«Mittelfristig wird der Weg in die Cloud gehen»
Quelle: DSAG

«Mittelfristig wird der Weg in die Cloud gehen»

Nach wie vor beschäftigen die S/4-Migration und der ­Cloud-Shift viele hiesige SAP-Kunden. Markus Bierl, Fachvorstand der DSAG Schweiz, zu den Cloud-­Angebots-Bundles, den ­Herausforderungen der Kunden und der Kritik an SAP.

Artikel erschienen in IT Reseller 2025/09

   

Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe DSAG vertritt seit der Gründung 1997 die Interessen ihrer heute mehr als 4000 Mitgliedsunternehmen im DACH-Raum. Seit Ende 2024 ist Franke-CIO Markus Bierl Fachvorstand der DSAG für die Schweiz. Im Gespräch ordnet er die Ergebnisse der zwei jüngsten Anwender-Befragungen sowie den Druck für den Schritt in die Cloud ein und berichtet vom direkten Austausch zwischen DSAG und SAP.

«IT Reseller»: Die Befragungen der hiesigen SAP-Anwender durch die DSAG und die IG SAP Schweiz haben gezeigt, dass die Migration auf S/4 Hana weiter anzieht und die Angebots-Bundles Cloud ERP Private und Cloud ERP Public (ehemals Rise with SAP und Grow with SAP) für die Cloud-Transformation an Bedeutung gewinnen. Klar scheint aber auch: Auf Kurs für die vollständige Migration bis 2027 ist man noch nicht.
Markus Bierl:
Richtig ist: Wenn man die Zahlen mit älteren Befragungen vergleicht, zeigt sich schon, dass immer mehr Anwender S/4 nutzen. Es zeichnet sich ausserdem ein stärkerer Trend zu Cloud-Angeboten ab. Sie finden immer grösseren Zuspruch. Es stimmt aber auch, dass bis 2027 viele Unternehmen noch nicht auf S/4 und eine noch grössere Anzahl noch nicht in der Cloud sein werden.


Der Unterschied zu vielen anderen Herstellern ist aber die scharfe Deadline, die bei SAP-Kunden zum Stichtag des On-Prem-Endes zu grossen Problemen führen könnte. Wie schätzen Sie das ein?
Wir sind hierzu im engen Austausch mit SAP. Die alte Version ECC läuft bis 2027 noch ganz normal, danach werden erst einmal die Wartungsgebühren erhöht. 2030 ist der Endtermin, der ursprünglich ebenfalls auf 2027 angesetzt war und auf Initiative der DSAG verlängert wurde. Das ist zumindest ein kleiner Puffer, auch wenn 2030 schneller kommt, als man denkt. Gerade angesichts der aktuellen Wirtschaftslage, die nicht unbedingt grosse Investitionen rechtfertigt – und Transformationsbemühungen hemmt. Für S/4 On-Premises gilt derweil die Unterstützung bis 2040, was Anwendern noch etwas mehr Planungszeit verschafft.

Sind die Investitionen die einzige Herausforderung oder stehen der flächendeckenden Migration weitere Faktoren im Weg?
Es ist auch stark davon abhängig, welche Art der Transformation beziehungsweise Konvertierung man macht – ob Brownfield oder Greenfield. Gerade eine Greenfield-Implementierung ist natürlich schon ein enorm komplexes Projekt. Hierfür braucht es die entsprechenden Business-Ressourcen und das ist weder trivial noch günstig.
Was sind dabei die grossen Kostenblöcke?
Da geht’s nicht mal unbedingt nur um die Kosten von SAP selbst. Die Beratungsleistungen und der Aufwand in der Firma, unter anderem für Planung, Durchführung und Tests, sind nicht zu vernachlässigen. Übrigens: Die meisten Firmen, die solch ein Transformationsprojekt bisher umgesetzt haben, waren erfolgreich. Nur von den weniger erfolgreichen liest man dann meist in der Presse.

Mal abgesehen von den Fällen, bei denen es nicht so gut klappt, gibt’s aber doch einige, die das Projekt noch nicht einmal angegangen sind. Finanzielle Investitionen sind sicher ein Faktor, die passenden Fachkräfte für ein solches Projekt ein anderer.
Ja, das ist korrekt, Fachkräfte und ihre Verfügbarkeit spielen eine entscheidende Rolle. Wie bereits genannt, sind Transformationsprojekte hochkomplex und erfordern erfahrene Spezialistinnen und Spezialisten, um die Umstellungen im geplanten Zeit- und Kostenrahmen sowie der gewünschten Qualität zu realisieren.


In der DSAG-Befragung hiess es, dass die Anzahl der bereits migrierten Kunden und derer, die die Migration in Angriff genommen haben, besser wird. Die DSAG betonte aber auch, dass dieses Jahr mehr Enterprise-Kunden befragt wurden, was die Ergebnisse bezogen auf den KMU-Markt gegebenenfalls besser aussehen lässt, als sie sind. Wie ist Ihrer Einschätzung nach die Situation von KMU in der DACH-Region?
Der DSAG-Investitionsreport spiegelt in diesem Jahr vor allem die Entwicklungen grösserer Unternehmen wider – 42 Prozent der befragten Unternehmen beschäftigen 5000 oder mehr Mitarbeitende. Mit Blick auf KMU muss man etwas differenzieren. Sie haben meist eine andere Ausgangslage, weil sie in der Regel nicht eine grosse SAP-Lösung wie S/4 Hana im Einsatz haben, sondern schmalere Produkte wie Business by Design – das ausserdem bereits eine Cloud-Lösung ist. Das Produkt wird zwar von SAP nicht mehr weiterentwickelt, es gibt aber weiterhin Sicherheits-Updates. Damit wird ein Wechsel früher oder später notwendig, Anwender haben aber nicht so einen grossen Migrationsdruck wie grosse Unternehmen, denen das Wartungsende im Nacken sitzt. Dazu kommt, dass KMU bei einer Umstellung, zum Beispiel via Cloud ERP Public, deutlich agiler sind als grosse Unternehmen, die eine neue Lösung gegebenenfalls in 50 Ländern mit allen legalen Anforderungen durchtesten müssen. Dafür sind bei mittleren Unternehmen die finanziellen Mittel und personellen Ressourcen wiederum kleiner als bei Grosskonzernen.

Also steht die Uhr bei den mittelgrossen Kunden in Ihren Augen noch nicht auf fünf vor zwölf?
Bei einer Brownfield-Migration in Unternehmen dieser Grösse liest man von Projektdauern über 7 bis 15 Monate. Man kann das also durchaus in weniger als zwei Jahren durchziehen. Sogar in wesentlich kürzerer Zeit, wenn man nicht viele Verbesserungen und Innovationen einbaut. Allerdings unter der Voraussetzung, dass die entsprechenden Ressourcen bereitstehen.
Einer der grössten Kritikpunkte in den Befragungen waren aber die beiden eingangs genannten Angebots-Bundles respektive der Druck, den SAP damit macht, damit Kunden in die Cloud wechseln. Wird die Migration in die Cloud alternativlos sein oder gibt es einen realistischen Ausblick, dass es eine On-Prem-Lösung geben könnte, mit der man auch von Innovationen profitieren kann?
Es gibt ja die bereits genannte On-Prem-Garantie bis 2040. Als Unternehmen muss man sich das aber natürlich genau ansehen – denn der Trend in die Cloud ist klar da. Und gewisse Innovationen bietet SAP aktuell eben nur an, wenn man in der Cloud ist, zum Beispiel den KI-Assistenten Joule. SAP hat auch eine langfristige Vision, in Richtung Public- statt Private Cloud zu gehen. In der Private Cloud gibt es für Anwender die Möglichkeit, mehr Speziallösungen zu entwickeln, was Updates schwieriger macht. Da steht also auch eine Logik ­dahinter. Wir als DSAG setzen uns dafür ein, dass SAP Innovationen nicht nur in der Cloud, sondern weiterhin auch für On-Premises-Anwender zur Verfügung stellt. Mittelfristig wird der Weg aber in die Cloud gehen. Nicht das Ob ist entscheidend, sondern das Wann.

Die Position, dass der Schritt in die Public Cloud ein so wichtiger Trend und unaufhaltbar ist, haben wir auch schon in anderen IT-Bereichen gesehen und das hat sich nur halb bewahrheitet. Viele Unternehmen fahren in der Realität Hybrid-­Strategien oder haben sich gar wieder von der Cloud abgewendet.
Die SAP-Strategie zeigt aber eben klar in diese Richtung. Man kann die Systeme On-Premises weiter betreiben und wir setzen uns wie gesagt stark dafür ein, dass das auch weiter möglich ist. Fakt ist, dass SAP für viele Unternehmen einer der wichtigsten Partner überhaupt ist, die Software ist meist geschäftskritisch. Wir kennen schliesslich die Geschichten von ERP-Ausfällen und den Schäden, die ein solcher Ausfall verursachen kann. Als Kunde eine Strategieänderung eines so wichtigen Partners zu erwarten, sehe ich als schwierig an. Bei Produkten anderer Software-Hersteller gibt es diese Entwicklung auch, da ist der Cloud-Trend einfach nicht umkehrbar.


Etwa am Beispiel Microsoft 365 zeigt sich aber, dass der Widerstand riesig ist und zu hitzigen Diskussionen führt. Und das wird wohl auch Folgen haben – die dänische Regierung hat sich beispielsweise unlängst von M365 abgewendet. Haben Sie auch Mitgliederunternehmen, die sich angesichts des Cloud-Schrittes den Absprung überlegen?
So einfach wirft man ein ERP nicht raus. Wenn Sie das Upgrade auf S/4 schon für aufwändig halten, führen Sie erstmal ein neues ERP ein. Ausserdem hat SAP den Vorteil, dass es ein deutsches respektive europäisches Unternehmen ist. Und es werden nicht nur die grossen US-Hyperscaler unterstützt, es gibt auch souveräne Cloud-Lösungen, in denen man SAP betreiben kann.
Hat die Schweiz einen souveränen hiesigen Cloud-­Anbieter, bei dem man SAP betreiben kann?
Aktuell gibt es noch keinen wirklich souveränen Anbieter in der Schweiz wie etwa Delos in Deutschland. Solche Lösungen sind aber ein wichtiges Signal und auch für die Schweiz erstrebenswert. Denn Europa braucht mehr digitale Eigenständigkeit, natürlich unter der Voraussetzung, dass Innovationen dadurch nicht gehemmt werden.

Nochmal zurück zu den Mitteln, mit denen SAP die Cloud-Migration vorantreibt. Man hört einiges an Kritik an Cloud ERP Private und Cloud ERP Public. Wie sehen Sie die Produkte?
Wir sehen deutliches Verbesserungspotenzial beim gesamten Wechselprozess, dieser muss für Unternehmen einfacher werden. Alleine das Vorprojekt, also die Verhandlung und Definition dessen, was man bis zum Vertragsabschluss braucht, ist aufwändig. Danach kommt der eigentliche Umzug in die Cloud. Und erst in der dritten Phase, wenn das System schliesslich in der Cloud betrieben wird, hat man dank dem Cloud-Fokus die vielen Vorteile, wie zum Beispiel mit der Cybersecurity oder mit Innovationen wie dem KI-Assistenten Joule. Kritik wird vor allem aufgrund der recht undurchsichtigen und komplizierten kommerziellen Rahmenbedingungen von Cloud ERP Private beziehungsweise Cloud ERP Public laut. Gut sind dagegen Programme wie RISE with SAP Migration & Modernization, das Incentive-Massnahmen beim Wechsel in die Cloud beinhaltet.


Stehen Sie als DSAG im Austausch mit SAP zur Adressierung der Kritikpunkte?
Wir führen hier direkte und regelmässig Gespräche mit den Verantwortlichen und Entscheidungsträgern, die uns auch um Feedback gebeten haben.
Und tragen diese Inputs Früchte?

SAP ist zwar ein grosses Börsenunternehmen, aber ja, das trägt durchaus Früchte. Unsere Kommunikation reicht bis zur Vorstandsebene. An unserem bald stattfindenden DSAG-Jahreskongress ist etwa auch Thomas Saueressig, also die Nummer zwei bei SAP, anwesend, hält einen Vortrag und ist im Anschluss für Gespräche im Vorstandsrahmen verfügbar. Auch mit den anderen Verantwortlichen stehen wir in Kontakt. Man nimmt sich bei SAP also definitiv Zeit für uns. Die Kommunikation funktioniert im Ganzen sehr gut. Machen sie dann alles, was wir vorschlagen? Logisch – nein. Aber wir nehmen spürbaren Einfluss.
Wie sammeln und gestalten Sie dieses Feedback?
Die DSAG hat zahlreiche Arbeitsgruppen – 17 in der Schweiz, zusammen mit Deutschland und Österreich über 200. Diese beschäftigen sich dann wirklich mit den SAP-Lösungen im Detail – je nach Anwendungsgebiet. Beispielsweise die Arbeitsgruppe Passar zum elektronischen Zoll der Schweiz. Zum Jahresende muss das live gehen, der Druck ist also riesig. In allen Arbeitsgruppen sitzt auch ein Vertreter von SAP. Damit bekommt SAP Einblicke in die User-Sicht aus der Praxis und wird direkt informiert, wenn etwas nicht läuft. Das hilft denen, das hilft uns – es ist ein Geben und Nehmen. Mit den Arbeitsgruppen entsteht ein grosser Mehrwert für SAP und für uns. Unsere Mitglieder zeigen hier einen riesigen Einsatz und das ehrenamtlich. Dafür aber für eine noch bessere Software.

Wenn nun ein Unternehmen, das SAP im Einsatz hat, nach wie vor nicht sicher ist, wie die S/4-Migration anzugehen ist oder wie sie mit dem Cloud-Druck umgehen sollen – was raten Sie ihm?
Erstens können sich die Unternehmensvertreter an uns und an die anderen Mitgliederunternehmen wenden, wenn sie DSAG-Mitglied sind. Um den Austausch untereinander zu unterstützen, bieten wir unter anderem eine Community-Plattform. Ausserdem gibt es zahlreiche Sessions, Informationsveranstaltungen und -angebote, sowie Weiterbildungsmöglichkeiten der DSAG. Hier wird jeder für seinen Fachbereich fündig. Zweitens empfehle ich einem Unternehmen, sich selbst kritisch den Spiegel vorzuhalten und sich zu fragen, welche Strategie langfristig verfolgt werden soll.


Welche Fragen sollte man sich dabei stellen?
Beispielsweise, ob man viele Neuheiten und Innovationen haben und einen starken strategischen Digital Core mit SAP bauen will oder nicht. Denn dafür ist der Weg in die Cloud langfristig unausweichlich. Und: Ob angesichts der wirtschaftlichen Lage die entsprechenden Ressourcen im Unternehmen verfügbar sind. Denn wie schon angesprochen sind Transformationsprojekte in der Regel zeit- und kostenintensiv – und erfordern entsprechende Fachkräfte. (win)


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