IT-Unternehmen leiden auch weiterhin unter Fachkräftemangel und der Abwanderung qualifizierter Mitarbeiter. Der Autor und ICT-Berater Tom DeMarco (Bild) beschrieb auf der Fachtagung «Personal-Gewinnung und – Bindung in ICT-Bereichen» in Olten, welche Gründe die Mitarbeiter zum Abwandern bewegen: Der grassierende Effizienzwahn beschneidet den Mitarbeitern Freiraum und Kompetenzen, sie fühlen sich als Fliessbandarbeiter.
IT Reseller: Was kann man gegen den Fachkräftemangel im IT-Bereich tun?
Tom DeMarco: Im Grunde genommen gar nichts – die demografische Entwicklung verläuft gegen uns. Die IT-Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter selbst ausbilden – die in der Schweiz aktuelle Informatiklehre ist zum Beispiel sicher ein Schritt in die richtige Richtung.
ITR: Warum kündigen Mitarbeiter?
TDM: In den USA sind das die häufigsten Kündigungsgründe: a) Ich komme mir ausgenutzt vor; b) Ich komme in diesem Betrieb nicht weiter; c) die Arbeit lässt mir zuwenig Lebensqualität; d) mir fehlt die Herausforderung; e) Ich mache immer das Gleiche; f) ich werde ständig gestört und gestresst. Nie kann ich wirklich machen, was ich mir vorgenommen habe; f) Ich bin zu stark in irgendwelche Prozesse eingebunden. Der Lohn spielt meistens eine untergeordnete Rolle.
ITR: Was führt zu diesen Kündigungsgründen?
TDM: In vielen Unternehmen grassiert der Effizienzwahn. Man will mehr aus den Mitarbeitern herausholen – mit dem Resultat, dass sie sich ausgenutzt vorkommen. Man will sie auf eine bestimmte Aufgabe fixieren – Folge: Die Mitarbeiter haben das Gefühl, sie kämen intern nicht weiter. Man zwingt die Mitarbeiter Überzeit zu arbeiten – und beschneidet damit ihre Lebensqualität. Das Unternehmen beschränkt sich auf seine Kernkompetenzen – mit dem Resultat, dass den Mitarbeitern die Herausforderung fehlt und sie immer das Gleiche machen.
Man dünnt die Kaderebene aus – Resultat: Die Mitarbeiter werden durch irgendwelche Zusatzaufgaben von ihrer eigentlichen Arbeit abgelenkt. Man standardisiert die Betriebsprozesse – und verunmöglicht dadurch flexibles, eigenständiges Arbeiten. Mit anderen Worten: Das übertriebene Streben nach Effizienz behindert die Mitarbeiter in ihrer persönlichen Entwicklung und in ihrer Befindlichkeit.
ITR: Woher kommt Ihrer Meinung nach dieser Effizienzwahn?
TDM: Anfang der Neunziger Jahre schwappte die «japanische Welle» über Europa und die USA hinweg. Man begann das japanische Modell zu kopieren, nach mehr Effizienz zu streben. Indes: Wenn man heute zurückblickt, dann waren es nicht die «effizientesten» Unternehmen, die das Rennen machten, sondern jene, die sich unkompliziert auf neue Entwicklungen einstellen konnten. Den Internetboom beispielsweise verpassten die Japaner trotz aller Effizienz völlig.
ITR: Was ist denn Ihrer Meinung nach effektiver?
TDM: Wenn man ein bisschen weniger effizient ist. Bezogen auf die IT-Branche heisst dies zum Beispiel, dass man aufhört, jeden Schritt doppelt und dreifach zu dokumentieren. Es ist viel wichtiger zu entscheiden, welche Projekte man nicht macht, als welche man macht. Erfahrungsgemäss sind es sowieso immer zu viele. Und: Die Unternehmen müssen beginnen, aktiv in human capital zu investieren.
ITR: Was heisst das genau: «Investment in human capital»?
TDM: Wenn ein IT-Unternehmen einen fachlich gut ausgebildeten, bewährten Mitarbeiter verliert, kostet das den Betrieb in den USA ein bis drei Jahresgehälter, bis ein neuer Mitarbeiter wieder genauso produktiv ist. In der Buchhaltung taucht dieses Investment jedoch nirgends auf. Die Unternehmen müssen sich bewusst werden, was der Verlust in der Betriebskalkulation realistisch gesehen bedeutet. Ein gezieltes und professionelles Human Resources Management muss deshalb zu den Kernaufgaben von IT-Unternehmen gehören. Wer jetzt nicht in seine Mitarbeiter investiert, wird in Zukunft echte Probleme bekommen.
(Interview: ava)