«Eine Goldgrube ist es nicht»

Topsoft-Mitorganisator Marcel Siegenthaler äussert sich im Interview über die Anfänge der Topsoft und die heutige Rolle der Messe. Er erzählt, wie der Markt damals aussah, und zeigt, welche Themen auf die Branche zukommen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2007/03

     

IT Reseller: Welche Themen sind ­Ihrer Meinung nach auf der Seite der Anbieter von Business-Software zur Zeit am brennendsten?

Marcel Siegenthaler (Bild): Sicher alles was webbasiert ist. Hier graben die Anbieter zur Zeit die Software um. Die einen sagen schon jetzt, sie seien webbasiert, und einige sind es auch tatsächlich. Es geht hier auch darum, dass man auf Stichworte wie SOA reagieren kann.

Und auf der Kundenseite, wo drückt da der Schuh?

Das geht Hand in Hand. Die Besucher sprechen auf solche Themen auch an. Man will von zu Hause oder als Verkäufer vom Ausland aus auf das ERP-System zugreifen können. Teilweise wollen die Anwender auch ihre Kunden einbinden können. Hier ist das Internet Mittel zum Zweck. Auch das Abwägen zwischen integrieren oder alles neu aufsetzen treibt viele um. Das Thema Nummer eins ist aber letztlich die Kapazität auf der personellen Seite. Leute, die ein solches Projekt intern vorantreiben können, sind nicht vorhanden oder dermassen mit Arbeit eingedeckt, dass die Projekte gar nicht gemacht werden können.

Das ist ja nicht schlecht für die Branche...

Ja klar, aber auch bei den Anbietern gibt es Engpässe. Ein Implementationsinformatiker mit tiefem Prozess-, Produkt- und Produktionsverständnis kriegt heute sehr einfach einen guten Job.

Im Jahr 1995 wurde die Topsoft erstmals durchgeführt, wie sah der Markt damals aus?

Nun, die Client-Server-Architektur wurde heftig debattiert. Das ist heute kein Thema mehr. Der Markt hat entschieden. Wenn man jedoch in die Zukunft schaut, sind bereits wieder Tendenzen spürbar, dass das Architekturthema wiederkommt, allerdings auf einer ganz anderen Ebene - mit Application Service Providing (ASP). Oder objektorientierte Software - solche Stichworte waren damals en vogue. Umgesetzt worden ist jedoch relativ wenig. Das ist immer noch dasselbe, heute spricht man einfach von Service Oriented Architecture, und einige nehmen den Mund hier sehr voll. Innovativ an der IT-Branche ist in ­vielen Fällen halt einfach das Marketing... (lacht).

Wie hat sich die Atmosphäre im Markt verändert, ist der Druck stärker geworden?

Auf der Anbieterseite habe ich von Anfang an immer wieder gehört, es gebe jetzt eine Konsolidierung. Es werde noch zwei grosse Anbieter geben, und alle anderen würden verschwinden.

Zumindest teilweise hat aber die ­Konsolidierung stattgefunden, wenn man nur schon bedenkt, wen Sage ­alles geschluckt hat.

Ja, aber auf der anderen Seite hat es auch immer wieder neue Anbieter gegeben. Immer wieder schaffen es Firmen in der Schweiz, eine Nische mit einem erfolgreichen Produkt zu besetzen.

Die Topsoft gilt als Erfolgsstory. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe?

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, dass wir dieses Business betreiben und verstehen. Wir evaluieren Software und schlagen uns das ganze Jahr mit dem Business-Software-Markt herum. Uns geht es effektiv nicht darum, Hallen zu füllen und Quadratmeter zu vermieten. Das ist ein ganz anderer Ansatz, und ich denke, diese Sachkompetenz unterscheidet uns sicher von einem professionellen Messeveranstalter. Diese haben andere Prioritäten.

Aber ist denn die zweijährliche Durchführung sinnvoll?

Bei den Anwendern kommt das Thema irgendwann auf den Tisch - bei Budgetierungen oder wenn die Budgets schon gesprochen wurden oder aus einem akuten Bedürfnis heraus. Und im Prinzip sollte genau dann die Messe sein. Wir sollten also eigentlich zehn Mal eine Topsoft durchführen... (lacht).

Wie haben sich die Besucher über all die Jahre verändert? Sind sie fachkundiger geworden?

Mein Eindruck ist, dass die Besucher je länger, je unbedarfter geworden sind. Früher gab es vielleicht auch noch eine gewisse Berührungsangst, die jene von der Messe fernhielt, die überhaupt keine Ahnung haben. Es ist aber auch gut, wenn die Unbedarften kommen und sich informieren. Deshalb organisieren wir ja auch die Messe. Wir wollen die Eintrittshürde so tief wie möglich halten.

Verdient man mit einer Business-Software-Messe Geld?

Sicher genug, dass wir die Topsoft durchführen können. Eine Goldgrube ist es aber nicht - mindestens in der Art, wie wir es machen. Wir versuchen, was wir verdienen auch wieder zu investieren. Beispielsweise in Werbung oder in die Weiterentwicklung unserer Internetplattform. Wir backen sicher deutlich kleinere Brötchen als andere Messen, die ihr Heil primär im Verkauf von Quadratmetern sehen.

Ziehen Sie auch einen Nutzen für die Lehre und Forschung an der Fachhochschule?

Natürlich, wir ziehen auch diverse Projekte für die Schule aus der Messe. Wir führen einzelne Beratungsprojekte durch. Uns ist es auch wichtig, dass wir methodische Sachen ausprobieren können. Da muss man dran bleiben und braucht konkrete Fälle einer Evaluation oder Einführung.

Fliesst wiederum Know-how zurück in die Branche?

Ja, das hoffe ich schwer. Ich habe ja erst kürzlich ein Booklet verfasst, das auch aus den Projekten heraus entstanden ist, die wir durchführen. Darin wird aufgezeigt, wie man bei der Evaluation und Einführung einer Software vorgehen muss. Es ist ein Skandal, wenn man sieht, wie unbedarft gewisse Firmen ans Werk gehen, hohe Beträge in den Sand setzen und Potential nicht nutzen. Dies zu verhindern, treibt mich immer wieder an.

Kann man heute überhaupt noch schlechte Business-Software kaufen?

Ja, mindestens solche, die nicht passt.

Und qualitativ schlechte?

Nun, da könnte ich mich jetzt auf die Äste herauswagen. Es gibt sicher Software, die moderner ist, und andere, die von der Architektur her und dem User-Interface nicht mehr dem neue­sten Stand entspricht.

Sind da auch grosse Namen darunter?

Da schweigt des Sängers Höflichkeit. Am wichtigsten ist aber letztlich, dass die Software einfach passt, von den Prozessen her, der Risikobereitschaft, Preis und Leistung sowie auch von der Chemie und Sympathie der Berater. Vielleicht ist dann auch das zweit- oder drittbeste Produkt die beste Lösung, weil der Berater die Branche gut kennt und der Anwender mit ihm sehr gut kommunizieren kann.

Etwas weiter in die Zukunft geblickt - was kommt auf die Branche zu?

Ich bin kein grosser Kaffeesatzleser. Es sind Sachen, von denen man heute schon spricht, wie etwa die ganze Prozessorientierung. Prozesse so visualisieren zu können, damit man sie einfach abändern kann und das ERP-System darunter die Veränderungen nachvollzieht. Dann sicher auch die Zugriffe über Internet, ohne dass es auf der Client-Seite eine Installation braucht. Alles muss viel leichtfüssiger und einfacher in der Bedienung werden. Zu nennen sind auch die zunehmende Breite, die gewünscht wird, und die nahtlose Integration. Hier sind die Anbieter sicherlich gefordert. Sie müssen nicht nur gute Software bringen, sondern auch die Prozesse gut verstehen.

Welche Topsoft-Anekdote wird Ihnen immer in Erinnerung bleiben?

In Windisch goss ein Aussteller einmal Wasser hinter seinem Stand aus, worauf der ganze Strom in der Turnhalle ausfiel. Bis wir nur schon lokalisierten, wo es klemmte, und die Stände wieder aufschalten konnten, dauerte es eine ganze Weile. Danach habe ich das ganze Stromversorgungskonzept überarbeitet. Das war das Schlimmste, was je passiert ist. Eine IT-Messe ohne Strom ist wahrlich kein Highlight. Aber von so etwas liessen wir uns natürlich nicht entmutigen. (Interview: Matthias Pfander)


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