Miracle-Partner hocken aufs Maul

Für die ERP-Lösung ihrer Wahl haben Miracle-Partner viel Zeit, Manpower und Geld investiert — nun versiegt der Verkaufsstrom. IT Reseller hat mit zwei Vertretern der wichtigsten Partner gesprochen. Keiner will nun aber im Zusammenhang mit dem Langenthaler Desaster zu seinen Aussagen stehen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2000/22

     

Laut Branchenkennern gibt es in der Schweiz gerade mal drei Systemhäuser, die eigene Projekte mit Miracle.xrp abgewickelt haben. Alle anderen standen «im Sold» von Miracle, führten also lediglich Projekte für von Miracle selbst akquirierte Kunden aus.
IT Reseller hat mit zwei Geschäftsleitern von «Miracle System House»-Partnern, die eigene Projekte realisieren, gesprochen und sie über ihr Verhältnis zu Miracle und der Nachfolgeorganisation New Miracle befragt.
Die Aussagen waren interessant und zeigten zum Teil unterschiedliche Haltungen. Kurz vor Redaktionsschluss zogen jedoch beide Manager ihre Aussagen zurück, sie wollen ihre Namen nicht im Zusammenhang mit Miracle genannt haben.
So heisst es etwa vom einen Miracle-Partner, man könne «aufgrund von Informationen und Kenntnissen über die aktuellen Vorgänge sowie möglichen weiteren Schritten» einer Veröffentlichung des Interviews nicht zustimmen.
Beide Firmen beschäftigen zwischen 15 und 20 Leuten und haben je sieben Projekte mit Miracle.xrp bei typischen KMUs diverser Branchen mit über 100 Arbeitsplätzen am Laufen. Beide Unternehmen haben den Grossteil ihrer Belegschaft auf Miracle ausgebildet, das eine mittels interner Schulung durch einen Miracle-Spezialisten, das andere hat gar 13 Leute direkt bei Miracle für je ca. 20’000 Franken ausbilden lassen.

Basteln in Langenthal

Ob ein Kunde kurzfristig oder innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre die Lösung wechseln wird oder nicht, ist von Fall zu Fall verschieden. Zumindet vorerst werden die meisten Kunden zwangsläufig bei der Miracle-Lösung bleiben, denn sofort kann keiner ein neues System einführen. So werden zur Zeit Anpassungen vorgenommen, damit die Sofware so weit wie möglich genutzt werden kann.
«Wir können nicht für Miracle geradestehen», sagt etwa der Chef des einen «Miracle System House» und hat deshalb von seinen Kunden verlangt, sich für oder gegen die Weiterführung des Projekts zu entscheiden. Im schlimmsten Fall, wenn also die Entwicklung der Miracle-Sofware nicht weitergeführt würde, könne man aber immer noch eine Individualentwicklung anbieten. Wie man das gewährleisten will?
Man sei, beteuert der Informant, schon immer «von Langenthal unabhängig» gewesen. Statt dessen hätte man «gute Kontakte» zu den Entwicklern in der Ukraine, wo der Kern von Miracle.xrp entwickelt worden war, gepflegt.
Pikant: Die Probleme hätten nämlich erst dann begonnen, als man angefangen habe, in Langenthal an der Sofware «herumzubasteln». Bald wird es wohl soviele Varianten von Miracle.xrp geben, wie es noch Kunden hat, die dabei bleiben. Wozu also eine Weiterentwicklung von Miracle.xrp? Den alten Kunden wird ein Update nicht viel nützen, da sie auf einer Individualentwicklung sitzen. Ähnliche Informationen sind auch von anderer Seite zu hören. Die Miracle-Leute hätten bei Problemen die Entwicklungstools eingepackt und beim Kunden im Source-Code «gehackt».

Zuviel versprochen

Die beiden Firmeninhaber haben offensichtlich nur noch in beschränktem Masse Vertrauen in Miracle, obwohl beide noch an das Produkt glauben, das sie sich einst auf die Flagge geschrieben haben. Für das Scheitern von Miracle macht der eine vielsagend «Management-Fehler» verantwortlich, der andere jedoch wird deutlicher: «Das Problem war, dass Miracle den Kunden etwas versprochen hat, was die Software nicht hat halten können.»
Er führt den Erfolg seiner Projekte auf die Kompetenz seiner Belegschaft zurück und nicht auf das Produkt, denn man hätte «in einer sehr schwierigen Umgebung» gearbeitet. Vollmundig meint er: «Wir sind grundsätzlich nicht von Herstellern abhängig — weder von SAP noch von Miracle!»

Verkaufsstrom versiegt

Was die Zukunftschancen der New Miracle angeht, trennen sich jedoch die Geister. Der eine — in seiner amerikanophilen Art wohl etwas blauäugig — sieht Miracles Vorteil gerade in deren Scheitern: Es sei jetzt Zeit, einen Schnitt zu machen und aus den gemachten Erfahrungen zu lernen. Die neue Miracle könne gerade durch das Scheitern die Möglichkeit für einen Relaunch nützen. Eine Option, die grossen Sofwarehäusern wie Baan oder SAP verwehrt bleibe, da sie mit der Entwicklung schon zu weit fortgeschritten seien.
Schon eher realistisch und durchaus pragmatisch sieht es der andere Chef eines Miracle-Partners. Man gibt der neuen Miracle zwar eine Chance, weil man an das Produkt glaubt, will aber keine weiteren Investitionen in Miracle tätigen. Grosse Sofware-Firmen wie etwa SAP oder Microsoft könnten es sich im Gegensatz zu kleinen leisten, ein halbfertiges Produkt auf den Markt zu werfen und später einen neuen Release zu bringen. Und: «Der Schaden ist vor allem für Systemhäuser wie wir eines sind, sehr gross, da es so gut wie unmöglich ist, einen neuen Kunden für Miracle zu gewinnen.» Miracle selbst werde dies noch weniger gelingen.
Die grosse Hoffnung in den erwarteten Aufschwung mit einer Schweizer ERP-Lösung ist offensichtlich verflogen, der Verkaufsstrom versiegt. (mh)


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