Erich Gebhardt zum Microsoft-Abgang aus Zürich

Gestern Mittwoch gab Microsoft bekannt, sein UC-Entwicklungszentrum in Zürich zu schliessen. Erich Gebhardt, der das Zentrum einst aufgebaut hatte und heute für Swisscom tätig ist, zeigt Verständnis für den Entscheid – unter anderem, weil das Entwicklungszentrum offenbar zu wenig innovativ war.
2. Dezember 2010

     

Microsoft hat bekanntgegeben, sein Unified-Communication-Entwicklungszentrum in Zürich zu schliessen beziehungsweise nach Redmond zu überführen (Swiss IT Reseller berichtete). Entstanden ist dieses Entwicklungszentrum aus dem Kauf des VoIP-Pioniers Media Streams.com durch Microsoft im Jahre 2005. Der Mann hinter Media Streams.com war damals Erich Gebhardt, der nach dem Verkauf noch für rund drei Jahre für Microsoft tätig war und heute bei Swisscom arbeitet. Im Interview mit Swiss IT Reseller zeigt Erich Gebhardt Verständnis für den Entscheid von Microsoft, sein ehemaliges "Baby" zu schliessen.

Swiss IT Reseller: Wie enttäuscht sind Sie nun über den Entscheid von Microsoft?

Erich Gebhardt: Ich bin nicht enttäuscht von Microsoft. Ich bin vielmehr stolz darauf, dass Technologien, die wir als Zürcher Start-up entwickelt haben, heute auf Millionen von PCs erfolgreich laufen und die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren, prägen. Die Technologien, welche von Media Streams.com in die Microsoft-Produkte eingebracht wurden, sind nun mit Lync 2010 und Office 2010 vollumfänglich im Markt. Es ist richtig und logisch, dass Microsoft bei diesen Themen den Schwerpunkt nun auf Vermarktung und Deployment legt. Innovation auf Basis Lync 2010 findet jetzt vor allen bei den Microsoft-Partnern statt, wir sind zum Beispiel bei Swisscom in diesem Bereich sehr aktiv und konnten schon einige neue UC-Innovationen entwickeln und sogar für Swisscom international patentieren lassen.
Schade finde ich, dass unsere Nachfolger im Entwicklungszentrum Zürich offenbar nicht genügend neue, noch nicht geplante Innovationen entwickeln und dem HQ in Redmond als zukünftige Produktentwicklungen schmackhaft machen konnten und so das Entwicklungszentrum Zürich für die Zukunft nach Lync 2010 hätten fit machen können.
Portrait Erich Gebhardtcrack
In der aktuellen Ausgabe von Swiss IT Reseller findet sich ein Portrait von Erich Gebhardt. Noch in diesem Portrait, das vor Bekanntwerden der Schliessung erschien, hatte Gebhardt erwähnt, wie stolz er darauf sei, dass man es beim Verkauf von Media Streams.com geschafft habe, dass das Entwicklungsteam in Zürich bleibe. Erich Gebhardt, 46, hatte Media Streams.com 1999 mit ehemaligen Mitarbeitern aus seiner Zeit bei Siemens gegründet und die Firma 2005 an Microsoft verkauft.
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War so ein Schritt von Microsoft absehbar?

Zum damaligen Zeitpunkt, als wir den Ausbau geplant haben, sicher nicht. Allerdings muss man schon sehen, dass in der Technologiebranche das Rad ein bisschen schneller dreht als in anderen Industrien und somit auch Veränderungen schneller stattfinden. Insofern ist es schwierig, Dinge auf lange Sicht vorauszusehen.

Microsoft hat ja angekündigt, die 26 betroffenen Mitarbeiter könnten nach Redmond wechseln. Ist dies nicht nur ein Alibi-Angebot, unrealistisch für die Mitarbeiter?

Das kann man aus meiner Sicht nicht pauschal beantworten. Schon zu meiner Zeit hatte es eine bunte Durchmischung von Nationalitäten, ein Teil kam sogar aus Redmond. Bei diesen hochmobilen Wissensarbeitern ist so ein Wechsel durchaus eine spannende Option. Vielleicht nicht für alle, aber das Angebot ist per se realistisch.
Ausserdem freuen wir uns in der Zürcher IT-Industrie natürlich, den einen oder anderen aus dem Entwicklungszentrum zu übernehmen.

Haben Sie von Ihren alten Weggefährten bereits Rückmeldungen erhalten? Wie gross ist die Enttäuschung dort?

Natürlich schmerzt es, wenn ein Bereich, in den man viel Herzblut hineingesteckt hat, nicht fortgesetzt wird. Ich muss allerdings hinzufügen, dass vom ehemaligen Media-Streams.com-Team nur noch ein kleiner Teil dort ist. Der Schweizer Entwicklermarkt ist sehr attraktiv, das heisst es gab eine natürliche Fluktuation.

Weshalb denken Sie, wird das Entwicklungszentrum ZH geschlossen? Und was bedeutet der Entscheid für das Prestige des Standorts Schweiz?

Die Lösungen, die wir damals bei Media Streams.com entwickelt haben, befinden sich heute in der dritten Generation. Das Thema Unified Communications deckt heute viel mehr Technologiefelder ab als damals, als wir mit VoIP begonnen haben. Es ist tatsächlich so, dass es bei einem gereiften Produkt Sinn macht, Synergiepotentiale mit anderen Kompetenzzentren genau zu analysieren und zu optimieren.

Ich halte den Standort Schweiz als absolut führend für Innovation und Entwicklung. Das Beispiel Microsoft-Entwicklungszentrum zeigt aber, dass wir mit Innovationen in der Schweiz den anderen Entwicklungsteams auf der Welt ständig ein Nasenlänge voraus sein müssen. Im Gleichtakt mit Konzern-Roadmaps mit zu entwickeln reicht nicht aus. (mw)


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