Das Jahr des Banken-Aufbruchs

Die Geschwindigkeit, mit der die IT-Verbundwerke der Banken in diesem Jahr aufgebrochen sind, hat alle Marktteilnehmer überrascht. Jetzt buhlt ein Triumvirat von Anbietern lautstark um die freigewordenen Universalbanken.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2004/19

     

Das Jahr 2004 ist noch nicht vorüber – dennoch dürfte es als das ereignisreichste Jahr in die Geschichte der sonst doch eher behäbigen Universalbanken-Informatikszene eingehen. Während die IT-Kooperationen der Schweizer Retail-Banken noch bis vor wenigen Jahren als fest betoniert galten, ist seit diesem Frühjahr alles anders: Der Entscheid der vier «kleinen Agi-Banken» – der Kantonalbanken von Glarus, Appenzell Innerrhoden, Obwalden und Nidwalden – ihren IT-Verbund zu verlassen, hat eine Lawine ins Rollen gebracht: «Seither ist der Verbleib in einer Kooperation auch für Universalbanken nicht mehr zwingend», bemerkt Charlie Matter, Geschäftsführer der Lenzburger Finnova. Finnova hat gut lachen: Die Firma konnte die vier abtrünnigen Banken als Kunden für ihre Gesamtbankenlösung gewinnen. Für Matter ist klar, dass die Verunsicherung in vielen anderen Banken zugenommen hat: «Viele sind nicht mehr sicher, ob das, was sie bisher im Einsatz hatten, auch das Richtige war. Plötzlich herrscht die Erkenntnis vor, dass es auch valable Alternativen gibt», so Matter zu IT Reseller.

Agi-Kooperation bricht auseinander

Wie dann Ende September bekannt wurde, wollen jetzt in spätestens fünf Jahren auch die vier verbleibenden «grossen Agi-Banken» den Ausstieg aus der Kooperation vollzogen haben. Ein Entscheid für die zukünftige Plattform wird auf den nächsten Frühling hin erwartet, mit einer Migration ist dann zwischen 2006 und 2009 zu rechnen. Bei diesen Banken wird ebenfalls mit dem Einsatz eines Standardpakets geliebäugelt.
Wenn auch der ganze Hype um Standard-Core-Banking-Pakete hierzulande erst so richtig mit dem kometenhaften Aufstieg der Software-Schmiede Avaloq losging, neu sind solche Pakete keinesfalls. Das Produkt Olympic der in Genf domizilierten ERI Bancaire, ist als Standardpaket weltweit bei über 200 Privatbanken im Einsatz. «Was neu ist, ist nicht der Fakt, dass Banken Standardsoftware einsetzen, neu ist vielmehr die Akzeptanz, die Pakete wie beispielsweise von Finnova jetzt in der Schweiz plötzlich geniessen. Das ist spannend und relevant», bemerkt dazu Stefan Arn, CEO des Zürcher Software-Entwicklers Adnovum.

Buhlen um die langjährigen Kunden

Angesichts dieser Entwicklungen erstaunt es nicht, dass die grossen verbleibenden IT-Kooperationen alles daran setzen, den eigenen Zerfall aufzuhalten. Bei RTC tut man dies, indem daran gearbeitet wird, die Bankenlösung Ibis auf eine neue Architektur zu bringen und somit zu modernisieren. Beim Verbund von rund 70 Regionalbanken RBA, der ebenfalls Ibis einsetzt, ist zudem ein Streit über die zukünftige Ausrichtung dieser Finanzinstitute entbrannt. Das Gros dieser Banken möchte zur Vertriebsbank werden, was wiederum Auswirkungen auf die Funktionalitäten hätte, die von der IT zur Verfügung gestellt werden müssen: «Das ist keine IT-Entscheidung, sondern eine bankstrategische», bemerkt dazu Herbert Stadler, Bereichsleiter Services bei RTC. Stadler bejaht, dass der Agi-Zerfall einiges ausgelöst habe in der Szene. Auch RTC sei in gewissen Ausschreibungen mit Offerten dabei. Nicht vergessen gehen darf, dass RTC in Bezug auf die Anzahl produktiver Installationen und das bewältigte Verarbeitungsvolumen nach wie vor Marktführer in der Schweiz ist. Obwohl das Unterfangen, die eigenen Banken bei der Stange zu halten, sich immer schwieriger gestaltet.

Triumvirat der Anbieter

In der Arena der technologisch neuen Bankenlösungen scheint sich mittlerweile ein Triumvirat herausgebildet zu haben, dem Avaloq, Finnova und CSC mit der Swiss Banking Platform angehören. Diese drei mischen offenbar bei allen gegenwärtig stattfindenden Evaluationen bei Universalbanken kräftig mit. In diesem Jahr konnte Avaloq die Bank Julius Bär als Neukunden gewinnen, mit zwei weiteren Banken steht das Unternehmen nach Angaben von Chief Business Development Officer Roger Wechsler in Vertragsverhandlungen. Bei drei Instituten sei man zudem mit der Software in diesem Jahr live gegangen. Finnova konnte die vier kleinen Agi-Banken als Neukunden begrüssen und hat die bestehenden Kunden im Sommer endgültig auf die neue Plattform migrieren können. Einzig bei CSC harzt es ein wenig: Der amerikanische Outsourcing-Gigant benötigt für seine Swiss Banking Platform dringend eine Erfolgsmeldung – und hofft, diese nach dem Abschluss einer der laufenden Ausschreibungen auch vorweisen zu können (siehe Interview Seite 40; «CSC hofiert die Schweizer Banken).

Strategiewechsel bei Swisscom IT Services

Neu orientieren muss sich Swisscom IT Services: Die von ihr betriebene und weiterentwickelte Agi-Plattform wird spätestens in fünf Jahren von allen ehemals beteiligten Banken nicht mehr benötigt werden. In einigen Projekten offeriert der Swisscom IT Services jetzt zusammen mit Avaloq oder Finnova als Partner für die Implementierung und den Betrieb.
Von aussen könnte der Anschein entstehen, dass dem Unternehmen angesichts des Schicksals, das der eigenen Plattform blüht, ja nichts anderes übrigbleibt, als sich mit den früheren Konkurrenten ins Bett zu legen. Dem sei aber nicht so, hält Michel Döringer, Head of Business Line Financial Services bei Swisscom IT Services entgegen: «Wir haben die jetzt zur Umsetzung gelangende Multiplattform-Strategie bereits im Frühling 2004 auf oberster Stufe abgesegnet und schon länger vorbereitet», sagt Döringer. Der Grundgedanke sei aber nicht, Agi zu ersetzen. Vielmehr wolle Swisscom IT Services auch für kleine und mittelgrosse Banken eine Antwort parat haben, so der Mann von Swisscom IT Services zu IT Reseller.
Einen Strategiewechsel schliesst inzwischen auch CSC mit der auf SAP basierenden Swiss Banking Platform offenbar nicht mehr aus: Nach Angaben von Steve Mitchener, dem für die Region EMEA zuständigen President Financial Service sei man in dieser Hinsicht pragmatisch: «Wenn ein Angebot am Markt nicht nachgefragt wird, dann muss man das Angebot ändern.» (bor)


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