Modern und trotzdem angejahrt

Die Gesamtbankenlösungen von Finnova und Avaloq stehen bei den Schweizer Banken hoch im Kurs. Bekannte Schweizer Software-Ingenieure äussern aber begründete Zweifel, ob sie technisch auf dem neuesten Stand sind.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/19

     

Der Schweizer Markt für Gesamtbanken-Software ist in Bewegung. Zahlreiche Finanzhäuser ersetzen ihre in die Jahre gekommenen Informatiksysteme durch Standardsoftware-Pakete. «Wir haben eine fantastische Zeit hinter und auch vor uns», sagt Charlie Matter, Chef der Softwareschmiede Finnova. Innerhalb von 24 Monaten sei das Referenzkunden- und Projektvolumen von 3 auf 22 Banken angewachsen. Genauso erfolgreich geschäftet Avaloq, die inzwischen über 20 Finanzinstitute zu ihren Kunden zählt. Ein Deal mit drei Raiffeisen-Banken steht vor dem Abschluss: «Wir stehen in exklusiven Vertragsverhandlungen mit Avaloq und rechnen mit einem Entscheid noch in diesem Jahr», sagt Raiffeisen-Sprecher Franz Würth. Das Einführungsprojekt wird drei Jahre dauern.

Wo stehen die Lösungen technisch?

Bei solchen Zeiträumen zwischen Ausschreibung und operativem Einsatz stellt sich die Frage, wie modern diese Gesamtbankenlösungen noch sind, wenn sie in den Betrieb gehen. Hinzu kommt, dass beide Produkte selber schon einige Jahre auf dem Buckel haben. Finnova wurde zwischen 1999 bis 2003 als Nachfolger der Finis-Lösung entwickelt. Noch weiter geht Avaloq zurück, das Herz dieses Systems entstand vor über 10 Jahren. «Meiner Ansicht nach befinden sich die beiden Produkte von der Entwicklung her auf einer ähnlichen Stufe», sagt Patrick Burkhalter, Geschäftsführer der Zürcher Softwareschmiede Ergon Informatik. Finnova habe schon mehr mit Java gemacht, während Avaloq in der Branche noch eher der Ruf eines proprietären Systems anhafte: «Natürlich macht die Technologie immer Schritte nach vorne. Klar ist deshalb, dass man einiges anders machte, würde man mit dem Bau heute auf der grünen Wiese beginnen.»

SOA verzweifelt gesucht

In Sachen Software-Architekturen ist derzeit die Service Oriented Architecture (SOA) in aller Munde. Vor allem auch seit sich der ERP-Gigant SAP mit der Integrationsplattform Netweaver diesem Konzept verschrieben hat. Für SAP-Marketingleiter Hansruedi Kuster ist der fehlende Fokus auf SOA denn auch ein grosser Mangel der beiden Gesamtbankenlösungen: «Das Ziel muss heute eine Plattform mit Repository von Banking Prozessen und der Integrationsmöglichkeit von Web Services sein», so Kuster. Hinzu komme, dass es je länger je unrealistischer werde, das ganze Banking mit einem einzigen Applikationspaket abdecken zu können. Andernfalls drohe den Herstellern ein Problem, wie es SAP mit der ERP-Lösung R/3 widerfahren sei: «Man verfügt über eine riesige, über die Jahre mit immer mehr Funktionalitäten erweiterte Lösung und kann diese nur schwer neuen Marktbedürfnissen anpassen.» Aus genau diesem Grund hat der deutsche Hersteller R/3 über die letzten Jahre einer vollständigen Erneuerung in Richtung einer serviceorientierten Architektur unterzogen.

Problem schneller Erfolg

Für Andrej Vckovski, den Geschäftsführer des Schweizer Software-Engineering-Spezialisten Netcetera, liegt das grösste Handycap von Avaloq und Finnova im frühen Erfolg: «Beide Systeme waren vor einigen Jahren in gewissen Aspekten sehr innovativ. Das Problem von Avaloq besteht meiner Meinung nach im frühen Erfolg. Man ist irgendwie gefangen in den ausgelieferten Versionen und kann sich über die kommenden Jahre grössere Umstellungen schlicht nicht mehr erlauben», so Vckovski. Was in Betrieb sei, sei in Betrieb. Zudem könne die Migration der Daten von einer alten auf eine neue Version komplex sein. «Technisch gesehen ist das Konzept von Avaloq mit der Datenbank im Zentrum etwas ausgeufert. Dies führt dazu, dass das System nicht besonders modular ist», kritisiert Vckovski. Finnova und Avaloq würden aber bestimmt an Verbesserungen arbeiten, auch hinsichtlich SOA: «Natürlich ist man mit der Aufnahme von neuen Trends aber limitiert, wenn die Systeme schon in Produktion sind. Heute würde man SOA sicher von Anfang an hineinnehmen und auch ein Kernbankensystem mit offenen Kanälen bauen», analysiert Vckovski weiter.

Hersteller verteidigen sich

Auf SOA angesprochen, hält Finnova-Chef Matter fest, dass die Lösung seiner Firma eine modulare Architektur habe, die das Aufbrechen und Herausnehmen einzelner Geschäftsprozesse erlaube: «Die Hauptfrage ist dabei, wie die Schnittstelle aus Sicht des Business gezogen wird. Das definiert dann auch die Systemfunktionalität», so Matter.
Avaloq ist gemäss Sprecherin Anita Kendzia dabei, die Modernisierungen voranzutreiben: «Das Avaloq Message Interface offeriert heute eine Basis für ein missionskritisches Services-Interface, das flexibel parametrisiert werden kann. Im Projekt NRG, in dessen Rahmen eine neue grafische Benutzer­oberfläche entwickelt wird, wird zusätzlich der Layer Integrationsserver eingeführt, der auch SOA-Aspekte beinhaltet», so Kendzia.
Von grundlegender Neuausrichtung auf SOA kann also keine Rede sein. Immerhin wird aber über Schnittstellen versucht, sich in Richtung Web Services zu bewegen. Dass diesen die Zukunft gehört, bezweifelt heute auch im Banking-Umfeld niemand mehr. (bor)


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