privaten ­Anwendungsbereich. Neue Absatzchancen ergeben sich daraus nicht nur für Fachhändler: Gerade die Konzeption und Einrichtung moderner Heimnetze könnte sich zum Standbein für ­Systemhäuser entwickeln.

Mehr als nur ein Internetanschluss

Bei der Aufrüstung der guten Stube zum Hightech-Studio sind ein drahtlos angebundenes Notebook oder ein integriertes Mediacenter erst der Anfang. Heim-Server werden gleichzeitig sowohl als zentraler Speicher für MP3- und Film-Sammlungen als auch als Schaltzentrale für die Heimelektronik einschliesslich Weisser Ware (Haushaltsgeräte) dienen.
So wird sich in Zukunft beispielsweise die Heizungs- oder Alarmanlage steuern, die Beleuchtung ein- und ausschalten oder die Spülmaschine fernbedient in Gang setzen lassen. Neben Geräten aus Consumer Electronic und der IT werden rund ums digitale Heim immer mehr Dienste und Lösungen wie beispielsweise Sicherheitslösungen, Fernsteuerung, Fernwartung oder die Fernablesung von Strom-, Gas- und Wasserverbrauch angeboten. Gegenwärtig gibt es aber kaum Dienstleister, die aus einer Hand Netzwerktechnik, Sicherheitstechnik, Gebäude- und Energietechnik ins private Heim integrieren können und gleichermassen über Server-Hardware, Software und Verkabelung wie über Lichtschalter oder Alarmanlagen Bescheid wissen. Rundum-Service ist das Stichwort, den der Retail und viele Händler eben nicht leisten können oder wollen. Das zeigt sich schon am vergleichsweise einfachen Beispiel Mediacenter. «Der Markt ist langsam reif für diese Systeme. Doch nur Spezialisten können im Moment verkaufen. Über den Retail läuft (fast) nichts», sagt Erik Aslaksen, Managing Director des Niederrohrdorfer Mediacenter-Spezialisten Micro Control, gegenüber IT Reseller. Sein Unternehmen erwirtschaftet mit Systemintegration – inklusive der Mediacenter-Hardware – derzeit 20 Prozent des Umsatzes. Micro Control assembliert und installiert sein Mediacenter «Manhattan» selbst bei IT-affinen Endkunden, aber auch über Händler gehobener Digital-Living-Lösungen. «Der Trend zu einer umfassenden Betreuung der Heimanlagen ist da», sagt Aslaksen. Sowohl IT- als auch die CE-Branche hätten Know-how, was weiterhin gebraucht werde. Seiner Einschätzung nach hätten allerdings CE-Betriebe eher grössere Mühe mit den neuen Technologien und Business-Modellen, sprich weg von der Handels­marge, hin zum Dienstleistungs-­Geschäft. «Das Geschäft mit dem digitalen Heim wird letztlich dem Lernfähigeren, Flexibleren gehören», sagt Aslaksen.

IT-Branche bleibt aussen vor

«Rund um das Mediacenter kann man ein sehr gutes Dienstleistungsangebot aufbauen. Angefangen von der Installation des Modems für das Internet bis zur Verkabelung der Boxen kann alles aus einer Hand angeboten werden», sagt auch Mesut Güngör, CEO der Liestaler Prime Time Entertainment, gegenüber IT Reseller. Prime Time Media Entertainment ist einer der grössten Microsoft-Partner im Bereich Mediacenter und installiert und integriert diese Systeme für Kunden, die Bedarf an Vernetzung haben. Das Unternehmen erwirtschaftet momentan 10 bis 15 Prozent des Umsatzes mit Systemintegration. Gesamthaft plant Prime Time, den Umsatz 2007 zu verdoppeln.
«Momentan sind wir in der Aufbauphase des Mediacenter-Dienstleistungsgeschäftes», sagt Güngör. Prime ­Time ist derzeit noch nicht aktiv auf der Suche nach Aufträgen. Bis dato kamen die Endkunden, Partner und Distributoren auf die Liestaler zu. Folgeaufträge gab es über Mund-zu-Mund-Propaganda. Das soll sich jetzt ändern. Ab 2007 soll der Markt aktiv bearbeitet werden. Da Prime Time wie gesagt auch selbst Installationen vornimmt, hat das Unternehmen genügend Erfahrungen gesammelt, die es jetzt an seine Partner weitergeben will. So übernehmen denn auch mehr und mehr Prime-Time-Partner in der Hausautomations- und Unterhaltungselektronikbranche die Installation und Integration der Mediacenter.
Die IT-Branche lässt Güngör dabei nicht ans Ruder: «In diesem Bereich haben wir noch keine Partner», sagt der Prime-Time-Chef. Das Geschäft mit dem digitalen Heim gehört denn auch für Güngör ganz eindeutig der CE-Branche. «Das Geschäft rund ums digitale Heim fliesst von der IT-Branche in die CE-Branche und wird sich am Ende zu einem Strom zusammenfügen, der nicht in die IT-Branche zurückfliessen wird. Der Markt wird diesen Strom in die CE-Branche kanalisieren», ist sich Güngör sicher.
Grosses Potential sieht Güngör dabei für seine Partner aus dem UE-Fachhandel und der Hausautoma­tionsintegration: Sobald die Partner für die Mediacenter-Dienstleistungen sensibilisiert und geschult wurden, ist sich Güngör sicher, dass sie in naher Zukunft ein lukratives Zusatzgeschäft mit diesen Dienstleistungen generieren können. «In ferner Zukunft kann ich mir sogar vorstellen, dass die Mediacenter-Dienstleistung für Integratoren und einige spezialisierte Fachhändler zum Hauptgeschäft werden könnte.»

CE und IT im Griff

Bei der Frage, wer das Geschäft rund ums digitale Heim letztlich für sich beanspruchen kann, geht Hans Schuppli, Geschäftsführer des schweizweiten Systemintegrators und Gebäudetechnikers Swisspro noch einen Schritt weiter: «Den Kampf um das digitale Heim wird weder die CE- noch die IT-Branche für sich entscheiden, sondern die Systemintegratoren aus dem Bereich Gebäudetechnik», orakelt Schuppli gegenüber IT Reseller. «Sie haben nämlich sowohl den IT- als auch den CE-Bereich im Griff.» Schupplis Unternehmen installiert Gesamtlösungen für Haussteuerung, Entertainment und Kommunikation. «Wir vernetzen über standardisierte Kommunikationssysteme Ethernet und KNX (nach EN50090, früher EIB genannt)», sagt Schuppli. Bei Bedarf wird zur übergeordneten Steuerung ein zentraler Server eingesetzt wie beispielsweise das Homesystem der in Stuttgart ansässigen Visiomatic, der Homeserver der Horgener Feller AG oder eben auch ein Microsoft-­Mediacenter.
Zu seinen Kunden zählen derzeit hauptsächlich Eigenheimbesitzer. Schuppli geht aber davon aus, dass künftig auch Mieter verstärkt Bedarf an Heimvernetzungen verspüren werden. Swisspro erwartet je nach Region ein Wachstum von 10 bis 30 Prozent im Bereich Integration. Im Bereich Systemintegration für intelligentes Wohnen liegt der Anteil am Gesamtumsatz derzeit je nach Region zwischen 5 und 20 Prozent.
«Der CE-Handel wird durch die Vernetzung zurzeit stark gefordert», führt Schuppli gegenüber IT Reseller weiter an. Firmen aus diesem Bereich hätten den Vorteil, dass sie der Audiotechnik näher stehen als ein Systemintegrator. Dieser wiederum habe den Zugang zu den gesamten Elektro
installationen, der Haussteuerung, der Kommunikation und dem Entertainment über Partnerfirmen im vernetzten Heim. Auch Schuppli hält die IT-Branche eher für vernachlässigbar.


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