Informatik-Lockstoffe zur Frauenjagd

Branchenvertreter und Gelehrte sind sich im Chor einig: Die Schweiz braucht mehr Frauen in der Informatik. Politik- und Wirtschaftsrepräsentanten heulen Hand in Hand mit Unis und Hochschulen. Nur wenige packen die Chance.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/03

     

Die Referenten und Wortführer am Weissbuchseminar sind sich einig: Frauen in der Informatik lösen einen Teil des Ingenieurmangels und steigern die Attraktivität der Universitäten und Fachhochschulen. Das weibliche Geschlecht ist die Zukunft der höheren Bildung und das grösste Problem der technischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten, da heute 60 Prozent der Studierenden auf ­Maturitätsstufe Frauen sind und von ihnen nur rund 10 Prozent ein ­technisches, naturwissenschaftliches Fachgebiet an Uni oder Hochschule abschliessen.
Eine sinkende Anzahl Studierender an ETH und den entsprechenden Fachbereichen der Universitäten in der Schweiz sind die Konsequenz daraus. «Der Frauenanteil nach dem Studium ist sogar noch viel kleiner», sagte der Zürcher Uni-Professor Rolf Pfeifer, Vorsteher des Informatikdepartementes in Zürich. Die Hälfte der Ingenieurinnen verlasse während oder nach dem Studium ihr ursprüngliches Ausbildungsfeld.

Falsche Akzente der Bildungspolitik

Rund 10’000 Studentinnen wurden 2006 an universitären Hochschulen gezählt, die entweder für Exakte- und Naturwissenschaften oder für technische Wissenschaften eingeschrieben waren. Sie stellen von den insgesamt 30’000 Studierenden in diesem Bereich rund einen Drittel. Schlimmer sieht es bei den Fachhochschulen aus: 2006 waren von 2400 Eintretenden für Technik- und IT-Studiengänge nur 136 Frauen.
«Aufgrund der Interkantonalen Vereinbarung werden falsche Akzente gesetzt. Der Arbeitsmarkteinfluss ist nicht ausgeprägt», sagte Rudolf Minsch, Economiesuisse-Chefökonom und Leiter Wirtschaftspolitik, Bildung und Energie. Fachhochschulen würden verstärkt Studierende für Geis­teswissenschaften werben, weil diese weniger kosten, als der Schule als Entgeld pro Kopf ausbezahlt wird.
«Bei Politikwissenschaften ist der Aufwand für die Schule gleich null, bei Technik und IT kostet ein Student rund 9000 Franken pro Semester - der Bund entgeltet aber nie den vollen Betrag», so Minsch. Deshalb hätten die Schulen wenig Interesse, mehr technische Studenten anzuwerben. «Die Hochschule trägt keine Konsequenzen, wenn sie zu viele Studierende in einem Bereich ausbildet», erklärte Minsch.

Vermehrt Berufsabschlüsse

Laut Statistiken des Wirtschaftsverbandes Economiesuisse nahm die Anzahl Studierenden von 1997 bis 2006 um 40 Prozent zu. 2006 wurden rund 2000 Informatik-Studierende gezählt. Die Studentenzahl für Informatik ist seit 2001 abnehmend, ebenso nimmt die Zahl der neuen Lehrverträge für Informatiker seit 2001 ab. Damals waren es noch 1900, vorletztes Jahr noch 1500. Immerhin nahm die Zahl der Lehrabschlüsse (mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis) von 2001 bis 2006 von 576 auf 1650 zu. Den regulären Abschluss als Informatiker berufsbegleitend in nur zwei Jahren nachholen zu können, hat da seit 2003 eine Rolle gespielt.
Der emeritierte ETH-Professor für Informatik Carl August Zehnder sieht die gute Position der Schweiz im globalen Wettbewerb gefährdet, wenn es nicht gelingt, in den Schulen das Fach Informatik besser zu verankern und vermehrt gute junge Leute für Informatikberufe zu gewinnen. «Das im Juni 2007 neu zugelassene Ergänzungsfach Informatik, ein Maturitäts-Wahlfach für Interessierte, ist möglichst in den Gymnasien konkret einzuführen, mit qualifizierten Lehrkräften für anspruchsvolle Lerninhalte», sagt Zehnder. Diese Meinung vertritt auch die Zürcher CVP-Nationalrätin Kathy Riklin. Sie setzt sich speziell im Namen ihrer Partei für die Frauenförderung ein.

ETH profitiert von Frauentag

Das Departement Informatik der ETH Zürich hat das Problem des Frauenmangels schon lange erkannt und hat bereits zum 17. Mal ein fünftägiges «Schnupperstudium» für interessierte Schülerinnen angeboten. Mit dem einwöchigen Kurs für Frauen will die ETH Vorurteile abbauen. Die jungen Frauen im Matura-Alter bekommen neben einer Einführung in das Programmieren einen möglichst umfassenden Einblick in verschiedenste Gebiete der Informatik. Der Erfolg ist schwer zu messen, aber nach Erfahrungen der ETH habe etwa die Hälfte der Frauen, die mit einem Informatikstudium beginnen, zuvor auch das Schnupperstudium besucht. Ein Besuch bei IBM Rüschlikon ist im Programm dabei.
Am Schweizer Hauptsitz in Zürich-Altstetten organisiert IBM neu einen viermonatigen Lehrgang für Frauen zur IT-Verkaufsberaterin. Die «Women Graduate Sales School» richtet sich an Absolventinnen aller Studienrichtungen. IBM will damit Vorteile gegenüber der Informatik abbauen und den Frauenanteil erhöhen. (Marco Rohner)


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