Verspätungen im Projektfahrplan

Die Wirtschaftskrise erreicht mittlerweile auch den Markt für Business-Software. Zwar ist das Bedürfnis nach zeitgemässen Software-Lösungen nach wie vor gross, doch viele Unternehmen sind vorsichtiger geworden. Projekt-Einheiten werden kleiner oder auf die lange Bank geschoben.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2009/06

     

Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Das zeigt die aktuelle Situation sehr deutlich. Wer weiss, wie schlimm es um die Zukunft tatsächlich steht, ist eher in der Lage, zu agieren, als jemand, der am Abgrund steht, ohne den Boden zu sehen. Nicht zufälligerweise forderte bereits im Januar der Nobelpreisträger Paul Krugman, die von ihm als «Zombie-Banken» bezeichneten, von Steuergeld gestützten Banken endlich zu verstaatlichen. «Sie sind mittlerweile total von Staatsgeldern abhängig, aber niemand will das anerkennen und die offensichtlichen Konsequenzen daraus ziehen», schrieb er in der «New York Times».


Der Beweggrund hinter dieser Vorderung ist klar: Mit jeder weiteren Geldspritze, die in den besorgniserregenden Bilanzen der Banken versickert, wächst das Misstrauen gegenüber der Finanzindustrie und das drückt auf die Investitionsbereitschaft. Das bekommt zunehmend auch die IT-Industrie zu spüren: «Die Finanzkrise zeigt nun deutlich negative Spuren bei den geplanten Ausrüstungsinvestitionen der Wirtschaft, dies hat direkten Einfluss auch auf die Investitionen und Ausgaben für ICT. Zunehmend werden Projekte verschoben und laufende Verträge überprüft und allenfalls neu verhandelt», beschreibt Philipp Ziegler, Geschäftsführer des Schaffhauser Marktforschungs- und Beratungsunternehmens MSM Research, die Situation.

Projekte verzögern sich

Dass Unternehmen in unsicheren Zeiten dazu tendieren, ihr Bargeld zusammenzuhalten, zeigen auch die ­anlässlich einer nicht repräsentativen Umfrage von IT Reseller gemachten Aussagen von 20 Schweizer IT-Dienstleistern. «Die Kostensensitivität seitens der Kunden nimmt zu», sagt beispielsweise Eckhard Baschek, Direktor Marketing & Communications bei CSC Switzerland. Die Notwendigkeit für IT-Investitionen sei zwar vielerorts gegeben, allerdings fielen die Entscheide seitens der Verwaltungsräte sehr zögerlich aus, fügt Bytics-Geschäftsführer Pascal Eltschinger an. Das ist ein Punkt, den viele der Befragten bestätigen. «Die Planungsunsicherheit bei den Kunden ist gross», beschreibt ein Geschäftsleitungsmitglied eines mittelständischen Dienstleisters, der nicht genannt werden möchte, die Situation. Wird ein Projekt dennoch aufgegleist, fallen die einzelnen Projekt-Einheiten laut mehreren Aussagen deutlich kleiner aus als bisher. «Projekte werden verschoben oder redimensioniert», sagt Marc Werlen, Head Marketing & Communication bei Netcetera. Ins gleiche Horn stösst auch Oliver Baur, CEO von Columbus IT Partner.

Software-Markt steht gut da

Trotz aller Hiobsbotschaften scheint der Markt für Business-Software noch auf hohem Niveau zu schwächeln. Zwar korrigierten sämtliche Marktforscher ihre Prognosen zum Ende des vergangenen Jahres nach unten, dennoch darf im Gegensatz zu anderen Branchen noch auf ein kleines Wachstum gehofft werden. So geht MSM Research im Moment noch von einem Wachstum von 1,4 Prozent aus (inkl. Betriebssysteme usw.). Zum Vergleich: Die Investitionen in Hardware werden nach jüngsten Schätzungen gegen­über 2008 um 1,7 Prozent schrumpfen. Auch hier ist die Unsicherheit gross. Gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Zahlen weist MSM darauf hin, dass hinsichtlich der aktuellen Negativmeldungen beim nächsten Update der Zahlen im Juli mit weiteren Anpassungen nach unten zu rechnen sei. «Die aktuellen Zahlen basieren auf Erhebungen in den Monaten November, Dezember und Januar», sagt Ziegler. Angesichts der Erhebungen im Februar dürften sie zu optimistisch sein.
Um die Dimensionen etwas zu umreissen: Gemäss Ziegler wurden 2008 in der Schweiz 604,5 Millionen Franken für Neulizenzen ausgegeben. Davon entfiel rund die Hälfte auf En­terprise Resource Planning-(ERP-)Lösungen. 16,2 Prozent der Ausgaben wurden in Customer Relationship Management-(CRM-)Software investiert, 12 Prozent ins Enterprise Content Management (ECM), 11,6 Prozent in Business Intelligence (BI), 5,7 Prozent ins Supply Chain Management und 5,4 Prozent in E-Procurement. Am meis­ten wachsen dürften im laufenden Jahr die Bereiche Business Intelligence (BI) mit 7,3 und Enterprise Content Management (ECM) mit 5 Prozent.


In Sachen ERP soll das Wachstum nach den aktuellen Schätzungen noch 3,2 Prozent betragen. Entsprechend liegen die Erwartungen im Bezug auf das Umsatzwachstum bei den meisten Umfrageteilnehmern nach wie vor im positiven Bereich. So geht knapp die Hälfte der von IT Reseller Befragten von einer Zunahme im Bereich von
1 bis 5 Prozent aus. Drei rechnen mit einer Stagnation und lediglich zwei Teilnehmende rechnen mit einem Umsatzrückgang.

Risiko- und Liquiditätsmanagement

Die Tatsache, dass BI an der Spitze liegt, ist für die Analysten des deutschen Business Application Research Center (Barc) kein Zufall. Sie führen unter anderem ins Feld, dass in Sachen BI noch keine Marktsättigung zu erkennen sei. Zudem sei der Informationsvorsprung für Entscheidungsträger gerade in Krisenzeiten überlebenswichtig. Des weiteren würden BI-Projekte meist als Einführung von punktuellen Controlling-, Planungs- oder Risiko-Management-Lösungen durchgeführt und seien daher weniger anfällig für Investitionsstopps als Grossprojekte wie ERP-Einführungen.


Auch diverse ERP-Hersteller glauben, dass angesichts der aktuellen Situation insbesondere Software für das Liquiditätsmanagement gefragt sei. So hat beispielsweise der Ulmer Software-Hersteller Wilken seine ERP-Suite mit einem Modul für das Liquiditätsmanagement aufgerüstet, das Unternehmen dabei unterstützt, ihre Zahlungsfähigkeit sicherzustellen. Auch der ERP-Anbieter AP hat solche Funktionserweiterungen in seine Lösung AP Plus integriert. Und Bytics-Geschäftsführer Pascal Eltschinger gibt an, dass seine Kunden sich von ihrer Softwarelösung in erster Linie kürzere Reaktionszeiten auf Offertenanfragen sowie zuverlässige und kontinuierliche Kennzahlen ihrer Firma erhoffen.

In Mitarbeiter investieren

Mit ähnlichen Argumenten versuchen viele IT-Dienstleister der Krise etwas Positives abzugewinnen. «In der Krise hätten die Unternehmen Zeit, bisher aus Kapazitätsgründen aufgeschobene Projekte nachzuholen», ist ein Argument, das man dieser Tage des öfteren zu hören bekommt. Nun habe man die nötige Zeit, um sich für den kommenden Aufschwung zu rüsten. Die Umfrageteilnehmer selber wollen die Zeit der sinkenden Nachfrage offenbar ähnlich nutzen. So plant über die Hälfte der IT-Reseller-Umfrageteilnehmer, im laufenden Jahr in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investieren. Immerhin gut 40 Prozent wollen die Infrastruktur ausbauen oder modernisieren und die Produktentwicklung vorantreiben. Rund ein Drittel gibt an, neue Geschäftsfelder erschliessen zu wollen und ebenso viele liebäugeln, angesichts sinkender Unternehmenswerte, gar mit Akquisitionen.


Die Umfrageergebnisse deuten aber auch an, dass nicht nur die angeschlagenen Banken und Autobauer auf Hilfe von Seiten des Staates hoffen, sondern auch IT-Dienstleister. So sehen zwei Drittel der Befragten Öffentliche Verwaltungen als Potente Kunden für ihre Produkte und Dienstleistungen. Auf Platz zwei der aussichtsreichsten Branchen liegt - angesichts der Wirtschaftsmeldungen eher erstaunlich - die Industrie mit 60 Prozent, gefolgt vom Gesundheitssektor mit knapp 50 Prozent. Knapp dahinter finden sich die Energiebranche und, aller Probleme zum Trotz, die Finanzindustrie.

Fachleutemangel bleibt

Betont optimistisch geben sich Dienstleister, welche die Lösungen nicht nur Implementieren, sondern auf Kundenwunsch auch gleich betreiben. Sie erhoffen sich vom zunehmenden Kos­tendruck der Unternehmen zusätzliche Outsourcing-Aufträge. Ein grosser Dienstleister sieht den Fokus im laufenden Jahr klar bei IT-Projekten mit direktem Kostenbezug. T-Systems-Sprecherin Senta Kleger formuliert das so: «In der Krise eröffnet sich unseren Kunden die Chance, sich noch stärker auf das Kerngeschäft zu konzentrieren und so einen grösseren Handlungsspielraum im Markt zu gewinnen.»
Was vielen Dienstleistern angesichts der Krise noch zugute kommt, sind die nach wie vor vollen Auftragsbücher, die erst noch abgearbeitet werden müssen. Auf die angespannte Arbeitsmarktsituation hat sich die Krise indes noch nicht ausgewirkt. Noch immer fällt es vielen IT-Dienstleistern schwer, das notwendige Fachpersonal zu finden. Und selbst wer die Krise bereits spürt, will den Personalbestand nicht gleich verringern. Man könnte riskieren, den kommenden Aufschwung zu verpassen. (Markus Gross)


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