«Was bedeutet schon Umsatz?»

Im letzten Jahr verkaufte die Magirus-Gruppe ihre Infrastruktur-Sparte dem IT-Distributor Avnet. Magirus-Kapitän Fabian von Kuenheim spricht mit IT Reseller über seine Beweggründe und die Zukunft des Lösungsanbieters.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/09

     

IT Reseller: Herr von Kuenheim, was waren die Beweggründe für den Verkauf der Infrastruktursparte an Avnet?
Fabian von Kuenheim: Um die Beweggründe zu verstehen, muss man die Aktivitäten von Magirus in den letzten zwanzig Jahren verfolgen. Wir haben uns immer als eine Firma positioniert, die Produkte und Märkte aus der Nische in die Breite bringt. Wenn man dieses Modell erfolgreich praktiziert, macht man plötzlich Masse und hat dann zwei Möglichkeiten: Entweder man ändert das Geschäftsmodell und wird Vertriebspartner des Produktes, das mittlerweile zum Standard geworden ist, oder man lanciert neue Produkte und gibt alte ab. Im IBM-Geschäft waren wir die Nummer eins in Europa. Deshalb gab es vor dem Verkauf intern viele Diskussionen. Letztlich mussten wir einsehen, dass wir mit dieser Art von Geschäft unsere Firmenphilosophie verbiegen.

Kann man diese beiden Modelle denn nicht parallel betreiben?
Nein, auf keinen Fall. Wenn man als Marktführer mit einem grossen und im Channel erfolgreichen Hersteller wie IBM arbeitet, dann hat dieser Hersteller genügend Möglichkeiten, um Sie voll zu vereinnahmen. So fehlt Ihnen irgendwann die Management-Kapazität für das andere Geschäft.


Nur wegen der Zeit?
Wegen der Zeit, aber auch weil kein Druck mehr da ist. Wenn beispielsweise ein Quartal mit EMC-Produkten schlecht läuft, dann reicht es, wenn man noch schnell einen grossen IBM-Deal abschliesst.

Also haben Sie einen grossen Teil des Umsatzes veräussert, um wieder Druck aufzubauen?
Genau. Hinzu kommt, dass man 2007 für ein gutgehendes Geschäft einen guten Preis bekommen hat.

Der Preis muss gestimmt haben, denn Sie haben ja nicht aus Not verkauft.

Das war der Fall. Mit dem Kauf hat Avnet als bisherige Nummer zwei in Europa den Konkurrenten Arrow Electronics unter Zugzwang gesetzt. Arrow hat dann zu Jahresbeginn die französische Logix übernommen, was meiner Meinung nach schon fast als Notkauf zu betrachten ist. Zwar hat Avnet nun eine gute Marktabdeckung in Europa, aber kein homogenes Portfolio. Sie werden also weiter einkaufen müssen, um es abzurunden. Damit liefern sich die beiden ein Wettrennen, das durch unseren Verkauf losgetreten wurde. So verändern sich der Markt und das Verhalten der Mitspieler. Künftig wird noch mehr über den Preis verkauft.


Also wäre die Konsolidierungswelle ohne Ihren Verkauf nicht losgegangen? Dann hätten Sie es ja noch ein paar Jahre gemütlich haben und Geld verdienen können.
Es gab zu diesem Zeitpunkt verschiedene, insbesondere viele lokale Anbieter, die aktiv nach einem Käufer gesucht haben. Wir hatten selber entsprechende Angebote auf dem Tisch. Wir hatten also die Wahl, zu verkaufen oder zu kaufen. Das Geschäft war zwar sehr erfolgreich, lag uns aber nicht am Herzen. In dieser Situation ist es schwierig, den Aktionären einen teuren Kauf schmackhaft zu machen. Einfacher ist es da, das Geschäft zu verkaufen und den Aktionären Geld zu geben.

Warum war das Geschäft derart unbeliebt?

Wir haben ein Geschäft verkauft, das nur noch einstellige Wachstumsraten aufweist. Das heisst, dass man mit dem Wachstum den Margenzerfall nicht mehr kompensieren kann und damit ständig an der Kostenseite ansetzen muss. Das permanente Kostensenken ist per se ein ärgerliches Thema, und wenn es zum eigentlichen Lebensinhalt wird, geht mir die unternehmerische Gestaltungsmöglichkeit ab. In dem Geschäft, das wir noch haben, kann man die Einnahmenseite stark beeinflussen. Es geht darum, die richtigen Produkte und Add-ons bereitzustellen. Man hat also viel Gestaltungsfreiraum. Wenn ich im Infrastruktur-Geschäft die Einnahmenseite beeinflussen wollte, musste ich die Preise um ein Prozent senken, zu Azlan gehen und denen Geschäfte abjagen. Auf Dauer führt das zu nichts.

Es war aber ein ordentlicher ­Einschnitt. Immerhin haben Sie über die Hälfte Ihres Umsatzes verkauft.
Umsatz! Was bedeutet schon Umsatz? Wir haben 410 Millionen Umsatz an Avnet verkauft und werden in diesem Jahr noch rund 360 Millionen umsetzen. Dafür sind wir jetzt in Geschäftsbereichen aktiv, die Wachstumsraten zwischen 30 und 40 Prozent aufweisen. Wir werden zum Ende dieses Jahres die gleiche Mannschaftsstärke aufweisen, wie vor zwei Jahren. Wenn wir diese Wachstumsraten bis 2009 durchhalten, wird die Bilanzsumme wieder gleich gross, wie sie 2007 gewesen wäre, wenn wir nicht verkauft hätten. Hinzu kommt, dass das Geschäft, das wir heute betreiben, weniger Kapitaleinsatz erfordert. Durch das Geschäftsgebahren von IBM wurde dieser Einsatz noch erhöht. Es dauerte jeweils sechs bis zwölf Monate, bis die Rückvergütungen von Geschäften bei uns eintrafen. IBM schuldet uns noch sechs Monate nach dem Verkauf fünf Millionen Euro.


Was sind die dringlichsten Probleme, die Magirus zu lösen hat? Angeblich fehlen noch Security-Spezialisten?
In manchen Ländern ist es wegen der guten Konjunktur schwierig, geeignete Leute zu finden. In Deutschland sind wir aber auf Kurs. Wenn man in 14 Ländern tätig ist, tauchen immer irgendwo Probleme auf. Durch den Verkauf der Infrastruktur-Sparte sitzen wir in einer Hülle, die für eine grössere Firma gemacht ist. Wir haben uns dafür entschieden, diese Hülle zu füllen, anstatt sie zu verkleinern. Wir haben auch unterschätzt, wie angeschlagen das Image des übernommenen Sicherheits-Distributors Alasso in vielen Ländern war. Wir investieren aber sehr viel Geld in diesen Bereich und langsam aber sicher gewinnt das Geschäft an Fahrt.

Was machen Sie mit dem Geld, das Sie durch den Verkauf eingenommen haben? Gehen Sie auf Einkaufstour?

Wir werden in einzelnen Fällen mittels Akquisitionen das lokale Angebot abrunden. In Holland und Schweden haben wir beispielsweise kein Virtualisierungsgeschäft. Es wird aber schwierig, dort etwas Geeignetes zu finden, da gerade Besitzer kleiner Firmen eine überzogene Vorstellung vom Wert ihres Unternehmens haben. Auf der grünen Wiese zu starten ist dagegen mühsam und kostspielig. Grosse Käufe wird es in den nächsten Monaten sicher keine geben.

Wie zufrieden sind Sie mit der Schweizer Niederlassung?
Die Schweiz ist seit fast zehn Jahren unsere profitabelste Ländergesellschaft und ich erwarte, dass das so bleibt. Die Schweiz hat sich manchmal auch hinter den einfachen Geschäften versteckt, die Verantwortlichen sind also gefordert. Am Ende ist es nicht sinnvoll, wenn die linke Geschäftseinheit die rechte finanziert. Mit der Zeit muss man sich überlegen, ob sich Investitionen in letztere überhaupt lohnen.


Wo drückt denn der Schuh?
Manche Hersteller haben sehr autonom agierende Ländergesellschaften. Bei EMC beispielsweise verfügen die Länderchefs bei der Umsetzung der Channel-Strategie über sehr viele Freiheiten, solange die Zahlen stimmen. Insgesamt ist unsere Zusammenarbeit mit EMC hervorragend, aber es gibt einige Länder, die unter Beobachtung stehen.

In der Schweiz ist EMC in jüngster Vergangenheit auch durch viele Chef- und Strategiewechsel aufgefallen.

Die Schweiz hat dementsprechend auch mit Finnland um den ersten Platz auf unserer Watchlist konkurriert. Mittlerweile ist sie aber bei den letzten Plätzen angekommen und die Zeichen für die Zukunft sind ermutigend. Jetzt muss EMC Schweiz beweisen, dass die Verbesserungen auch von Dauer sind.

Stimmt es, dass in Deutschland viel mehr über den Preis verkauft wird als in der Schweiz?
Das ist mitunter ein Grund für die Rentabilität unserer Schweizer Niederlassung. Meines Erachtens agieren Schweizer Systemhäuser professioneller. Sie wechseln nicht den Distributor wegen eines Preisunterschieds von einem halben Prozent. Sie sehen auch die Kosten, die ein Wechsel verursacht. Es liegt aber auch an der Marktgrösse. Die Konkurrenz ist in Deutschland intensiver. Kurz: Es dauert länger, um Schweizer Systemhäuser für sich zu gewinnen, es braucht aber auch viel, um sie wieder zu verlieren. (Markus Gross)

Fabian von Kuenheim

Der Maschinenbau-Ingenieur Fabian von Kuenheim arbeitet seit 1988 für die Magirus-Gruppe und bekleidet seit 1997 das Amt des Vorstandsvorsitzenden. Die Familie von Kuenheim ist im Besitz von 38,2 der Magirus-Aktien.


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