Interview: Trennung von Bedarfs- und Beschaffungsstelle


Artikel erschienen in IT Reseller 2001/11

   

IT Reseller: Ein Branchenkenner, der schon viel Erfahrung mit öffentlicher Beschaffung gemacht hat, behauptet, dass die eidgenössische Submissionsverordnung für IT nichts tauge, da das Verfahren viel zu lang daure.
Elisabeth Vogt: In der Regel dauert die vollständige Abwicklung einer öffentlichen Ausschreibung inklusive Vertragsabschluss 4 bis 6 Monate. Das Verfahren ist grundsätzlich auch tauglich für einen schnelllebigen Markt, wie er im Bereich der IT vorliegt. Jede professionelle Beschaffung gliedert sich in die folgenden Phasen: die Redaktion des Pflichtenheftes, das Einholen der Offerte, die Bewertung der Offerten (wirtschaftlich günstigstes Angebot) sowie die Zuschlagserteilung und den Vertragsschluss.
Im WTO-Verfahren verlängern vor allem die Fristen für die Offerteinreichung den Beschaffungsablauf. Die Fristen betragen je nach Verfahren 40 Tage (offenes Verfahren) oder 25 plus 40 Tage (selektives Verfahren) ab Publikation der Ausschreibung. Es kommt vor, dass sich während des Ausschreibungsprozesses Leistungen und Preise des Produkts aufgrund der Schnelllebigkeit des Marktes verändern. Dies ist bei der Beschaffung von Hardware recht oft, bei der Beschaffung von Software relativ selten der Fall.

ITR: Wie geht man praktisch damit um?

EV: Die zentrale Beschaffungsstelle (im Fall von IT das Bundesamt für Bauten und Logistik) wird in Zusammenarbeit mit der betroffenen Dienststelle technische Minimalanforderungen an das zu beschaffende Produkt definieren. Das berücksichtigte Produkt muss diese Minimalanforderungen erfüllen, kann aber, etwa durch eine neue Produktelancierung, auch darüber hinausgehen. Der Preis für das Produkt wird in der Regel in Mengenrabatten zu den bestehenden Listenpreisen offeriert, so dass auch in Bezug auf Folgeprodukte Preistransparenz besteht.
ITR: Unser Branchenkenner hat uns erzählt, dass oft Pseudo-Ausschreibungen stattfinden. Das heisst, das man bereits vorher weiss, wem man den Zuschlag für den jeweiligen Auftrag geben wird. Wo bleibt da der Vergabegrundsatz «Wettbewerb»?
EV: Was die angesprochenen Pseudo-Ausschreibungen betrifft, so besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass eine Bedarfsstelle ein bestimmtes Produkt oder einen bestimmten Anbieter favorisiert und das Pflichtenheft, die Zuschlags- oder Eignungskriterien darauf ausrichtet.
Die Gefahr, dass dies systematisch geschieht, erachten wir aber aus folgenden Gründen als nicht gross: Organisatorische Unterscheidung zwischen Bedarfs- und Beschaffungsstelle: Es wird in der Regel bei der Beschaffung von Gütern organisatorisch zwischen Bedarfsstelle und Beschaffungsstelle unterschieden. Sämtliche wichtigen Schritte (Pflichtenheft, Evaluationsbericht, Ausschreibungsunterlagen) werden durch die Beschaffungsstelle ausgelöst bzw. begleitet.
Auf diese Weise kommt ein Vier-Augen-Prinzip zur Anwendung, das der willkürlichen Steuerung der Ausschreibung in eine bestimmte Richtung entgegenwirkt.
Transparente Kriterien: Den Zuschlag erhält das wirtschaftlich günstigste Angebot. Es wird durch die in der Ausschreibung publizierten Zuschlagskriterien ermittelt. Dasselbe Prinzip gilt für die Unternehmensqualifikation.
Transparenter Entscheidungsprozess: Ein Evaluationsbericht, der die Sachlichkeit und Objektivität des Entscheidungsprozesses dokumentiert, muss von der Beschaffungsstelle redigiert werden.
Rechtsmittel: Abgewiesene Anbieter können den Zuschlagsentscheid mit einem Rechtsmittel anfechten und die Verletzung von Vergabenormen rügen.
Korruptionsstrafrecht: Es bestehen in der Regel strenge Geschenkannahmeverbote sowie strafrechtliche Normen für Korruption durch öffentlich-rechtlich Angestellte.
ITR: Hatten Sie schon Fälle von Preisabsprachen und was passiert mit den Übeltätern?
EV: Tatsächlich hatte das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) in einem Fall den Verdacht, dass die Anbieter die Preise vorgängig abgesprochen haben. Sie informierte darauf hin das Sekretariat der Wettbewerbskommission, die eine entsprechende Untersuchung einleitete. Die Presse wurde informiert. Weitere Fälle auf Bundesebene sind uns nicht bekannt.
ITR: Ein Problem beim ganzen Verfahren scheint, dass es nicht erlaubt ist, bestimmte Produkte von vornherein zu verlangen. Wenn aber z.B. ein Kanton eine standardisierte Umgebung will (z.B. überall gleiche PCs und gleiche Software), um Kosten zu sparen, muss er die Ausschreibung so machen, dass er am Schluss trotzdem das richtige bekommt, wo wir wieder bei der Pseudo-Ausschreibung wären.
EV: Bei der Ermittlung von Produktestandards vertreten wir die Rechtsauffassung, dass die Ermittlung und Beschaffung des Standards grundsätzlich im Rahmen einer WTO-Auschreibung erfolgen muss. Das bedeutet, dass produkteunabhängig ausgeschrieben werden muss. Hat man auf diese Weise das Produkt, das ein bestimmtes Bedürfnis standardmässig abdecken soll, ermittelt, so können die Folgebeschaffungen durchaus produktebezogen erfolgen (etwa durch regelmässige Aushandlung von neuen Konditionen).
Die Folgebeschaffungen müssen aber auch nach den Regeln des BoeB (Bundesgesetz für das öffentliche Beschaffungswesen) abgewickelt werden. In Ausnahmefällen – etwa weil aufgrund gesicherter Marktkenntnisse nur ein Produkt in Frage kommt – kann der Entscheid, ein bestimmtes Produkt zum Standard zu erheben, ausserhalb einer öffentlichen Ausschreibung erfolgen. Aber auch in diesem Fall hat die Beschaffung nach den Regeln des BoeB zu erfolgen.
ITR: Kommen wir zum Thema ausländische Anbieter. Theoretisch können nach WTO auch ausländische, z.B. deutsche VARs mitmachen. In der Broschüre zur Beschaffungspolitik des Bundes heisst es dann auch «Inländische und ausländische Anbieter sind im Wettbewerb gleich zu behandeln». Da gibt es aber Hindernisse, die ausländischen Mitanbietern kaum eine reelle Chance lassen. Z.B. muss die Submissions-Eingabe bei einer Schweizer Poststelle abgestempelt worden sein.
EV: Ziel des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen ist die Liberalisierung der Beschaffungsmärkte. Das Erfordernis, dass das Angebot in einer inländischen Poststelle abgestempelt werden muss, stellt eine klare Diskriminierung dar und ist WTO-widrig. Das solche Anforderungen an die Unternehmen gestellt werden, ist uns nicht bekannt. Rechtliche Hindernisse bestehen im Grundsatz keine. Allerdings ist zu sagen, dass die Publikationsorgane überwiegend von inländischen Anbietern gelesen werden, was den Wettbewerb und die Transparenz faktisch beschränken kann. Hier ist auf die Initiativen der EU, die sich auf ein EU-weites Publikationssystem im Internet beziehen, zu verweisen. (Interview: sk)


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