Managed Services: 'Es ist allerhöchste Eisenbahn'
Quelle: KMU Mentor

Managed Services: "Es ist allerhöchste Eisenbahn"

KMU-Berater Urs Prantl sieht für IT-Dienstleister keine Alternative zu Managed Services. Sie schaffen ­Planbarkeit und Sicherheit. Doch viele Anbieter scheuen nach wie vor die Transformation, haben Sorge, dass sie weniger verdienen oder Kunden sie ausnutzen.
17. Mai 2024

     

"Swiss IT Reseller": Herr Prantl, sind Managed Services im Schweizer Channel angekommen?

Urs Prantl: So wie ich das wahrnehme, ist das Thema zumindest bei den mittelgrossen und bei den grösseren IT-Dienstleistern definitiv angekommen. Also bei IT-Dienstleistern mit 50 oder 100 Mitarbeiten aufwärts. Was mir aber auffällt ist, dass sich ganz wenige Anbieter trauen, sich vollständig darauf zu fokussieren und zu sagen, das ist die Art und Weise, wie wir mit euch Kunden zusammenarbeiten wollen. Bei den Kleineren ist das sicher noch viel ausgeprägter. Ich treffe immer noch jede Menge IT-Unternehmen, die mir sagen: "Ja, wir machen das so, wie der Kunde das gerne hätte." Dabei wollen die Anbieter gerne in Richtung Managed Services gehen, sagen aber, dass sie die Kunden nicht überreden können. Schwarz-weiss betrachtet ist das sicher richtig. Aber es kommt natürlich auch darauf an, wie ich das verkaufe, damit der Schritt auch für den Kunden sinnvoll erscheint. Das fällt den meisten noch sehr schwer.


Ganz grundsätzlich: Warum sollten IT-Dienstleister auf Service-Modelle und speziell auf Managed Services ­setzen?

Strategisch – und vor allem auch wirtschaftlich – hat das viele gute Gründe. Das Hauptproblem bei Projekt-Dienstleistungen ist ja der Geschäftsverlauf. Ich habe entweder zu viel zu tun oder zu viele freie Ressourcen. Entweder quillt mein Bankkonto über oder das Gegenteil ist der Fall. Und damit ist natürlich eine hohe Unsicherheit verknüpft. Ich kenne Unternehmen, die müssen überschlagen 80 Rappen von einem Franken, also 80 Prozent ihrer Umsätze immer wieder komplett neu verkaufen. Und das ist anstrengend, das macht irgendwann keinen Spass mehr. Es geht also vor allem darum, die Einkünfte etwas vernünftiger zu verteilen und eine gewisse Sicherheit und Planbarkeit zu erreichen. Und wenn man das clever und gut macht, bin ich auch überzeugt, dass man mit Managed Services und allem, was in diese Richtung geht, eine deutlich bessere Marge erwirtschaften kann. Das ist einer der neuralgischen Punkte.

Stichwort neuralgischer Punkt: Was sind wiederum die Sorgen der IT-Dienstleister?

Im Zuge von Managed Services muss ich natürlich entsprechende Leute vorhalten, die anfallende Aufgaben auch abarbeiten können. Es braucht einen Support und es braucht entsprechende Projektleiter, die das alles leisten können. Diese Services stelle ich den Kunden in Form einer Pauschale zur Verfügung. Und hier haben die meisten Anbieter Angst, dass sie am Ende mehr leisten, als sie vergütet bekommen.

Und das ist nicht der Fall?

Ich sage immer: Ihr macht das jetzt seit zehn, zwanzig Jahren oder schon länger. Ihr habt die Erfahrungswerte und könnt das genau kalkulieren. Das Risiko ist also sehr gering. Es gibt sicher Einzelfälle. Aber auf der anderen Seite hatte ich zuvor viel mehr Fälle, bei denen ich etwas geleistet habe, das ich nicht in Rechnung stellen konnte. Also würde ich mal ­behaupten, wenn sie ihren Job richtig machen, dann ist das Risiko klein.

Wie sieht es auf Kundenseite aus? Steigt das Interesse an Managed Services und daran, sich in entsprechende ­Verträge zu begeben?

Ja, es kommt langsam bei den Kunden an. Sie wollen auch diese Sicherheit, diese Vorhersehbarkeit, dieser Planbarkeit. Denn sie denken tendenziell in immer kürzeren Zyklen. Diese Unternehmen und Unternehmer, die gesagt haben, ich denke Jahre oder Jahrzehnte voraus, deren Zahl wird immer kleiner. Das heisst, dass es eher kurze Zeitabschnitte sind, die ich überblicke und plane. Und da sind natürlich solche Angebote ideal. Da habe ich alles über ein oder zwei ­Verträge von A bis Z abgedeckt.

Aber viele Kunden wollen sicher weiterhin nur genau das bezahlen, was sie auch benötigen und beziehen.

Da haben Sie recht. Aber das ist meiner Ansicht nach eine Frage, wie man den Kunden aufklärt. Ich bin überzeugt, dass Kunden in 80 Prozent der Fälle im Gesamtkontext mit Managed Services besser fahren würden. Unternehmen kommen meistens erst dann, wenn sie ein Problem haben. Aber als guter Managed-Service-Anbieter stülpe ich den Service nicht einfach über mein heutiges Angebot, sondern gehe sehr stark in Richtung «Predictive Maintenance». Das heisst, ich monitore die Systeme der Kunden mit dem Ziel, dass Probleme überhaupt nicht auftauchen können oder ich diese frühzeitig erkenne und löse, ohne dass es der Kunde merkt. Dafür gibt es heute Technologien und Tools. Das ­bedingt aber auf Anbieterseite vorab eine Investition und die kann ich nur machen, wenn ich das auch entsprechend skalieren kann. Ich brauche also Hundert oder noch mehr Kunden in so einem Vertrag, damit sich das am Ende des Tages rechnet.

Beginne ich also bei den Bestandskunden?


Sicher, das muss der erste Gedanke sein. Das Problem ist aber oft, dass diese eine bestimmte Art und Weise gewohnt sind, wie sie mit einem Anbieter zusammenarbeiten. Aber ich würde sagen, die Hälfte der Bestandskunden bekommt man auf dieses Modell – und das in einer Frist von ein bis drei Jahren. Ansonsten würde ich mich von ihnen trennen. Denn wirtschaftlich betrachtet ist das beste Modell immer das, bei dem ich alle Kunden nach einem einheitlichen System bedienen kann. Die Firma Procloud beispielsweise bietet nichts anderes als Managed Services an. Was anderes bekommt man bei ihnen nicht, fertig. Die sind natürlich schon so gestartet, das ist viel einfacher, als einen Legacy-Kundenstamm zu transformieren. Aber andererseits reden wir schon seit mehr als zehn Jahren von diesen Themen. Da war wirklich genügend Zeit.
Trauen sich IT-Dienstleister denn, ihren Kunden so nachdrücklich die Pistole auf die Brust zu setzen und zu sagen: so oder gar nicht?

Ich würde sagen, 99 von 100 trauen sich das nicht. Aber der eine traut es sich.

Und der ist nach einigen Jahren dann der erfolgreichere?

Mit Sicherheit, ja. Das steht für mich völlig ausser Frage. Denn so kann ich wirklich skalieren. Und wir sind in der IT in einer Branche, die dafür prädestiniert ist, dass wir unser Geschäftsmodell skalieren. Also mehr Kunden bei gleicher oder sogar besserer Qualität bedienen können, ohne ständig die Kosten proportional hochfahren zu müssen. Und gute Unternehmer müssen das erkennen, wirklich den Hebel ansetzen und nicht sagen "Oh, ich habe zwei neue Kunden, also brauche ich auch neue Mitarbeiter". Das hat in Zeiten des Fachkräftemangels eine noch viel grössere Bedeutung.

Ist es bereits zu spät, diese Entwicklung anzustossen? Aktuell scheint die Schere im Markt auseinanderzugehen, mit Cloud- und Managed-Services-Vorreitern auf der einen Seite und sehr klassisch aufgestellten IT-Dienstleistern auf der anderen Seite.

Rein mengenmässig haben wir die grosse Mehrheit sowohl auf Kunden- als auch auf Anbieterseite noch nicht erreicht. Ich glaube also nicht, dass es zu spät ist. Aber ich bin überzeugt, dass es allerhöchste Eisenbahn ist. Aber selbst bei den kleineren Anbietern, also 20 oder 30 Mitarbeiter abwärts, sehe ich, dass sie zumindest kommunikativ sehr stark auf das Thema setzen. Faktisch sind allerdings noch vier Fünftel ihrer Umsätze oder noch mehr Projektgeschäft mit klassischer Time-and-Material-Verrechnung. Ich verrechne also nach Zeit und Aufwand. Die grosse Problematik ist hier die extrem hohe Vergleichbarkeit. Ich werde mit meinen Mitbewerbern ständig über Stundensätze und Tagessätze verglichen. Das ist strategisch gesehen tödlich. Wenn ich das aber wirklich in einem Service verpacke und mit Nutzen auflade, dann sieht das völlig anders aus. Wir sprechen dann von "Value-­based Pricing".

Was sind wiederum die grössten internen Hürden auf dem Weg zum Managed Service Provider?

Es ist wie bei vielen Dingen vor allem die Gewohnheit. Wenn wir uns als Menschen verändern sollen, dann finden wir zuerst jede Menge Gründe, warum das nicht geht, warum das gefährlich ist und wo die Risiken liegen. Es fällt uns extrem schwer, die Vorteile und den Nutzen zu erkennen. Die grösste Hürde ist also in den Köpfen, vor allem bei den Führungskräften und Inhabern. Sie haben Angst, dass sie weniger verdienen oder dass der Kunde sie ausnutzt. Daher muss ich mir bei der Formulierung von Serviceverträgen genau überlegen, was für Leistungen auf mich zukommen könnten. Idealerweise auf Basis von Daten aus den vergangenen Jahren oder aus dem Markt. Das ist sicher ein Gradmesser, mit dem ich kalkulieren kann, damit ich im Durchschnitt meiner Fälle nicht drauflege.

Verfügen IT-Dienstleister im KMU-Bereich über das Know-how, um Service-Pakete zu schnüren, Service-Verträge zu erstellen und SLAs zu formulieren?

Nein, das haben sie überhaupt nicht. Aber da gibt es Musterverträge und es lohnt sich, mal einen Anwalt zu engagieren, um das vernünftig zu machen, damit das auch verhebt von A bis Z. Wenn jemand das Argument vorbringt "Wir wissen nicht, wie das geht", sage ich "Dann mach dich gefälligst schlau". Und wenn ihr das nicht wollt, dann sucht euch Leute, die das für euch tun können. Das ist kein Argument, beim besten Willen nicht.

Stichworte Risiko und Verantwortung: Mit Managed Services bin ich für die IT des Kunden zu grossen Teilen verantwortlich. Ist das ebenfalls abschreckend für manche IT-Dienstleister?

Ja, das entspricht bei vielen nicht ihrem Selbstverständnis: Der Kunde weiss, was er will, und sagt mir, was er haben möchte. Aber so tickt die Welt nicht mehr. Der Kunde erwartet, dass ich ihn berate und die Lösung konzipiere und baue, die für seine Anforderungen ideal ist. Und je weiter ich mich zudem in den Betrieb hineinbegebe, umso mehr übernehme ich auch die Verantwortung. Daher ist es so wichtig, dass man eine gute vertragliche Basis schafft.

Wie kann das alles neben dem Tagesgeschäft klappen? Viele Anbieter sind komplett ausgelastet, die Auftrags­bücher sind voll, die personellen Ressourcen knapp.

Der Aufbau eines Managed-Service-Geschäftes hat nichts mit dem operativen Business zu tun. Das ist ein strategisches Projekt mit einer Laufzeit von einem bis mehrere Jahre. Das kann man nicht mit Leuten bewältigen, die operativ ständig auf Tauchstation sind. Ohne eine Investition wird das also nicht klappen. Aber wenn ich als Unternehmer denke, dass ich ein Modell XYZ, das jetzt gut funktioniert, auch noch 20 Jahre weiterbetreiben kann, dann bin ich einfach naiv. Das muss auch ein Unternehmen mit 20 Mitarbeitern oder weniger begreifen.
Trauen Sie diese Transformation also prinzipiell jedem IT-Dienstleister zu?

Ich bin optimistisch, ich traue das grundsätzlich jedem zu. Aber ich bin überzeugt, dass wenn sie es sich selbst nicht zutrauen und es nicht machen, dass sie ihr Geschäft eines Tages an die Wand fahren. Das sehen wir beispielsweise auch im Investorenmarkt. Diese Wald-und-Wiesen-Anbieter haben bei Investoren ganz schlechte Karten, oftmals sind sie sogar gar nicht mehr verkäuflich.


Sollte das Projektgeschäft also komplett wegfallen?

Nein, ich habe Kunden, die schon sehr weit beim Thema Managed Services fortgeschritten sind. Und die machen natürlich auch noch Projektgeschäft. Zum Beispiel, wenn sie einen neuen Kunden gewinnen wollen, um ihn anschliessend in ihr Modell zu migrieren. Sie haben aber auch jede Menge Kunden, die hybrid unterwegs sind. Das macht durchaus Sinn. Aber der Anteil des Projektgeschäftes ist drastisch zurückgegangen. Und damit steigt wiederum der Anteil der wiederkehrenden Einnahmen.

Wie überzeugt ein IT-Dienstleister das eigene Vertriebsteam vom Umstieg auf ein anderes wirtschaftliches Modell? Besonders, wenn es noch klassische Provisions­modelle gewohnt ist.


Das ist der richtige Zeitpunkt, diese unsägliche Provisionsgeschichte abzuschaffen. Vielleicht noch auf Teamebene, aber keine Individualprovisionen mehr. Die Leute sollten einfach ein gutes Festgehalt bekommen und nicht geführt werden, indem man ihnen ständig die Provisionsmöhre vor die Nase hängt. Sondern indem man ihnen Hindernisse aus dem Weg räumt. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, was genau ich verkaufe.

Herr Prantl, was ist abschliessend Ihre Empfehlung, wo kann ich beginnen, mein Business in Richtung Managed Services zu transformieren?


Wie angesprochen, muss ich ein strategisches Projekt lancieren. Was eben nicht funktioniert, ist, wenn man die Leute nimmt, die ohnehin mit Tagesgeschäft zugeschüttet sind, und sagt: macht mal. Ich muss das aus meinem operativen Geschäft herauslösen und fragen, was man Kunden in Zukunft anbieten kann und will. Und dann muss ich das Stück für Stück umsetzen. Das ist ein stetiger Prozess und man wird besser und besser im Laufe der Zeit. Es braucht meistens nur eine Initialzündung und dann greifbare, konkrete Schritte. Dahinter steckt aber viel Arbeit. Daher ist externe Hilfe, in welcher Form auch immer, sicher sinnvoll.

Urs Prantl

Urs Prantl ist Gründer und Inhaber von KMU Mentor. Zuvor war er über zwanzig Jahre lang selbst IT-Unternehmer und nutzt diese Erfahrung jetzt, um kleine und mittlere IT-Firmen strategisch zu beraten, unter anderem bei Themen wie Geschäftsentwicklung, Firmenkäufen und -verkäufen, Nachfolgeregelungen sowie bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Fragestellungen.


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