(DDR)333 – Speicher-Keilerei

Manchmal ist Fortschritt nicht ein Schritt vorwärts, sondern ein Schritt fort von etwas. Die Entwicklungen um die neue SDRAM-Technik DDR333 drohen zu einem Beispiel für letzteres zu werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/09

     

Bei den Computerkomponenten gibt es zwei Klassen, auch wenn man sie nur selten bewusst wahrnimmt. Zum einen gibt es die unabhängigen Baugruppen wie Laufwerke, Soundkarten und Netzwerkkarten, die in ihrer Entwicklung lediglich von den eigenen Normen und Protokollen abhängen.
Demgegenüber stehen voneinander abhängige Bauteile. Es ist ein symbiotisches Verhältnis, das Chipsätze, Arbeitsspeicher, Prozessoren und Mainboards miteinander vereint. Hier funktionieren die normalen Gesetzmässigkeiten der freien Wirtschaft nicht. Organisationen wie die JEDEC (Joint Electronic Device Engineering Council) sind nicht das Ergebnis offenen Wissensaustausches, sondern der Erkenntnis, dass ein eigenbrötlerisches Verhalten, wie es die Gründungszeiten des PCs kennzeichnete, den Ruin aller Beteiligten zur Folge hätte.
Die Kosten für die kontinuierliche Entwicklung neuer Bussysteme, Speichertechnologien und Schnittstellen können nur gemeinsam getragen und durch hohe Stückzahlen in der Fertigung wieder reingeholt werden.

Marketing-Verwirrspiel

Was in den letzten Jahren halbwegs ordentlich funktioniert hat, könnte durch DDR333 zunichte gemacht werden. Der neue Speicher, der allerorten als neuer Standard angepriesen wird, ist nämlich genau dieses nicht. Derzeit gibt es lediglich eine sehr grobe Festlegung für Notebook-DIMMs im Small-Outlet- (SO-)-Format.
Die Realität auf dem Retail- und zunehmend auch auf dem OEM-Markt ist jedoch eine völlig andere. Seitdem SiS, VIA und ALi auf der Cebit Chipsätze für DDR333 und teilweise sogar DDR400 vorgestellt haben, ist die Flut der Mainboards mit diesen Chips nicht mehr zu bremsen. Man tut allerorten so, als wären Standards für den Einsatz der schnell getakteten Speicher gesetzt (PC2700).
Jeder, der heute ein DDR333-Modul kauft, ist im Grunde ein Beta-Tester. Natürlich gibt es Eckdaten, die in den Verhandlungen der JEDEC festgelegt wurden, die die PC2700-Module generell beschreiben. Es gibt jedoch keine verbindliche Spec (herstellerübergreifende technische Spezifikationen). Die logische Konsequenz ist, dass, sobald später ein Standard festgezurrt sein wird, einige, wenn nicht gar alle bis heute verkauften Speichermodule nicht JEDEC-konform sein werden.
Was das für Mischbestückung in Systemen bedeutet, kann man sich leicht ausrechnen. Das Risiko dieses Marketing-Verwirrspiels tragen der Kunde mit der Systemstabilität und der Fachhandel mit Garantiefällen. Dass von der versprochenen Leistungssteigerung in der Praxis nichts zu spüren ist, fällt dabei schon gar nicht mehr ins Gewicht.

Intel macht nicht mit

Das gleiche gilt für Chipsätze. Derzeit sind fast alle Mainboards für DDR333 mit Produkten von VIA und SiS bestückt. Das gilt gleichermassen für Produkte für AMD CPUs (KT333, SiS745) wie für Intelboards (P4X333, SiS645). Wenn es aber keine offizielle Spezifikation gibt, müssen die Chipsatzhersteller mit den Specs der einzelnen Hersteller arbeiten, um ihre Produkte kompatibel zu halten.
Hier stellt sich die Frage, für welche Marken die Toleranzgrenze der Chipsätze reicht, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Kombination von Modulen verschiedener Anbieter weit höhere Ansprüche stellt. Hans-Jürgen Werner, Pressesprecher von Intel für Central Europe, verweist genau auf diesen Punkt, wenn er die Abstinenz von Intel im derzeitigen Chipsatzrennen begründet. «Intel wird keinen DDR333- oder DDR400-Chipsatz bauen, solange seitens der JEDEC keine abschliessende Spec vorliegt», so Werner.
Gleichzeitig verweist er darauf, dass für den aktuellen Standard PC2100 zwei Ergänzungen eingebracht wurden, um den Anforderungen des Marktführers zu genügen. Es scheint, als ob man auch für DDR333 gern höhere Anforderungen durchsetzen möchte als die Mehrheit des JEDEC-Gremiums.

Mehr Verwirrung in Sicht

Noch problematischer wird es bei der nächsten Speichergeneration. Ursprünglich war DDR400 als echter Generationswechsel, als DDR II, geplant. Inzwischen gibt es jedoch einige Verwirrungen. DDR II wird zu den bekannten DDR-SDRAMs nicht kompatibel sein. Zu unterschiedlich ist das technische Layout (Pinbelegung). Selbst bei den Kontakten der einzelnen Chips eines Speicherriegels wird man von den bekannten Beinchen (TSOP) an der Seite auf kugelförmige Kontakte auf der Unterseite (FBGA) wechseln.
Sowohl SiS mit dem 748 als auch VIA mit dem KT400 haben aber schon Chipsätze für einen Speichertyp vorgestellt beziehungsweise angekündigt, für den es noch keine Module gibt. Hierbei kann es sich also nur um Lösungen für 400 MHz schnelle Speicher nach dem derzeitigen DDR-SDRAM-Standard handeln. Wird es demnächst also DDR400 und DDR400 II geben? Und mit welchem Takt werden sie arbeiten? 4x100 MHz oder 3x133 MHz sind recht einfach zu realisieren. Ein Faktor von 2,41x166 MHz klingt dagegen nicht sehr wahrscheinlich. Damit würde DDR333 aber zum Exoten im Speicherwald.

Taktlosigkeit auf dem Board

Zudem stellt sich die Frage nach der Entwicklung beim Front Side Bus (FSB) der CPU. Während Intel mit 100/133/ und 400/533 MHz arbeitet, setzt AMD auf 100/200 und 133/266 MHz. Eine Erhöhung von 266 MHz auf 333 MHz würde für AMD noch ein paar Prozentpünktchen mehr Leistung bedeuten. Dennoch macht man dort keine Anstalten, auf diesen Zug aufzuspringen. Dazu Jan Gütter, Pressesprecher von AMD Deutschland: «Derzeit plant AMD keine Athlons mit einem Front Side Bus von 333 MHz.
Die Asynchronität von CPU und Speichertakt stellt heute kein Problem mehr dar.» Das bedeutet aber, dass der Performancegewinn, der durch DDR333 und passende CPUs möglich wäre, im Dschungel der Latencys verlorengeht. Würden die neuen Chipsätze nicht mit einigen zusätzlichen Funktionen und Features glänzen, die Boardhersteller könnten nur schwer erklären, warum jemand die Platine wechseln sollte.
Das zeigt sich zum Beispiel am neuen Flaggschiff von MSI, dem KT3 Ultra. Basierend auf dem VIA KT333, bietet es in der Delux-Version ATA133, RAID, USB2.0, 6-Kanal-Audio und jede Menge Sicherheits- und Tuningfunktionen. Von all dem wird lediglich ATA133 und USB2.0 durch den neuen Chipsatz realisiert, und zumindest ATA133 wird auf absehbare Zeit von keinem Anwender wirklich benötigt. Dabei handelt es sich bei dem KT3 Ultra um ein hochwertiges Mainboard, das man ohne grosse Leistungseinbussen auch mit guten DDR266-Modulen verwenden kann.

Die grosse Verschwendung

Der Versuch, der Konkurrenz stets eine Nasenlänge voraus zu sein, ist legitim. SiS hat es mit seinem Vorstoss geschafft, wie Phönix aus der Asche wieder aufzuerstehen. Der Preis für ein derartiges Verhalten ist jedoch hoch. Proprietäre, also firmenspezifische Standards haben sich in der IT-Industrie nie durchgesetzt und haben bei Herstellern und Kunden nur Kosten verursacht. Bei Produkten, die so stark von einander abhängen wie Chipsatz, Arbeitsspeicher und Mainbord, sollten sich Alleingänge von selbst verbieten.
Mit dem DDR333 ist jedoch ein Präzedenzfall geschaffen worden. Auch ohne Spec hat es das Produkt auf den Markt geschafft. Schon jetzt versuchen kleinere Hersteller, mit alternativen Speichertypen als erste die magische 400-MHz-Grenze zu erreichen. Das Ergebnis dürfte dem Ausgang bei Issos ähneln, wo Alexander den Perserkönig Darius schlug. Der «grosse» Standard wird sich am Ende durchsetzen, doch bis dahin wird viel Geld und Arbeitszeit vergossen werden.
Thomas Mironiuk


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