Politische Auswirkungen von OSS

Bei der öffentlichen Hand spielen bei einer Umstellung auf Open-Source-Software oft auch Überlegungen mit, die über die reinen Kostenrechnungen hinaus gehen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2005/12

     

Linux und Open-Source-Software (OSS) werden von Anbietern wie IBM, Sun, SAP Novell, Oracle oder HP längst in ihre Lösungen integriert. In Unternehmen ist OSS mittlerweile auf dem Weg zum Mainstream. Aber auch die öffentliche Hand sucht vermehrt nach IT-Alternativen. Im Rahmen der Europäischen Union gibt es mittlerweile zahlreiche Initiativen und Studien zur Förderung von Open-Source-Software. Die Open-Source-Migrationsrichtlinien geben detaillierte Empfehlungen für die Migration zu Open-Source-basierenden Anwendungen (http://europa.eu.int/idabc/en/ document/2623#migration). Auch in der Schweiz sind beim Bund und in verschiedenen Kantonen und Gemeinden Open-Source-Projekte am Laufen.

Im Blickpunkt

«Der Open-Source-Markt bekommt langsam einen Reifegrad, der den IT-Verantwortlichen Vertrauen gibt», erklärte kürzlich Angela Waite gegenüber der Financial Times. Waite ist Präsidentin der britischen Gesellschaft der IT-Manager, in der laut eigenen Angaben 95 Prozent der britischen Behörden vertreten sind. Nach einer Studie der Zeitung planen drei Viertel aller Gemeinden in Grossbritannien, die bereits Open-Source-Lösungen verwenden, in den nächsten drei Jahren zusätzliche OSS-Projekte. Zwei von fünf Behörden, die noch nicht mit Open Source arbeiten, wollen das künftig tun. Öffentliche Verwaltungen gelten europaweit als eigentlicher Wachstumsmotor für Open Source. In Deutschland etwa gründeten HP und Novell gemeinsam die Initiative «Linux Kommunale». Sechs Monate nach dem Start stellten die beiden Unternehmen erfreut fest, dass Linux im öffentlichen Dienst deutlich auf dem Vormarsch sei. «Was den Linux Boom antreibt», meint der Gartner-Analyst Andrea di Maio (Bild), «ist sicher der Wunsch, Kosten zu senken. Noch stärker ist aber der Wunsch, dass die Gelder, die für den öffentlichen Sektor ausgegeben werden, im eigenen Land oder der Region verbleiben. In diesem Sinne ist die Linux-Bewegung in gewisser Weise antiglobal.»

Über die TCO hinaus

In der Privatwirtschaft bildet normalerweise die Aufrechnung der Total Cost of Ownership (TCO) und der Migrationskosten die Grundlage für den Entscheid, Open-Source-Software einzusetzen. Im öffentlichen Bereich hingegen werden laut einer Studie von Gartner vor allem auch die politischen Folgen – der «Political Return» – zunehmend stärker bewertet. Obwohl Politik und Prioritäten von Land zu Land variierten, so di Maio in der Gartner-Untersuchung, gebe es doch überall Gründe, welche die Entscheide über reine Kostenüberlegungen hinaus beeinflussen. Wie bei allen Investitionen der öffentlichen Hand, müsse auch der Einfluss auf die Effizienz der Verwaltung, auf die Qualität der Dienstleistungen und die politischen Folgen berücksichtigt werden. Die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen hängt selbstverständlich nicht direkt vom Einsatz von OSS
ab. Für die Entlastung der Beamten im Publikumsverkehr ist generell
der Zustand der Informationskanäle entscheidend. Benutzerfreundlichkeit bedeutet nicht unbedingt tiefere Kosten. Verbesserte Online-Leistungen können aber, so di Maio, andere Kanäle entlasten.
Zu bedenken sei überdies, dass der Einsatz von OSS durch die öffentliche Hand die Anbieter von proprietären Lösungen veranlassen könne, ihre Preise zu senken oder ihre Leistungen zu verbessern.

Open Source verbindet

Der Einsatz von OSS bei öffentlichen Stellen, sagt Gartner in der Studie, fördert auch andernorts deren Verwendung, etwa bei den Familien der Angestellten. Entsprechend würden die Einwohner angeregt, vermehrt zu den Inhalten beizutragen, was wiederum für die lokale Gemeinschaft von nicht zu unterschätzender Bedeutung sei. Für Gartner ist es zudem wichtig, Bürger und Geschäftswelt in die Communities einzubinden. Im Erziehungsbereich könne dies schnell zu nützlichen Ergebnissen führen, wenn Lehrer und Schüler an den Entwicklungsprojekten teilnehmen. Umgekehrt habe die Förderung von OSS positive Folgen für die Lernprozesse an Schulen und Universitäten. Diese politischen Folgen lassen sich nicht direkt in die Migrationskosten oder in ein TCO-Modell einrechnen. Dennoch sollte ihre Bedeutung nicht unterschätzt werden.

Standortvorteile

OSS gibt kleinen und mittleren lokalen Unternehmen eine bessere Chance gegenüber grossen Anbietern. Ein «Ökosystem» für OSS ist laut Gartner für die lokale IT-Industrie interessant, indem sie deren Verbindungen zu akademischen und Forschungsinstituten stärkt. Ein Produkt, das von einem lokalen Serviceanbieter installiert oder integriert wird, bringt zudem Einkommen und Arbeitsplätze und damit höhere Steuereinnahmen. Das Gleiche gilt für die lokale Software-Entwicklung.
Schliesslich können gut ausgebaute, Open-Source-basierende IT-Dienstleistungen eine Region für Hightech-Investitionen attraktiver machen, und ein Entscheid für Open Source fördere auch ganz allgemein die Innovation. Gartner empfiehlt daher öffentlichen Stellen, bei einem Entscheid für oder gegen Open Source neben TCO und Migrationskosten auch diese «weichen» Faktoren in ihre Überlegungen miteinzubeziehen. Je stärker diese allerdings gewertet werden, desto wichtiger ist es, den politischen Kontext realistisch einzuschätzen. (fis)


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