Think Digital: Zehn Offerten sind zuviel
Quelle: zVg

Think Digital: Zehn Offerten sind zuviel

von Joerg Schwenk, unabhängiger Fachhandelsspezialist mit Schwerpunkt Onlinemarketing und Digitalvertrieb

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2023/11

     

Eine gute und qualifizierte Vorauswahl an Anbietern, die Erstellung einer Shortlist an Anbietern und danach das Einholen von maximal drei Offerten: Das war zumindest früher das Mass der Dinge. Aber anscheinend lagen wir da falsch. Es scheint so, als ginge es problemlos auch auf anderem Wege, oder besser gesagt in anderen Grössenordnungen. Denn die Generation Social Media rennt über den Markt und ruft laut rein «Möchte ein Kilo Tomaten kaufen und hätte gerne euren besten Preis». Scheint ja auch so zu funktionieren, noch…

Völlig sinnentfremdet und sachbefreit werden heute Offerten von jedem verlangt, den man bei der ersten kurzen Recherche findet. Und, als ob das nicht reicht, werden auch noch teure Analysen, Spezialangebote oder Sonderwünsche verlangt. Selbstverständlich ist jede Offerte gratis, denn es ist ja die Zeit und das Geld der anderen. Eine Offerte erstellen zu dürfen, ist doch ein Segen. Und in gesättigten Märkten erst recht. Aber muss man als Anbieter wirklich alles mitmachen oder sollten wir öfter Nein sagen?


Früher, ja früher war das anders, wenn wir eine Offerte verlangt haben. Zumindest dann, wenn man kein professioneller Einkäufer eines Konzernes war. Teilweise haben wir uns gar geniert, nach einem Rabatt zu fragen. Das ist heute komplett anders. Wir haben locker die Möglichkeit zehn und mehr Offerten einzuholen. Basierend auf unseren heutigen Kommunikationsmöglichkeiten könnten wir sogar noch mehr, wenn wir denn wollten. Teilweise können wir uns den Spass erlauben, Aufträge auch auf Bieterplattformen auszuschreiben und zu schauen, wer am günstigsten anbietet. Eindeutig das Gegenstück zum Turbo-Kapitalismus. Rabatt wird grundsätzlich bei jedem Geschäft vorausgesetzt und man versucht auch sonst herauszuholen, was geht. Und wenn es nicht so läuft wie erhofft, dann wird die anbietende Firma mit einem Shitstorm oder Boykott unter Druck gesetzt.
Aber es gibt Licht am Ende der Tunnels: Gut geführte und erfolgreiche Unternehmen offerieren solchen Leuten schon lange nicht mehr. Sie suchen sich die Menschen und Partner raus, bei welchen man offerieren möchte. Sie haben ihre Zahlen im Griff und wissen genau, wo sie vermutlich ohne Erfolg offerieren werden und lassen es daher. Auch, und das freut mich, haben diese Unternehmen genügend Sitzfleisch und Rückgrat, um die bei einem Nein oft folgenden Angriffe, via Social-Media, auszusitzen. Love it.

Anfragende, wie ich sie beschrieben habe, dürfen sich nicht wundern, wenn es keine oder nur noch schlechte Angebote geben wird. Ihr Verhalten schadet der Volkswirtschaft, denn wir reden nicht nur von Tomaten, sondern eher von Investitionsgütern. Solche Offerten können 15 Minuten in Anspruch nehmen, aber auch Stunden oder Tage. So hat man weniger Zeit für die wirklichen Opportunitäten, die Gelder bringen können.


Letztendlich versuchen sich einige Individuen dieser Generation Vorteile, basierend auf ihren neuen Möglichkeiten, zu verschaffen und verteuern letztendlich alles für alle und jeden. Nicht falsch verstehen: Wir haben alle unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten genutzt. Da wir aber nicht vieles multiplizieren konnten, haben wir nicht wirklich grossen Schaden anrichten können. Heute, mit der nahezu kostenfreien Massenkommunikation, den elektronischen und sozialen Medien, bekommt man schon einen grösseren Sturm im Wasserglas hin.

Meine Sichtweise als Unternehmer: Man sollte in Betracht ziehen, dass Offerten, die nicht angetreten werden, bezahlt werden müssen, sofern man mehr als drei Offerten einholte. Nein? In einigen Branchen ist das bereits Praxis, dass Offerten grundsätzlich Geld kosten. Ich spreche dabei nicht von einfachen Angeboten im Webshop oder im Schaufenster, sondern von Fällen, in denen man sich zur Preiskalkulation Zeit nehmen und dies in einer Offerte verfassen muss.

Mein Tipp: Nicht alles, was man tun könnte, muss auch getan werden. Und das gilt für alle Marktteilnehmer.



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