Leere Taschen bei Firmen und Mitarbeitern

Die abgeschwächte Wirtschaftssituation in den USA macht mittlerweile allen Zweigen der IT-Industrie zu schaffen. In den letzten Wochen häufen sich die Meldungen über Gewinn- und Umsatzwarnungen aus Übersee. Die Folge: Massenentlassungen und Einstellungsstops.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/04

     

Alles begann mit dem Dot-com-Sterben in den USA. Als die Euphorie der Ernüchterung wich, wurden auch Webagenturen und Online-Werber von der Entlassungswelle mitgerissen. Bliesen noch vor einem Jahr alle ins selbe Horn und beschworen, man könnte noch viel schneller wachsen, wäre da nicht der vielzitierte Personalmangel, so hat sich das Blatt mittlerweile gewendet. Dot-com ist mittlerweile ein Schimpfwort und ein Synonym für Null-Einkünfte bei hohen Ausgaben geworden. Dass sich nun in den USA auch noch eine veritable Rezession eingeschlichen hat und im Herbst der Sturz am Nasdaq Stock Exchange die restlichen Technologiebörsen mit in die Tiefe riss, führte dazu, dass mittlerweile selbst etablierte und hochprofitable Unternehmen ihre Erwartungen zurücknehmen müssen. Meldungen über Gewinn- und Umsatzwarnungen, Restrukturierungsmassnahmen und Entlassungen häufen sich bei Konzernen und Netzwerken aller Sparten der IT. Und auch hierzulande führen Fusionen zu Doppelspurigkeiten, die Entlassungen zur Folge haben. Die folgende Aufzählung ist nur ein Auszug der wichtigsten Meldungen der letzten zwei Monate.
6. Januar: Der Online-Spielzeug-Händler Etoys wird 700 seiner 1000 Mitarbeiter per Ende März entlassen. Im Februar wird bekannt, dass auch die restlichen Mitarbeiter ihre Jobs verlieren werden.
9. Januar: E-Business-Berater Cambridge Technologies will sieben Prozent seiner weltweit 3600 Mitarbeiter entlassen. Die Firma reagiert damit auf den Verlust von 20 Mio. Dollar im 4. Quartal 2000.
12. Januar: Die PC-Krise trifft Gateway: Aufgrund der Millionenverluste im vierten Quartal sollen 3000 der total 24’000 Angestellten entlassen werden.
15. Januar: Der einstige Frankfurter Börsenliebling Intershop zieht die Konsequenzen aus dem schlechten Geschäftsgang in den USA und kündigt 80 Mitarbeitern (oder einem Drittel der USA-Belegschaft). Weitere Entlassungen sind zu erwarten. Die Aktie verliert nach einer Gewinnwarnung für Q4/00 innert Stunden um 70% an Wert. Unangenehm: Es droht eine Klage der Anleger. Sie fühlen sich geprellt.
24. Januar: Der amerikanische Telco-Ausrüster Lucent wird bis Juli 10’000 Stellen (oder 10% der Belegschaft) abbauen. Mit den Massenentlassungen will Lucent zwei Mrd. Dollar einsparen. Laut Sigurt Schilling, Geschäftsführer von Lucent Schweiz, ist Europa nicht von den Entlassungen betroffen. Im Gegenteil: Für das Neue Bell Lab in Nürnberg werden noch 400 Fachleute gesucht und in der Schweiz soll die 90-köpfige Mannschaft in diesem Jahr um fünf bis 10 Fachleute im Marketing-, Sales- und Technologiebereich verstärkt werden.
25. Januar: Medienriese AOL Time Warner wird 2400 Mitarbeiter entlassen. Weitere 3800 Jobs könnten gefährdet sein, sollte AOL die Warner Bros schliessen oder verkaufen.
26. Januar: Ericsson verkauft den verlustreichen Handy-Bereich an den US-Konzern Flextronics. 7000 der 18’000 Angestellen in diesem Bereich werden bis Ende 2001 entlassen, Flextronics übernimmt 4200 Leute.
29. Januar: Laut US-Medien soll der Telekomriese Worldcom seine Restrukturierungsmassnahmen fortsetzen und 10’000 Angestellte oder 15% der Belegschaft entlassen. Durch die Integration der Worldcom-Tochter Uunet müssten Doppelspurigkeiten beseitigt werden. Angela Baker, PR-Verantwortliche Worldcom International, will sich auf Anfrage von IT Reseller nicht dazu äussern – es handle sich um eine reine Spekulation der Medien. Ein offizielles Statement gibt es nicht.
1. Februar: Zusammen mit dem Nettoverlust von 545,1 Mio. Dollar allein für das vierte Quartal 2000 gibt der Online-Händler Amazon bekannt, im ersten Halbjahr 1300 Mitarbeiter (15% der Belegschaft) zu entlassen. Die Betroffenen sollen Abfindungen erhalten und mittels Unterschrift besiegeln, nichts gegenüber Dritten (insbesondere den Medien) über den Rauswurf bekannt zu geben.
5. Februar: Der angeschlagene Online-Spiezeugwarenhändler Etoys entlässt per 6. April weitere 293 Mitarbeiter. Wenn es auch Anfang Februar noch hiess, Etoys hätte nur noch bis 31. März genügend liquide Mittel, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, wird am 26. Februar bekannt, dass die Schliessung und die Beantragung des Gläubigerschutzes bereits Anfang März erfolgen wird. Die Schulden belaufen sich auf 274 Mio. Dollar.
6. Februar: Razorfish, einer der grössten Internetdienstleister, wird 400 der insgesamt 1800 Stellen streichen. Das Unternehmen steht an der Börse unter Druck und erwartet für das vierte Quartal 2000 einen Verlust. Durch die Entlassungen sollen 70 Mio. Dollar jährlich gespart werden.
8. Februar: Der deutsche Linux-Disti Suse Linux teilt mit, einen Grossteil seiner US-Belegschaft zu entlassen.
13. Februar: Die Zürcher Crealogix bekommt die Konkurrenz zu spüren und leitet Massnahmen ein, um die Kostensituation dem verlangsamten Marktwachstum anzugleichen: Der Personal-Mix wird optimiert und auf einen Teil der vorgesehenen Neueinstellungen verzichtet.
14. Februar: In einem Interview mit Bloomberg TV gibt Carlos Pacual, Executive Vice President von Xerox bekannt, dass der strauchelnde Druckerriese 10’000 Leute entlassen will. Ein Sprecher dementierte zwar umgehend, wollte sich aber auch nicht auf eine genaue Zahl der zu Entlassenden äussern. Bereits im letzten Jahr hatte Xerox 2000 Jobs gestrichen. Laut Auskunft von Gion Condrau, Country Manager Xerox Schweiz und Österreich, rechnet man international mit 4000 Entlassungen. Ziel sei die Einsparung von einer Milliarde Dollar, was neben Entlassungen auch durch Verkäufe von Firmenteilen und Outsourcing erreicht werden soll. In der Schweiz seien keine Entlassungen geplant, man wolle aber möglichst mit den bestehenden Ressourcen auskommen. In den Bereichen Sales und Support werden sogar noch Leute gesucht.
15. Februar: Nachdem bereits fast alle Neueinstellungen gestoppt worden waren, gibt Dell bekannt, dass in der Zentrale in Texas 1700 Jobs verloren gehen werden. Reisen, die nicht mit Verkaufs-Aktivitäten zusammenhängen, werden verboten, einzelne Marketingprogramme gestoppt. Dell reagiert damit auf die PC-Krise, die in den USA immer stärkere Ausmasse annimmt.
15. Februar: John Chambers, der CEO von Cisco Systems, erklärt, dass aufgrund der wirtschaftlichen Verlangsamung im Hightech-Sektor ein Aufnahmestop für neue Mitarbeiter erteilt worden ist. Dennoch plant Cisco Akquisitionen bis zu zehn Mrd. Dollar. Durch den Börsenkollaps seien nun viele Firmen billiger zu haben. Chambers will aber besonders bei Unternehmen mit einer grossen Anzahl Mitarbeiter vorsichtig sein. Laut Reiner Fischer, Marketing Leiter Cisco Switzerland, werden auch in der Schweiz momentan keine neuen Jobs mehr vergeben. Wie lange die Massnahme anhält, ist unbestimmt, aber Fischer beruhigt: «Das hatten wir noch jedes Jahr.»
16. Februar: Nachdem Nortel Networks bereits im Januar bekanntgegeben hatte, 4000 Stellen zu streichen, gibt der kanadische Netzwerk-Ausrüster eine Gewinn- und Umsatzwarnung heraus und will weitere 10’000 Mitarbeiter entlassen. Betroffen seien vor allem Mitarbeiter in Business Units mit wenig lukrativen Produkten. Weiter sollen die durch die aggressive Expansion entstandenen Redundanzen behoben werden. In der Schweiz werden laut Auskunft keine Entlassungen erfolgen.
19. Februar: Um «Doppelspurigkeiten, Überschneidungen und damit verbundene Überkapazitäten» zu vermeiden, werden bei Sunrise / Diax 500 Stellen abgebaut. 240 Mitarbeiter müssen gehen, der Rest des Abbaus soll über natürliche Fluktuation erfolgen.
20. Februar: Der in finanziellen Schwierigkeiten steckende ISP-Riese Psinet wird sich vom Geschäft mit Kleinkunden wieder trennen und in der Schweiz die beiden 1999 aufgekauften Firmen Tic und Spin in eine neue Firma auslagern, die später in die Unabhängigkeit entlassen werden soll.
21. Februar: VA Linux Systems kündigt die Entlassung von 25% der 556-köpfigen Belegschaft an und reagiert damit auf die jüngsten Quartalszahlen. VA Linux erreichte nicht mal mehr seine im Januar reduzierten Erwartungen und muss für Q2 einen Verlust von 28 Cents pro Aktie hinnehm


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