«Think Digital»: Intelligenz muss nicht zwangs­läufig künstlich sein
Quelle: zVg

«Think Digital»: Intelligenz muss nicht zwangs­läufig künstlich sein

von Joerg Schwenk

Artikel erschienen in IT Reseller 2025/11

   

Wir haben uns verirrt. Während wir mit offenem Mund das Glitzern der neuesten Künstlichen Intelligenz bestaunen, haben wir anscheinend vergessen, was echte Intelligenz bedeutet: die Art Intelligenz, die noch Feingefühl, Ironie und sogar Empathie beinhaltet. Stattdessen eilen wir begeistert und besessen voran – von Maschinen, die angeblich «denken» und uns irgendwann alles abnehmen können, was noch irgendwie nach Arbeit aussieht. Irgendwann müssen wir nur noch die Beine hochlegen, während die KI alles erledigt. Oder etwa nicht?

Schon jetzt überlassen wir der Technologie Entscheidungen, für die wir eigentlich Hirn und Herz bemühen sollten. Die besten Beispiele? Dating-Apps, die uns einen perfekten Partner «empfehlen», während sie lediglich Algorithmen abarbeiten. Oder Arbeitsanweisungen, die von Programmen generiert werden und bei jedem Tippfehler genervt aufleuchten. Sogar Krankheitsdiagnosen teilen uns mit, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für eine Nasennebenhöhlenentzündung ist, als ob unsere Nase ein Matheproblem wäre.


Vielleicht ist genau das das Problem: Wir haben uns so sehr an Zahlen und Berechnungen gewöhnt, dass wir vergessen haben, dass Intelligenz auch Bauchgefühl bedeutet. Dieses instinktive Wissen warnt uns vor dem zu perfekten Jobangebot oder der verdächtigen Website, die im Hintergrund eine billige Kopie ist. Künstliche Intelligenz ist schneller, effizienter und präziser, aber nicht menschlich. Sie folgt starr den Regeln, während wir improvisieren, Fehler machen und lernen, auch zwischen den Zeilen zu lesen. Darin liegt die eigentliche Stärke menschlicher Intelligenz: im Zweifel, im Innehalten und im Mut, einen Umweg zu gehen.
Menschliche Intelligenz zögert, bevor sie entscheidet. Algorithmen tun das nicht. Sie wählen die Aktie mit der besten Rendite, ohne an die dahinterstehenden Existenzen zu denken, oder den perfekten Lebenslauf, ohne soziale Defizite zu erkennen. Doch gerade dieser kleine Unterschied, das Gespür für Konsequenzen, macht uns einzigartig und bleibt Maschinen auf absehbare Zeit verschlossen. Die Ironie dabei ist, dass wir KI herbeisehnen, um unsere Menschlichkeit wiederzufinden. Durch die Entlastung vom Alltag erhoffen wir uns, endlich das zu tun, was uns wirklich ausmacht. Doch sobald wir uns auf Maschinen verlassen, verlieren wir ein Stück von uns. Wir gewöhnen uns an Routinen und vergessen, dass das Leben nicht perfekt sein soll. Fehlertoleranz ist ein menschlicher Wert, den Maschinen nicht kennen.

Wenn Maschinen eines Tages alles perfekt übernehmen, was bleibt dann von uns? Wir könnten verlernen, Entscheidungen zu treffen, da Maschinen uns die Dilemmas abnehmen. Wer schon einmal erlebt hat, wie hilflos man ohne Smartphone ist, weiss: Die Abhängigkeit ist real – und sie wächst.


Wohin also mit der zu vermutenden menschlichen Intelligenz? Anstatt sie zu vernachlässigen, sollten wir sie in Gesprächen und Debatten schärfen und unsere Intuition schätzen. Intelligenz bedeutet schliesslich nicht nur Rechnen, sondern auch den Mut, Fehler zu machen. Den Maschinen können wir die stumpfen Arbeiten überlassen: Kalkulationen, Statistiken, Daten. Doch die wichtigen Dinge des Lebens sollten wir nicht einem Stück Metall und Silikon anvertrauen. Wahre Intelligenz liegt nicht in Zahlen, sondern in Zwischentönen.
Joerg Schwenk
Joerg Schwenk verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Schweizer Fachhandel und ist spezialisiert auf Onlinemarketing sowie Digitalvertrieb. In seiner Kolumne vermittelt er seine Einschätzungen, Erfahrungen und Ansichten rund um den ICT-Channel und freut sich auf Ihre Kontaktnahme beziehungsweise die Vernetzung auf Linkedin.
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