Auch kleine Lösungen erfordern klare Definitionen

Mit einer Analyse der zukünftigen Lösung wird auch bei kleinen Unternehmenskunden garantiert, dass Lieferant und Kunde das gleiche Ziel vor Augen haben.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/20

     

«Rennen nützt nichts, man muss rechtzeitig aufbrechen.» Im ersten Abklärungsgespräch für die Lieferung einer neuen betriebswirtschaftlichen Gesamtlösung an eine kleinere Unternehmung kommt mir der schöne Spruch von Lafontaine immer wieder in den Sinn. Meistens finden solche Gespräche unter erheblichem Zeitdruck statt: Da der Einführungstermin in zwei Wochen schon feststeht, hat der Kunde keine Zeit für Diskussionen.
Lieferant und Kunde verfallen dann gerne dem Wunschdenken, eine neue Software könne als «Standardlösung ab Stange» gekauft werden und müsse nicht im Detail besprochen werden. Umso fleissiger wird dann über Preise und Liefertermine gefeilscht. Was bei kleinen Lösungen durchaus Sinn macht, birgt bei grösseren Installationen handfeste Gefahren.

Von Grossprojekten lernen

Zum Glück gibt es heutzutage jede Menge Theorien über die methodengerechte Durchführung von EDV-Projekten: eine Projektorganisation gehört her, Ablaufpläne, Vorstudien, Hauptstudien, organisierte Kreativität mit Lösungsvarianten samt Zielbäumen und verschiedenes mehr. Wenn ich dies dem Verantwortlichen einer kleineren Unternehmung alles zumuten würde, käme das Geschäft nie zustande. Trotzdem kann man aus der Erfahrung von grösseren Projekten auch Erkenntnisse für kleinere Projekte gewinnen, wenn man sich auf ein paar wesentliche Dinge konzentriert. Bevor ich mich darauf einlasse, eine neue Lösung bei einem Kunden einzurichten, achte ich speziell auf folgende Punkte:
Habe ich ein klares Bild davon, wie die heutige Lösung aussieht und was sie macht?
Was ist an der heutigen Lösung gut, was kann verbessert werden?
Was gehört zur neuen Lösung, was nicht?
Sind die zeitlichen Vorgaben und das Budget realistisch?
Kann der Kunde die notwendigen Mitarbeiter für das Projekt verfügbar machen?
Es bewährt sich, diese Fragen mit dem Kunden zusammen zu klären und in einer kleinen Analyse der zukünftigen Lösung festzuhalten. Dieses Dokument dient sowohl als Grundlage für die Realisierung der Lösung wie auch als Dokumentation für die zukünftigen Anwender.
Der Aufwand für eine kleine Analyse beträgt in der Regel 2 bis 3 Arbeitstage und sprengt damit den Rahmen einer kostenlosen Offerte.
Im ersten Gespräch mit dem Kunden versuche ich, den Umfang der zukünftigen Lösung abzustecken und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, indem ich ihm glaubwürdig darlege, dass ich sein Problem verstehe und eine gute Lösung finden kann. Der erste Auftrag besteht dann in der Erarbeitung der Analyse, welche die Grundlage für die restliche Auftragserteilung bildet.

Ein Beispiel aus der Praxis

Ein Vertriebspartner ruft mich an: Er möchte, dass ich ihn beim ersten Gespräch mit einem Interessenten unterstütze. Es geht um einen mittelständigen Betrieb in der Metallverarbeitungsbranche mit etwa 30 Mitarbeitern, der eine Gesamtlösung mit Finanzbuchhaltung, Auftragsbearbeitung und Lohnbuchhaltung sucht. Beim ersten Gespräch lernen wir den Produktionsleiter und den Betriebsinhaber kennen.
Das Gespräch verläuft ziemlich chaotisch, denn es gibt viele Problemfelder zu besprechen. Statt eine Demonstration zu machen, gehe ich deshalb dazu über, eine erste Bestandesaufnahme der aktuellen Situation und der Kundenwünsche vorzunehmen. Unsere Software zeige ich nur kurz, um einen Eindruck von den Möglichkeiten und der Benutzeroberfläche zu vermitteln.

Zuerst meist Misstrauen

Der Produktionsleiter ist am Anfang ziemlich misstrauisch. Um seine Aufgabe zu vereinfachen, hat er in seiner Freizeit in liebevoller Kleinarbeit eine spezielle Datenbank aufgebaut und setzt diese als Hilfsmittel auf seinem PC ein, um Grundlagen für die Produktionsplanung und Steuerung zu haben sowie die Teile am Lager zu verwalten. Die gesamte Administration der Aufträge, von der Auftragsbestätigung über die Lieferscheine bis zu den Rechnungen, ist nicht integriert und wird im Büro aufwendig von Hand gemacht.
Durch einen personellen Wechsel ist zudem die Administration der Aufträge ins Hintertreffen geraten, so dass alle Beteiligten unter dem Stress der hängigen Aufträge leiden. Der Betriebsinhaber will deshalb sofort eine neue Lösung einführen. Nach vier Stunden intensivster Gespräche stimmen der Produktionsleiter und der beigezogene Betriebsinhaber meinem Vorschlag zu, die Grundzüge der neuen Lösung in einer kleinen Analyse festzuhalten. Angesichts der Breite der aufgeworfenen Themen gehen wir davon aus, dass die Analyse einen Aufwand von fünf Arbeitstagen benötigen wird.
Während der Analyse haben wir auf Grund der bestehenden Datenbanklösung sowie der Belege in der Administration die bestehenden Arbeitsabläufe dokumentiert. Da die Abläufe grundsätzlich in Ordnung waren, haben wir folgende Verbesserungen anvisiert:
Haltung der relevanten Auftragsdaten in einem mehrplatzfähigen System mit Zugang für alle betroffenen Mitarbeiter
Einbindung der Administration von der Auftragsbestätigung bis zur Fakturierung und Verbuchung
Unterstützung der Produktionsplanung und Steuerung durch Lagerlisten, Auftragslisten und Produktionsaufträge
Am spannendsten sind bei solchen Analysen oft die Fragen der Abgrenzung der neuen Lösung. Dieser Begriff kommt aus dem Systems Engineering1 und bedeutet, dass man die Grenzen des neuen Systems klar festhält (was gehört dazu und was nicht) und die wesentlichen Schnittstellen zur Aussenwelt präzis beschreibt (was geht hinaus, was kommt herein). Im vorliegenden Fall wurde festgelegt, dass die Produktionsplanung und Steuerung (PPS) nicht zum neuen System gehört, sondern weiterhin durch den Produktionsleiter und den Betriebsinhaber auf Grund von verschiedenen Angaben aus der neuen Software gemacht wird.

Stufenweise Umsetzung

Die Analyse wurde vor der Realisierung durch alle betroffenen Mitarbeiter geprüft und bestätigt. Die Umsetzung erfolgte stufenweise: Zuerst wurden die Standardkomponenten Finanzbuchhaltung und Lohn eingeführt. Vor Inbetriebnahme der Auftragsbearbeitung wurden Kundenstämme, Artikelstämme und Stücklisten erfasst und die Arbeitsabläufe anhand von praktischen Beispielen durchgespielt. Nach den Betriebsferien wurden schliesslich die aktuellen Lagerbestände eingegeben; damit konnte die Lagerbewirtschaftung in Betrieb genommen werden. Dieses stufenweise Vorgehen hat den grossen Vorteil, dass sich nicht alle Arbeitsgänge gleichzeitig ändern, und die Benutzer die neue Umgebung Schritt für Schritt kennen lernen.
1 siehe Systems Engineering von Walter F. Daenzer, Verlag Industrielle Organisation, Zürich.

Der Autor Thomas Rüttimann
E-Mail: thomas.ruettimann@cashman.ch


Der Autor ist Geschäftsführer und Mitinhaber der Pass AG, Zug. Nach seinem Abschluss als Elektroingenieur an der ETH in Zürich hat er die Pass AG als Ingenieurbüro für DV-Dienstleistungen gegründet. Die erste «Cashman»-Version erschien 1993 als Vorerfassungsmodul, mit dem KMUs ihre Buchhaltungsdaten selbständig auf Ihrem PC erfassen konnten um sie danach dem Treuhänder für die Abschlussbearbeitung zu schicken. Heute ist Cashman eine betriebswirtschaftlichen Gesamtlösung für KMUs, mit Hauptmodulen für Finanzbuchhaltung, Auftragsbearbeitung, Lohnbuchhaltung und Vorerfassung für den Treuhand-Kunden.


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