Der Schweizer Business-Software-Markt durch die Channel-Brille betrachtet

Im Schweizer ERP-Markt sind nach wie vor grosse Umwälzungen im Gang. Der Strukturwandel fordert unweigerlich seinen Tribut. Um erfolgreich zu bleiben, ist für die hiesigen Marktteilnehmer eine klare Profilierung unabdingbar.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/08

     

Nach Jahren mit stabilen Strukturen bei den ERP-Anbietern zeichnet sich der Beginn eines Strukturwandels ab. Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht von einer Insolvenz, Firmenübernahme oder «strategischen Partnerschaft» zu berichten ist. Was dies für die im ERP-Vertrieb tätigen Firmen bedeuten kann, wird nachfolgend aufgezeigt. Diese Entwicklungen zeitigen auch einen Wandel in der Segmentierung der Anbieter im Markt für Business-Software (siehe Kasten).

Die Grossen rollen den Markt auf

Das von Microsoft gekaufte Softwarehaus Navision hat früh den Markt mit einem stark an die lokalen Bedürfnisse adaptierbaren Kernel aufgerollt und das Produkt konsequent über fokussierte Vertriebspartner verkauft. Mit dem Markteintritt von SAP ins Mid-Market-Segment sind wir am Anfang einer sehr interessanten Entwicklung. Es wird zu einem harten Kampf um die Marktpositionen kommen. Sage Sesam könnte da durchaus auch noch mitmischen.
In der Folge werden die Marktbedingungen für lokale Anbieter, die nicht so gross sind wie Abacus oder Simultan, zusehends schwieriger, und sie werden in Nischen ausweichen müssen. Die fortschreitende «Industrialisierung» der Branche zeigt sich deutlich am Beispiel Simultan, die die eigenen Module direkt und sowohl via komplementäre Partner als auch via Mitbewerber verkauft.
Lokale Anbieter haben mit ihrer geringeren Visibilität am Markt in der direkten Konkurrenz zu Microsoft (Navision) und SAP beim Marketing einen schweren Stand. Da sind mancherorts Überlegungen im Gange, neben dem eigenen Produkt als Reseller eines Grossen noch ein zweites Standbein zu etablieren; wahrlich eine Gratwanderung.

Channel-Partner brauchen klare Profilierung

Die Vielzahl der noch existierenden Anbieter von Business-Software beweist, dass bisher primär über Funktionen verkauft wurde. Der Partner konnte sich über das Produkt oder den Hersteller positionieren. Diese defensive Profilierung wird künftig nicht mehr genügen.
Navision hat heute mit dem etablierten eigenen Channel eine solide Position. Er ist aber stark geprägt von kleinen Partnern mit wenigen Mitarbeitern, Ausrichtung auf Projektrealisierung und der primären Profilierung über das Produkt. Diese bisher erfolgreiche Strategie von Navision kann nun zur Hypothek werden, da die Partner zu sehr auf den Hersteller fokussiert sind und die eigenständige Profilierung fehlt.
SAP hat hingegen den Vorteil, von Beginn weg mit einer auf die Marktbedürfnisse ausgerichteten Channel-Strategie starten zu können; mit dem Nachteil aber, dass die Vertriebsstrukturen erst noch etabliert werden müssen. Diese KMU-Initiative von SAP zu unterschätzen wäre fahrlässig. Die Partner erfüllen klare Anforderungen und sind mit eigenem Profil am Markt präsent.

Spezialisierung als Chance für Channel und Hersteller

Bei den spezialisierten Branchen gibt es oft nur wenige Lösungen. Der technische Stand bei den Anbietern ist sehr unterschiedlich: Die Abdeckung der funktionellen Anforderungen steht im Vordergrund. Ein Gewerbebetrieb benötigt eine Software, die sein projektorientiertes Geschäft mit Material, Leistung sowie Service und Wartung abdeckt.
Der indirekte Vertrieb ist in diesem Segment nicht stark ausgeprägt. Es bieten sich aber branchenkundigen, in der Organisationsberatung profilierten kleinen Partnern gute Möglichkeiten, einen erfolgreichen Geschäftsbereich zu etablieren.
Echte Konkurrenz kommt von den multinationalen Anbietern erst, wenn diese mit einer nächsten Generation von Lösungen den Bau von Branchenmodulen weiter vereinfachen. Dann werden nochmals eine Reihe von Lösungen vom Markt verschwinden und die lokalen Hersteller zu Resellern mutieren.
Die Tendenz im Integrations-Segment ist, dass nicht ganze Funktionalitäten sondern Komponenten standardisiert werden. So lassen sich anspruchsvolle Anforderungen in der Software abbilden, Business-Prozesse werden über den Workflow integriert.
Die Implementierung stellt sehr hohe Anforderungen sowohl an den Kunden als auch an den Anbieter. Channel-Partner spielen aber aufgrund des Komplexitätsgrades meistens nur eine untergeordnete Rolle oder müssen über einen längeren Zeitraum an ihre Aufgabe herangeführt werden.

Gute Ausgangslage für initiative Unternehmer

Nimmt man die Kundensicht ein, so zeigt sich, dass es immer schwieriger wird, die Produkte über die erforderlichen Funktionen zu differenzieren. Die Anbieter – sowohl Hersteller als auch die Channel-Partner – müssen sich über ergänzende Themen wie Branchen- und Umsetzungskompetenz sowie den gelebten Kundenfokus profilieren.
Mit steigender Konkurrenz werden die Lizenzerträge sinken. Anpassungen an die Unternehmensbedürfnisse und Anwenderschulungen bleiben indes ein lukratives Geschäft. Diese Dienstleistungen fundieren auf Fähigkeiten und dem Geschäftsgebaren des Partners. Die Business-Modelle sind dahingehend anzupassen und deren Vermarktung ist Teil der geforderten Profilierung.
Der aufgezeigte Strukturwandel bringt also eine grössere Standardisierung mit weniger Herstellern. Für den Partner bedeutet dies, dass er die primäre Wertschöpfung bei den Dienstleistungen macht. Umso mehr ist den Marktteilnehmern eine klare Profilierung zu empfehlen; sie ist der Grundstein für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung. Die lokalen Anbieter, die sich aufgrund dieser Ausgangslage nicht bereits Gedanken zu ihrer zukünftigen Rolle im Markt gemacht haben, sollten dies schleunigst nachholen.

ERP-Marktaufteilung

Auch wenn der ERP-Markt zur Zeit aufgrund der Konsolidierung einem Wandel unterworfen ist, lässt sich das Anbieterfeld in verschiedene Segmente unterteilen:
Top-Segment: multinationale Konzerne als Kunden, weltweite Präsenz, bieten vollintegrierte ERP-Lösungen an, meist direkter Vertrieb, allfällige lokale Partner spielen untergeordnete Rolle (z.B. SAP, J.D. Edwards)
Integrations-Segment: internationale Firmen als Kunden, internationale Präsenz, flexible Lösungen, primär direkter Vertrieb, nationale Lösungsanbieter werden zur Zusammenarbeit motiviert, um deren Kunden auf die Plattform zu «migrieren» (z.B. IBS, Intentia)
Mid-Market-Segment: nationale und internationale handelsorientierte KMU, Tendenz zu grossen internationalen Anbietern, Lösungen mit umfassendem Funktionsspektrum und hohem Standardisierungsgrad, Vertriebskanal hat grosse Bedeutung und wird neu strukturiert (z.B. Navision, SAP Business One)
Branchen-Segment: nationale Firmen als Kunden, Lösungen mit ausgeprägtem Branchenfokus, Anbieter-Struktur ist kleingewerblich, viele kleine, in engen Nischen positionierte Entwicklungsfirmen, Vertrieb erfolgt grösstenteils direkt und selektiv indirekt, kein systematischer Channel-Aufbau (z.B. Arco Software, Timberbit)
Kleinkunden-Segment: Kleinfirmen-Lösungen mit umfassender Funktionalität, aber geringem Anpassungsbedarf. Der Vertrieb erfolgt über den Fachhandel. Es zählt primär die lokale Präsenz mit Verkauf, Installation und standardisierter Schulung (z.B. Winway, Winware).

Der Autor


Kurt R. Meier ist Inhaber der vor zwei Jahren gegründeten Beratungsfirma Conanima Consult. Davor hat er bei einem Systemintegrator eine neue Server-Abteilung aufgebaut und war danach in leitender Funktion für das Partnergeschäft bei einem international tätigen Schweizer Softwarehaus tätig. Conanima Consult bietet IT-Firmen Beratung und Coaching bei der Entwicklung und der Umsetzung von Go-to-market Strategien und Channel-Development an.
(krm@conanima.ch)


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