Das Handy sucht seine Identität

Die Kamera ist mittlerweile kaum mehr aus dem Mobiltelefon wegzudenken. Welche weiteren Funktionen man dem Handy angedeihen lassen soll, bleibt umstritten. Ideen, wohin die weitere Zukunft führen soll, gibt es viele.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/11

     

«Handyboom bald am Ende?», lautete im Herbst 2004 die Schlagzeile. Dar­an denkt heute kaum mehr jemand. Wenngleich sich das Marktwachstum zu jenem Zeitpunkt vorübergehend verlangsamte und der Marktführer Nokia schwächelte, ist diese skeptische Betrachtungsweise längst einer an Euphorie grenzenden Zuversicht gewichen. Aktuellen Zahlen der Marktforschungsfirma In-Stat zufolge soll der weltweite Markt heuer um 23 Prozent wachsen und bei 935 Millionen verkauften Handys einen Umsatz von 136 Milliarden Dollar abwerfen. Bis 2011 rechnet In-Stat mit einem Gesamtumsatz von 250 Milliarden Dollar bei 935 verkauften Mobiltelefonen. Ins selbe Horn stiessen letzte Woche die Marktforscher von Gartner mit dem Ergebnis, dass der Markt im ersten Quartal 2006 gegenüber dem Vorjahr um 23,8 Prozent zugelegt habe, und der Prognose, dass in diesem Jahr 960 Millionen Mobiltelefone verkauft würden.
Trotz zeitweiliger Skepsis und wieder erstarkter Hoffnung – etwas ist sich über all die Zeit gleich geblieben. Die Suche nach den Funktionen, die das Mobiltelefon einerseits für seine Nutzer zum unverzichtbaren Begleiter machen sowie andererseits die Suche nach dem Konzept, das die Benutzer dazu bringt, ihr Gerät in regelmäs­sigen und nicht zu lange dauernden Abständen zu ersetzen. Diese beiden Faktoren und das Dilemma, das damit verbunden ist, bestimmen das Handy-Geschäft massgeblich.

Sony rächt sich an Apple

Aktuell geht die Entwicklung in die Richtung, dass immer mehr Mobiltelefone entwickelt werden, die sich mit spezifischen Funktionen an eine Zielgruppe richten. So etwa die Walkman-Handys von Sony Ericsson. Sie verfügen über einen ansehnlichen Audio-Funktionsumfang und bieten einen Musikgenuss, der den Vergleich mit herkömmlichen MP3-Spielern nicht scheuen muss. So versucht sich Sony an Apple und dem iPod zu rächen und den Verlust im MP3-Geschäft, das Sony zu lange unterschätzt und verschlafen hat, wieder wettzumachen.
Eine weitere wichtige Entwicklung findet im Moment im Bereich des mobilen Fernsehens auf dem Handy statt. DVB-H heisst hier das Stichwort, die mobile Variante des Digital-TV-Standards DVB-T. Swisscom hat im vergangenen November und Dezember einen DVB-H-Testbetrieb mit rund 100 Personen in Bern durchgeführt. Zur Fussball-WM in Deutschland wird ebenfalls ein Pilotversuch in verschiedenen Städten gestartet, bei dem 16 Fernseh- und sechs Radioprogramme ausgestrahlt werden.

Vieles bleibt im Nebel

Mittlerweile ziehen bei DVB-H sämtliche namhaften Handy-Hersteller wie BenQ, Motorola, Nokia oder Sony Ericsson mit. Nokia hat Anfang ­Februar in Zürich erste Geräte für Mitte Jahr – vorab in Italien und ­Malaysia – in Aussicht gestellt.
Hierzulande präsentiert sich eine unklare Situation. Der Entscheid zur kommerziellen Lancierung sei noch nicht gefällt, sagt Swisscom-Sprecher Sepp Huber auf Anfrage von IT Reseller. Und wenngleich Mobile-TV technisch gelöst ist, stellt sich die Frage, was und wie der Nutzer überhaupt konsumieren will und ob er es dann tatsächlich auch tut.
Ein Blick auf mehr oder weniger aktuelle Studien hilft hier auch nicht weiter. Es gibt genauso viele Untersuchungen, die einen Bedarf nach Handy-TV ausmachen, wie es solche gibt, die genau das Gegenteil behaupten oder zum Ergebnis kommen, dass nur ganz bestimmte Zielgruppen davon Gebrauch machen würden.
Das erinnert stark an die Einführung von MMS, den Multimedia-Nachrichten. Schon der Startschuss ging nach hinten los. Und obwohl mittlerweile rund die Hälfte aller verkauften Handys über eine eingebaute Kamera verfügen, nutzen gemäss einer Studie von In-Stat lediglich 28 Prozent den MMS-Dienst. Die meisten Bilder bleiben auf jenem Gerät, mit dem sie geknipst wurden.
Wichtige Handy-Themen der Zukunft werden Internet-Dienste, E-Mail sowie die altbekannten und oft genannten Location Based Services sein. Zudem wird das Handy zunehmend als Bezahl- und Zutrittsmittel in Erscheinung treten (siehe auch Artikel Seite 38). Das Dilemma wird hingegen immer dasselbe bleiben: Was wollen die Nutzer, wie wollen sie es und sind sie auch bereit, dafür zu bezahlen. (map)


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