«Die Talsohle ist durchschritten»

Sun ist in Bewegung: Stellenabbau, Weggang des hiesigen Country Managers, eine Reihe von Ankündigungen, neue Channel-Progamme. Was bedeutet dies konkret für den Schweizer Sun-Channel? Der interimistische Leiter von Sun Schweiz, Elie Simon (Bild), nimmt Stellung.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/04

     

IT Reseller: Sun ist in einem Kulturwandel von einem Hersteller von «Kisten» zu einem Lösungsanbieter. Was bedeutet dieser Kulturwandel für Sun Schweiz?
Elie Simon: Zuerst einmal: Wir sind – und werden es immer bleiben – eine Technologie-Firma. Unser Fokus bleibt, erstklassige Technologie an Service-Provider und Grossfirmen zu liefern. Aber der Markt verlangt heute auch Services zur Technologie. Grossfirmen haben von uns eine Führungsrolle in der Implementierung der «Risk-free»-Lösungen verlangt.
Unsere Kunden wollen sie die besten Partner, den besten Software-Hersteller und Netzwerk- oder System-Integratoren auswählen können. Einer muss das alles zusammensetzen – das ist der Systemintegrator. Aber einer muss dafür gerade stehen, dass die unterliegenden Plattformen klar «Risk-free» sind.
Für unsere Prozesse bedeutet dies, dass wir «Best Practices» entwickeln. Wir identifizieren die Lösungspakete, die der Markt verlangt, bauen diese Lösungspakete und entwickeln die Expertise, um «Risk-free» Plattformen anbieten zu können. Beispielsweise «Sun One» als Plattform für Services on Demand oder die «Sun Tone»-Zertifizierung. Mit Sun Tone stellen wir ein Set von Qualitätskritierien für Service-Anbieter zur Verfügung. Der Kunde kann Dienstleistungen von jedem Sun Tone-zertifizierten Anbieter zu einer garantierten Qualität kaufen.
Es geht Also keinesfalls darum, dass Sun Applikationen entwickeln würde oder in die Systemintegration einsteigen will. Es geht uns darum, Prozesse zu entwickeln, die dem Endkunden garantieren, dass der Kauf von Dienstleistungen von Sun Tone-zertifizierten Partnern völlig risikolos ist.
ITR: Was bedeutet dies konkret für Ihre Schweizer Partner? Müssen sie sich neu zertifizieren?
ES: Zuerst einmal haben wir interne «Best Practices» für verschiedene Märkte, wie E-Banking, E-Government, Security, CRM, ERP-SCM und Datacenter, entwickelt. Diese «Best Practices» sind lokal, aber in ein weltweites Kompetenz-Netzwerk eingebettet. Sie werden laufend weiterentwickelt.
Bei der Entwicklung dieser «Best Practices» arbeiten wir auch mit ISVs und Systemintegratoren zusammen. Es gibt zum Beispiel eine weltweite Initiative zusammen mit Siebel und PWC. Der Kunde bekommt eine einzige, risikolose CRM-Umgebung. Alle diese «Best Practices» stützen sich natürlich auf die Sun One-Architektur.
Für die Partner bedeutete es tatsächlich sehr viel Arbeit, um die Sun Tone-Zertifizierungen zu erlangen. Für den Channel-Reseller läuft jetzt ein Zertifizierungsprogramm. Je nach Markt, in dem er auftreten will, kann er entweder «Datacenter-certified» oder «Enterprise-certified» oder «Workgroup-certified» werden.
ITR: Wird Sun in diesem Prozess Partner verlieren, denen die Zertifizierung zu aufwendig ist?
ES: Mir sind keine bekannt, die abgesprungen wären. Im Gegenteil. Die Qualitätsgarantie, die wir dem Endkunden abgeben können, ist ein Zeichen für starkes gegenseitiges Vertrauen der Beteiligten.
Sun ist bekannt dafür, ein einfacher Partner zu sein. Das wird weiterhin so bleiben, aber wir wollen viel mehr Disziplin in unsere Partnerschaften bringen. Die Disziplin soll dem Kunden zugute kommen. Geschäftskritische Anwendungen lassen keinen Raum für Improvisation mehr.
ITR: Schweizer Sun-Partner sagen, sie spürten vermehrt Konkurrenz durch Sun im Service-Bereich. Was sagen Sie diesen Partnern?
ES: Die Antwort ist einfach. Zusammen mit den Partnern haben wir zwei Ziele. Erstens die Kundenzufriedenheit durch bessere Services, mehr Applikationen und bessere Integration zu steigern. Zweitens wollen wir die Marktabdeckung ausweiten. Sun fängt heute erst an, in die traditionellen Märkte unserer Konkurrenz einzudringen. Es gibt Märkte, die wir noch nie berührt haben. Wenn Sie die Kraft und die Aggressivität unserer Sales-Force kennen, dann verstehen Sie, dass wir zum grossen Halali blasen.
Wir wollen unsere Partner nicht konkurrenzieren. Aber wir bauen unser Angebot aus und peilen neue Kunden an.

ITR: Könnte das bedeuten, dass Sun sich nach neuen Partnern umschaut?

ES: Wir haben eine sehr starke Loyalität gegenüber unseren Partnern. Wir können nicht einseitig Loyalität verlangen. Suchen wir nach neuen Partnern? Vielleicht – aber zuerst wollen wir die neuen Märkte zusammen mit den bestehenden Partnern angehen. Wenn die Wirtschaft sich schnell genug erholt, werden wir unser Channel-Modell anschauen und es erweitern.
Wir haben eine einfache Sicht des Marktes. Es gibt direkte Accounts, «Single»-Accounts und den allgemeinen Channel. Dem dritten Segment liefern wir «Packaged Services». Das sind Kunden, die schlüsselfertige Lösungen wollen. In diesen Markt liefern wir zusammen mit Also ABC und Resellern. Wer immer das Profil hat, diesen Markt zu bedienen, ist uns willkommen.
ITR: Der Channel entwickelt sich sehr schnell, einige Player verschwinden. Wie wird der Sun-Channel in drei Jahren aussehen?
ES: In drei Jahren wird unsere Gesellschaft noch mehr eine Dienstleistungsgesellschaft sein. Die zentrale Frage ist: Wer ist fähig, die Dienstleistungen zu erbringen und zu integrieren? Es dreht sich um Web-Services, intelligente Web-Services, integrierte intelligente Web-Services, bruchlos integrierte intelligente Web-Services. Wer diese Dienstleistungen anbieten kann, wird der Gewinner – und unser Partner – sein.
Das werden die Leute sein, die dem Kunden Sun One-Lösungen anbieten und bruchlos integrierte Web-Services bauen können. Ich spreche unter anderem über Siebel und SAP. Wie integrieren wir diese Umgebungen beim Kunden? Wie kreieren wir die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Geschäfts-Logiken und bringen sie über Internet zur Allgemeinheit? Wer diese Aufgabe beherrscht, wird der Channel-Player sein, der 2005 überlebt.
ITR: Braucht es dazu eine Mindestgrösse oder können solche Leistungen auch von kleinen Firmen erbracht werden?
ES: Wir erleben jetzt die zweite Internet-Welle. Nicht nur für die IT-Industrie werden sich in den nächsten fünf Jahren die grössten Chancen bieten, die die Industrie überhaupt je hatte. Die Dot-Com-Blase war ein Experiment. Jetzt kommt «The Real Thing». Es geht darum, das Internet in die Prozesse der Firmen zu integrieren. Es wird ein weltweites Gitter aus verknüpften Diensten entstehen.
Partner müssen den Wechsel antizipieren und rechtzeitig fähig werden, eine andere Service-Firma zu werden, als sie es heute sind. Shareholder-Value entsteht aus einem nachhaltigen Geschäftsmodell. Services für die zweite Internet-Welle anzubieten, ist so ein nachhaltiges Geschäftsmodell.
ITR: In der Vergangenheit hat sich Sun als «New-Economy»-Firma positioniert. Ein Fehler?
ES: Unser Slogan war immer: «The network is the computer». Wir bauen das Netz und wir machen es sicher und zuverlässig. Wir haben uns nicht verändert. Wir wurden zwar auch von der Internet-Marketing-Blase erfasst, aber unsere Vision wurde dadurch nicht verändert. Wir wollen Ressourcen überall und auf jedem Gerät verfügbar machen.

ITR: Aber Sun schadete die Positionierung als «New-Economy»-Company.

ES: Die Blase war eine Blase. Wir haben davon profitiert und wurden dann vom Platzen der Blase auch getroffen. Aber wenn Sie unser Wachstum über die letzten fünf Jahre anschauen, sehen Sie, dass wir der Hersteller von Systemplattformen sind, der am schnellsten gewachsen ist. Wir haben Marktanteile gewonnen. Man darf nicht nur Quartale vergleichen.
ITR: Letzten Herbst musste Sun zum ersten Mal – nach Jahren des Wachstums und des Erfolgs – in der Schweiz Arbeitsplätze abbauen. Wie gehen Sie damit um?
ES: Sun hat weltweit die Belegschaft um neun Prozent abgebaut. Aber bedenken Sie, dass wir diesen Schritt erst etwa ein Jahr nach der Konkurrenz angekündigt haben. Das zeigt doch, wieviel Gewicht wir dem intellektuellen Kapital beimessen.
Wir haben sehr lange einem solchen Schritt widerstanden, doch nach dem 11. September hatten wir keine Wahl mehr. Es war überhaupt keine angenehme Übung. Keiner von uns, auch ich nicht, hatte Erfahrung mit Stellenabbau. Also mussten wir schnell dazulernen. Schnell zu lernen ist eine der Eigenschaften, die ein Sun-Manager haben sollte. Ich glaube, wir haben den Abbau mit vollem Respekt gegenüber den Betroffenen durchgeführt.
Doch ich denke, wir haben – zumindest in der Schweiz – das Wellental schon durchschifft. Das ist die gute Nachricht: Erstens, dass das Wellental überwunden ist und zweitens, dass es eben nur eine Welle war. Wir können die allgemeine Wirtschaftslage nicht beeinflussen, aber wir können uns selbst und unsere Kunden beeinflussen. Das machen wir jetzt. Wir entwickeln die kundenzentrierte Kultur weiter.

ITR: Sprechen wir noch über Cobalt und Linux...

ES: Sun ist bereits die Firma, die am meisten zur Linux-Gemeinde beiträgt. Wir wollen nun dem Kunden eine einzige Sicht auf seine Applikationen erlauben. Wenn man über unternehmenskritische Applikationen spricht, dann ist Solaris eine erprobte, unschlagbare Plattform. Das ist unser Kerngeschäft.
Wir glauben, dass Appliances stark im Kommen sind. Sie brauchen nicht alle Features von Solaris. Als Teil der Unix-Familie glauben wir, dass Linux und embedded-Linux dort eine Rolle spielen kann. Wir bieten damit dem Service-Provider und der Grossfirma eine End-to-End-Lösung. Wir bieten das gleiche Service-Set vom Datencenter bis zur Appliance am Rand des Netzwerks. Wir sind der einzige Mitspieler am Markt, der das kann.
ITR: Ist es vorstellbar, dass ein neuer Sun-Channel für Linux entsteht? Linux-Cracks als One-man-Shows, die Cobalt-Boxen verkaufen?
ES: Eine interessante Frage. Linux-Edge-Computing ist ein Commodity-Markt. Ich denke, Service-Provider sind der wichtigste Channel für Edge-Computing. Sie werden die Komplexität intern managen und die Dienstleistungen nach aussen vertreiben. (Interview: hc)


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