«Worst Case»: Der Anschlag und die Industrie

Die Attacke auf das New Yorker World Trade Center hat nicht nur viele menschliche Tragödien verursacht, sondern traf mit dem Zentrum der US-Finanzindustrie auch ein Gebiet mit ungeheurer Dichte an IT-Infrastruktur und Daten.

Artikel erschienen in IT Reseller 2001/16

   

Kaum war das erste Flugzeug in den WTC-Tower eingeschlagen, als bei den Datensicherungsunternehmen die ersten Hilferufe eingingen. Solche Unternehmen helfen ihren Kunden, sich auf Überflutungen, Feuer, Erdbeben oder eben kriegerische und terroristische Angriffe vorzubereiten.
Sie bieten ihnen sichere Räume für Backups und ausgeklügelte Systeme, die relevante Vorgänge auf Remote-Computern spiegeln. Das auf Daten-Wiederherstellung spezialisierte Unternehmen Comdisco etwa erhielt Hilferufe von 90 Unternehmen. 35 davon waren bereits Comdisco-Kunden. Diese arbeiten bereits wieder, wie Vice President Damian Walch mitteilt. Gegenüber Gartner Research betonte er, entscheidend sei, dass man Katastrophenpläne ausgearbeitet und diese regelmässig getestet habe. Zudem seien alle wichtige Aufzeichnungen elektronisch gespeichert worden.
Es wird damit gerechnet, dass die Preise für die Datenrettung steigen. Doch die Hilfsbereitschaft ist gross. Greg Olson, Chef von Ontrack Data International, will beispielsweise die Dienste seiner Firma, die sich auf die Rettung von kaputten Festplatten und Tapes spezialisiert hat, unter dem Marktpreis zur Verfügung stellen. Auch IBM und HP haben ihre Dienste für die Datenrettung angeboten. Für Sun, die viele Kunden unter den Finanzanbietern in New York hat, steht vor allem die Planung weiterer Massnahmen im Vordergrund, wie Kevin Coyne, Director for Enterprise Services, sagte: «Es gilt festzustellen, was benötigt wird, und dann sicherzustellen, dass wir es liefern können.»

Angst vor Cyber-Anschlägen

Das FBI hat die IT-Administratoren aufgefordert, ihre Firmen-Netze gegen eventuelle Online-Attacken abzusichern. Auch Gartner wies in einem Konferenzgespräch mit Kunden darauf hin, dass bisher zwar kein Cyberterrorismus festgestellt wurde, die Unternehmen aber wachsam sein müssten, da das Web als Waffe benutzt werden könnte.
Die Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass die meisten Firmen-Netze erhebliche Schwächen aufweisen. Der E-Security-Beauftragte von Unisys, Sunil Misra, bezeichnete den Zustand der meisten Unternehmens-Netzwerke als «nicht so toll» und fügte hinzu, dass insbesondere die Sicherheits-Anforderungen an die Systeme von Fluggesellschaften, Atomkraftwerken, Telekommunikations-Dienstleistern und anderen Infrastruktur-Anbietern erhöht werden müssten.
Der Sicherheits-Dienstleister Redsiren Technologies riet seinen Kunden, alle nicht unbedingt notwendigen Verbindungen zum Internet zu kappen. So weit mochten die Gartner-Experten nicht gehen, meinten aber, Firmen sollten auf verdächtigen Verkehr achten, der auf einen Denial of Service-Angriff hindeuten könnte. Die texanische Sicherheitsfirma Netsolve rät, insbesondere vermehrt die Systemprozesse und Log-Files zu überwachen.

Hilfsbereitschaft – aber auch Betrüger

Für die Opfer des Angriffs wird eifrig gesammelt, nicht zuletzt im Web. Ebay hat eine «Auction für America» angekündigt, für welche Palm bereits Produkte im Wert von fünf Millionen Dollar versprochen hat. Der Erlös soll einem Wohltätigkeitsfonds zugute kommen. Yahoo, Paypal und Amazon hatten bereits kurz nach dem Attentat Online-Sammelstellen eingerichtet.
Für das amerikanische Rote Kreuz wurden bisher 102 Millionen gespendet, davon 36,5 Millionen über das Internet. Die Heilsarmee kommt auf 1,5 Millionen, von denen der grösste Teil über die Yahoo-Site einging.
Doch auch die miesen Geschäftemacher liessen nicht lange auf sich warten. Konsumentenvereinigungen warnen vor betrügerischen Mails, deren Urheber vorgeben, für die Opfer zu sammeln. Die Links auf das Rote Kreuz und andere Wohlfahrtsverbände führen dann aber zu kommerziellen Unternehmen. Gewarnt wird zudem vor eilig aufgesetzten Sites, die um Spenden werben. Diese würden die Opfer mit Sicherheit nie erreichen.
Selbst Bin Laden, so vermuten zumindest amerikanische Finanzexperten, könnte vom Terror-Angriff in Form von Börsenspekulationen profitiert haben. Zumindest verfüge er über die Möglichkeiten dazu.

Schlechte Prognose für die IT-Industrie

Angesichts der jüngsten Ereignisse hat IDC die Vorhersagen über den IT-Markt korrigiert. «Was wir bisher für das Worst-Case-Szenario hielten, erscheint nun als der wahrscheinlichste Fall», sagte Chef Marktforscher John Gantz. IDC erwartet jetzt, dass die IT-Ausgaben nicht, wie früher vorausgesagt, gegenüber dem letzten Jahr um 11 Prozent steigen werden, sondern nur noch um 7,9 Prozent. Für 2002 gehen die IDC-Analysten von 8,5 Prozent Wachstum aus, für 2003 von 10,4 und für 2004 von 10,8 Prozent.
Laut IDC wird der weltweite Markt von der Situation in den USA beeinflusst, wie die IDC-Analystin Vicky Hawksworth ausführte: «In den USA halten viele Unternehmen mit ihren Ausgaben zurück. Es wird befürchtet, dass die Katastrophe das Vertrauen der Konsumenten schwächt und dies zu einer weiteren Verlangsamung führt.» Hawksworth fügte jedoch hinzu, dass nicht alle Sektoren gleichermassen betroffen seien: «Während die Märkte für Hardware und Telekommunikation schon vorher gesättigt waren, besteht für Software und Dienstleistungen weiterhin eine gewisse Nachfrage, die für bestimmte Sektoren wie etwa Outsourcing- und Sicherheitsangebote sogar noch steigen könnte.» (fis)


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wie hiess im Märchen die Schwester von Hänsel?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER