Ballmer forciert Business Solutions

Mit ERP-Software möchte Microsoft innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Jahresumsatz von zehn Milliarden Dollar erreichen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2004/12

     

Wenn Microsoft-CEO Steve Ballmer (Bild) sein Büro in ein anderes Gebäude verlegt, um sich auf operativer Ebene um einen Geschäftsbereich zu kümmern, ist das immer ein Zeichen dafür, dass er mit der Performance der betreffenden Abteilung nicht zufrieden ist. Dies scheint nach einem
Bericht der Seatle Times bei Microsoft Business Solutions der Fall zu sein. Wie aus dem Artikel hervor geht, will sich Ballmer vorübergehendselbst um die Geschicke der Abteilung kümmern, wie er dies bereits zeitweise bei MSN und Windows CE tat.

Rauchzeichen

Erst vor wenigen Tagen hatte Microsoft Umstellungen in der Abteilung Business Solutions bekannt gegeben. Gruppenleiter Doug Burgum, bisher
dem Chef der Office-Sparte unterstellt, wird künftig direkt an Ballmer berichten. Orlando Ayala, zuständig für den Vertrieb von Server-Software und KMU-Anwendungen, wird Burgum unterstellt und fungiert zudem als dessen COO. Fast gleichzeitig wurde bekannt, dass das Hauptquartier von Solomon in Ohio geschlossen wird. Die Entwicklung der mit Great Plains erworbenen Solomon Business Software wird zur Firma Plumbline ausgelagert.
Die deutsche Software-Linie Apertum, die ebenfalls zusammen mit Great Plains übernommen wurde, soll die neu gegründete nGroup GmbH zu einem neuen ERP-Produkt entwickeln. Dass Microsoft Entwicklung und Support zu Drittfirmen auslagert, ist eine neue Strategie. Doch Microsoft besitzt mit Navision und Axapta bekanntlich noch zwei weitere Business-Software-Pakete. Was Wunder, wenn manche Analysten und Konkurrenten erste Rauchzeichen zu erkennen glauben, dass das vielfältige ERP-Portfolio von Microsoft im Hinblick auf die angekündigte neue ERPSoftware Green konsolidiert werden soll.
Dieser Lesart widerspricht der bei Microsoft Schweiz für Business Solutions zuständige Adrian Krummenacher vehement. Für ihn spiegelt die Restrukturierung in erster Linie den zunehmenden Stellenwert der Business-Anwendungen innerhalb des Konzerns. Das bedeute aber keineswegs, dass die versprochene Weiterentwicklung und Unterstützung nicht für alle Produkte bis 2013 weiter gehe: «Für alle Produkte sind neue Releases geplant. Die verschiedenen Produktlinien ergänzen sich optimal, es gibt keinen Grund, auf eine oder mehrere zu verzichten.»
Das stimmt zumindest geografisch: Während Great Plains/Solomon vor allem in den USA verbreitet sind, finden sich Axapta und Navision in erster Linie in Europa und teilweise im asiatischen Raum. Apertum ist praktisch auf Deutschland beschränkt.

Druck aufsetzen

Für die Aussagen von Krummenacher, alle vier ERP-Produkte würden weiter gepflegt, spricht, dass neu für Navision, Axapta und Great Plains/Solomon je ein weltweit verantwortlicher Product Manager eingesetzt wird. Dasselbe ist auch für die CRM-Software vorgesehen.
Microsoft ist mit dem Kauf von Great Plains und Navision verhältnismässig spät in den Business-Software-Markt eingestiegen. Laut Burgum will man jetzt vermehrt Druck aufsetzen. In den nächsten fünf Jahren sollen jährlich zwei Milliarden Dollar in diesen Bereich investiert werden.
Da das Geschäft mit Windows und Office zurzeit langsamer wächst, setzt der Konzern grosse Erwartungen in den Business-Software-Bereich. Bisher konnte die Sparte Business Solutions diese allerdings noch nicht erfüllen. Im abgelaufenen Quartal fiel ein Fehlbetrag in Höhe von 65 Millionen Dollar an, im entsprechenden Vorjahreszeitraum waren es sogar 92 Millionen Dollar. Auch der Umsatz bewegt sich deutlich unter einer Milliarde. Laut dem Marktforschungsunternehmen AMR lag er im letzten Jahr bei 660 Millionen.
Ballmer ist jedoch optimistisch. Er geht davon aus, dass die Gruppe innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Jahresumsatz von 10 Milliarden Dollar erwirtschaften wird.

Appetit auf grosse Unternehmen

Dass Microsoft zunehmend ERP-Appetit entwickelt, zeigen auch die in der ersten Juni-Woche bekannt gewordenen, angeblich an der Komplexität
der Materie gescheiterten Fusionsverhandlungen mit SAP. Nun gehen SAP und das Redmonder Unternehmen wie bis anhin getrennte Wege. Traditionell ist SAP im Business-Software-Bereich für die grossen, Microsoft mit Great Plains und Navision eher für die kleineren Unternehmen
zuständig. In letzter Zeit versuchen die Walldorfer jedoch zunehmend auch im KMU-Markt zu wildern. Die Fusion wäre für Microsoft eine gute Gelegenheit gewesen, im Gegenzug in den oberen Regionen einzusteigen.
Analysten erwarten denn auch, dass die abgebrochenen Sondierungsgespräche möglicherweise wieder aufgenommen werden, wenn sich die Szene etwas beruhigt hat. Die Financial Times Deutschland zitiert einen Experten mit den Worten: «Man weiss nie, ob die Übernahmegespräche
irgendwann wieder hochkommen, aber im Moment ist es gelaufen.» Die Sache wäre wohl auch gar nicht erst bekannt geworden, wenn SAP nicht befürchtet hätte, dass im Kartellverfahren gegen Oracle wegen der versuchten Peoplesoft-Übernahme «vertrauliche und interne Informationen bekannt werden könnten.» So jedenfalls begründet SAP, dass man mit dem Fusionsversuch an die Öffentlichkeit ging. Nun steht wieder die bereits an der Sapphire 04 verkündete, verstärkte Zusammenarbeit der beiden Unternehmen im Vordergrund. Unter anderem soll über die Dotnet-Webservices die Zusammenarbeit zwischen SAP-Applikationen und Microsoft-Produkten verbessert werden. (fis)


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