Dot-coms in den Keller verbannt

Auf Europas grösster Internetmesse, der Internet World in Berlin, hat sich zum Abschluss hin doch noch Optimismus breit gemacht.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/10

     

Nach Schätzungen der Veranstalter kamen 74’000 Besucher zur dreitägigen Messe. Die Zahl der Aussteller hat sich mit etwa 1000 gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt.
Eine reine Dot-com-Messe ist die Internet World nicht mehr. Firmen wie IBM, Microsoft, Sun Microsystems und grosse Bankkonzerne beherschten die Hallen, während die Vertreter der New Economy ins Untergeschoss verbannt wurden. Die beschwingte Stimmung der vergangenen Jahre fehlte dort weitgehend.
Wenn es allerdings ums Feiern ging, sind die Kleinen nach wie vor gross: «Die New Economy schlägt zurück», lautete das selbstbewusste Motto der «langen Nacht der Start-ups».

«Die Kostenlos-Kultur überlebt nicht»

Wichtiges Messethema war neben dem mobilen Internet vor allem das interaktive Online-Fernsehen. Dafür sollen die Kunden ebenso zahlen wie für Informationen oder das Telefonieren über das Web. T-Online-Chef Thomas Holtrop hatte die Parole bereits vor dem Start der Messe ausgegeben: «Die Kostenlos-Kultur wird nicht überleben.»
Anbieter wie Excite oder Yahoo geraten damit in ein Dilemma. Wie sollen sie ihren Kunden klar machen, dass die Dienste vom E-Mail-Postfach bis zu den Nachrichtenangeboten plötzlich gebührenpflichtig werden? Doch die Dot-com-Moden wechseln schnell. Waren noch vor einem Jahr Marktanteile und Nutzerzahlen das Mass aller Dinge, belohnt die Börse jetzt jene, die für ihre Inhalte Geld nehmen wollen.

Der Druck wächst

Zwischen Plan und Verwirklichung dürften allerdings noch ein paar verlustreiche Quartale liegen. Die Analysten warnen, dass sich nur wenige Inhalte eignen, um die Nutzer zum Zahlen zu bewegen. Die Geschichte des Web kennt genügend fehlgeschlagene Versuche. Nicht nur Microsofts «Slate» oder die Finanz-Website «Thestreet.com» scheiterten daran, dass ähnliche Inhalte anderswo kostenlos zu bekommen waren.
Doch der Druck wächst. Credit Suisse First Boston geht von einem Rückgang der Werbeausgaben im US-Internetgeschäft um 20 Prozent aus. In Europa sieht es nicht viel besser aus. Wenn Unternehmen bei ihren Marketingbudgets den Rotstift ansetzen, trifft es meistens zuerst das Web.
Anderseits bleiben an der Internet World die Ideen für käufliche Web-Angebote eher allgemein.
Bisher haben nur wenige Websites Abonnement-Modelle durchsetzen können. Ausser AOL gibt es keine darunter mit allgemeinen Inhalten. Chancen haben nach Meinung von Analysten am ehesten noch Spiele oder Wirtschafts- und Börseninfos. «Wall Street Journal» etwa ist dessen 570’000 Online-Leser immerhin bis zu 59 Dollar im Jahr wert.

Rasender Stillstand

Trotz allem gab sich der deutsche Staatssektretär Siegmar Mosdorf auf der Internet World überzeugt, dass Internet-Wirtschaft, IT- und Telekommunikationsindustrie nach wie vor die treibenden Kräfte der Volkswirtschaft bilden. «Die Pixelrevolution geht weiter», verkündete der SPD-Politiker bei der Eröffnung der Messe. Die Branche, die heute in Deutschland mit ihren rund 800’000 Beschäftigten und einem Umsatz von 250 Milliarden Mark auf Platz vier der wichtigsten Industrien liege, werde in wenigen Jahren Platz eins belegen.
Das Auf und Ab der New Economy scheint allerdings auch ihm Rätsel aufzugeben. Mosdorf griff zur Beschreibung der «Netzrevolution» auf einen Ausdruck von Paul Virilio zurück: Der französische Medienphilosoph hatte in diesem Zusammenhang von einem «rasenden Stillstand» gesprochen. (fis)


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