Internet gewinnt zu Lasten von TV

Die TV-Nutzung in der Schweiz nahm in den letzten zwei Jahren ab, jene des Internets hingegen stieg. Bezüglich Digital-TV-Ausrüstung hinkt die Schweiz den anderen europäischen Ländern noch ziemlich weit hinterher.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/16

     

Laut einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Demoscope im Auftrag des Verbands der Kabel-TV-Unternehmen Swisscable, sind derzeit rund 22 Prozent oder 700’000 aller Schweizer TV-Haushalte mit Digital-Fernsehen ausgerüstet. Im Vergleich zu den umliegenden europäischen Ländern, wo die Penetration zwischen 45 (Italien) und 86 (UK) Prozent liegt, ist das ein sehr tiefer Wert. Im Rahmen der Studie wurden in den letzten fünf Monaten mehr als 1000 Schweizer zwischen 16 und 74 Jahren befragt. Trotz momentan eher geringem Inter­esse gehen die Marktforscher davon aus, dass in den nächsten Jahren mit einem verstärkten Wachstum beim digitalen Fernsehen gerechnet werden kann.

Immerhin hat sich das Wachstum bei Digital-TV im Jahr 2007 mit 6 Prozent gegenüber 2006 verdoppelt. Zudem gaben 17 Prozent der Befragten an, innerhalb der kommenden zwölf Monate vom analogen zu digitalen Fernsehen wechseln zu wollen. 20 Prozent wollen in den nächsten zwei bis drei Jahren umsteigen und 19 Prozent später. Der Hauptgrund für die Nutzung von digitalem Fernsehen liegt beim grösseren Programmangebot (37 Prozent). Die Bildqualität als Grund nannten 22 Prozent. Die vielgepriesene individuelle Programmgestaltung erachten allerdings nur 8 Prozent der Umfrageteilnehmer als wichtig. Rund 28 Prozent hingegen wollen nie zu Digital-TV wechseln. Die Zufriedenheit mit Analog-TV-ist hoch: So gaben 85 Prozent an, mit der Bildqualität zufrieden oder sehr zufrieden zu sein. Diesbezüglich hat sich, obwohl die Werbetrommeln für Digital-TV ausgiebig gerührt wurden, in den letzten zwei Jahren praktisch nichts geändert.


Ähnlich sieht es beim Thema HDTV aus. Laut einer Schätzung von Swisscable nutzen derzeit rund 70’000 Haushalte HDTV via Satellit, Kabel oder Bluewin-TV. Das sind nur ca. 2,2 Prozent aller TV-Haushalte und 10 Prozent der Digital-TV-Haushalte. HDTV stosse aber auf eine stark wachsende Nachfrage, heisst es.

Internet gewinnt an Gewicht

«Die Digitalisierung hat Konsequenzen», sagt Swisscable-Präsident Hajo Leutenegger. Für Jugendliche, auch als «Digital Natives» bezeichnet, gewinnt das Internet zunehmend an Bedeutung. Auch zu Lasten des klassischen Fernsehens. Die Fernsehnutzung in der Schweiz hat 2007 im Vergleich zu 2006 abgenommen, jene des Internets ist aber in den letzen zwölf Monaten - auf hohem Niveau - weiter angestiegen. 98 Prozent aller 14-19-Jährigen nutzten zwischen Januar und Juni 2008 das Internet, viele auch um Fernzusehen. Heute schaut ein Fünftel aller Jugendlichen in der Schweiz regelmässig TV via Internet. Bei den über 50-Jährigen liegt dieser Anteil bei 2,8 Prozent. Laut einer Studie des Zentralverbandes der deutschen Wirtschaft stehen Computer und Internet bei den 12-19-Jährigen in der Nutzung heute bereits vor dem Fernseher. Einer US-Studie zufolge meinen 47 Prozent aller 15-27-Jährigen, ohne PC oder Laptop nicht leben zu können. Nicht auf die Flimmerkiste verzichten zu können, meinen nur 33 Prozent der Befragten. Demzufolge wächst auch die Werbung im Internet stärker als jene in andern Medien.
PricewaterhouseCoopers prognostiziert der Online-Werbung einen jährlichen Zuwachs von 19,5 Prozent gegenüber durchschnittlich 6,1 Prozent in Print, Radio und TV.

Unsicherheit nimmt zu

Als weitere Konsequenz der Digitalisierung nennt Swisscable einen verschärften Wettbewerb: «Um die mehr als 75 Prozent der Haushalte ohne Digital-TV buhlen nicht nur Anbieter von Satelliten- und Kabel-TV. Bluewin TV, Internet-TV, Antennenfernsehen (DVB-T) und Mobile-TV sind ebenfalls Konkurrenten», sagt Leutenegger. Hinzu käme, dass künftig weitere Digital-TV-Angebote, zum Beispiel über Glasfasernetze, lanciert würden.


Zudem würde die Verunsicherung, besonders seitens der Endverbraucher, zunehmen, so lange niemand genau wisse, wohin die Reise mit dem digitalen Fernsehen gehe. So hat es denn in den letzten Jahren allein rund ums Thema Digital-Fernsehen neun politische Vorstösse gegeben. Jüngstes Beispiel ist die Motion von Ständerätin und Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga, die fordert, dass die Verschlüsselung von freien Kanälen im Grundangebot des Digitalfernsehens verboten wird und die seit kurzem durch eine neue Interessengemeinschaft unterstützt wird (siehe Kasten). Die Motion richte sich gegen ein Geschäftsmodell, das von Kabel-TV-Unternehmen und Swisscom (mit Bluewin TV) praktiziert werde, so Swisscable. Swisscable ist gegen diese Motion. Eine Regulierung sei unnötig und kontraproduktiv. Unter anderem könne die Motion ohne Gesetzesänderung nicht umgesetzt werden. Eine Gesetzesänderung würde der internationalen Entwicklung des Digital-TVs und der entsprechenden Standardisierung jedoch hinterher hinken und die nationale Entwicklung von Digital-TV behindern. Der Branchenverband will sich nun dafür einsetzen, dass im digitalen Kabelfernsehen auch weiterhin verschiedene Geschäftsmodelle möglich sind.

Gegen Set-Top-Boxen

Der Schweizer Hotelierverband Hotelleriesuisse, der Branchenverband Gastrosuisse sowie der TV-Fachhandel haben sich zu einer Interessengemeinschaft (IG) zusammengeschlossen und sich hinter die Motion von Simonetta Sommaruga gestellt. Sollte künftig digitales TV-Angebot weiter verschlüsselt werden, so müsse zumindest der Empfang mit allen angebotenen Geräten möglich sein. Momentan ist dieser nur mit den Set-Top-Boxen des entsprechenden Anbieters möglich. Die Verschlüsselungsgegner argumentieren weiter, dass digitale Programme von modernen TV-Geräten bereits ­ohne Zusatzgerät empfangbar seien, Set-Top-Boxen also überflüssig sind. Die Kabelnetzbetreiber würden viel Geld verlieren. Allein Cablecom verdient jährlich schätzungsweise 80 Mio. Franken mit seinen Set-Top-Boxen. Die Motion soll in der Grossen Kammer am 29. September zum Thema werden. Auch die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) lamcierte eine Online-Petition gegen das Set-Top-Boxen-Monopol der Kabelnetzanbieter, die bis Mai 12‘000 Personen unterzeichnet hatten. (Susann Klossek)


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