Zum Echtzeit-Unternehmen ist es noch eine Weile hin

Der Markt für Applikationsintegration ist über die letzten Monate weder exponentiell gewachsen noch dramatisch eingebrochen. Die Schweizer Marktteilnehmer sprechen von stetigem Wachstum, und trotz all dem kommt keine Langeweile auf.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2005/11

     

Das Stichwort der serviceorientierten Architektur ist seit einiger Zeit in aller Munde, wenn es um die Integration von Applikationen oder vielmehr die Abbildung von Prozessen in der IT geht. Daraus zu schliessen, dass es in diesem Geschäftsbereich rund läuft und der Rubel nur so rollt, wäre aber vermessen zu behaupten. Die Euphorie bei den Herstellern ist zwar gross – im Markt ist aber noch nicht viel davon zu spüren.
«Der EAI-Markt wird heraufbeschworen, er existiert nicht mehr als vor fünf bis zehn Jahren», äussert sich ein Marktteilnehmer, der nicht genannt werden will, im Rahmen einer Umfrage von IT Reseller. Mit den vorhandenen EAI-Tools würden nur 50 bis 60 Prozent des Bedarfs abgedeckt, der Rest werde systemspezifisch gelöst, so der betreffende Umfrageteilnehmer weiter.
Ähnlich äussert sich Kornel Wassmer, der bei Adnovum als Head of Development tätig ist: «Die Kunden versuchen, auf der Basis von aktuellen Technologien ihre Applikationen zu strukturieren. Das ist schon lange so. Es sind einfach neue Technologien wie SOAP oder Web-Services dazugekommen, und da stellt sich für den Dienstleister die Frage, ob er diese Technologien im Griff hat.»
Matthew Turnbull, Director Technology bei Unisys, ist für die Zukunft offenbar zuversichtlicher als andere: «Wir spüren eine wachsende Belebung des Marktes, die unter anderem auf einen höheren Reifegrad der Technologie zurückzuführen ist.»

Gemächliches Wachstum

Tatsächlich verzeichnen die meisten Hersteller, die Software für die Anwendungsintegration oder Middleware entwickeln, im letzten Jahr ein Umsatzwachstum, wenn auch ein bescheidenes. Gemäss Gartner Dataquest war der Markt im Jahr 2004 rund 6,7 Milliarden Dollar wert, was im Vergleich mit dem Vorjahr ein Wachstum um 5,8 Prozent bedeutet.
Unter den Anbietern gibt es eine grosse Nummer: IBM. Der IT-Konzern hält allein 37,2 Prozent dieses Marktes. Marktführend ist der blaue Riese bei Applikationsservern, Portalen, Message-Oriented-Middleware (MOM) sowie Transaction-Processing-Middleware (TPM). Andere holen aber auf: Einen veritablen Sprung unternahm beispielsweise Microsoft, die es erstmals in dieser Disziplin unter die besten fünf schaffte (vgl. Tabelle).
Gartner Dataquest geht davon aus, dass das Geschäftsklima für die Anbieter in diesem Bereich weiterhin günstig bleiben wird. Bei Projekten gehen Portale, Integration, Business Process Management und Business-Komponenten-Engineering Hand in Hand. Die Hersteller können gemäss Gartner von diesen Synergieeffekten profitieren.

Fragmentiert statt konsolidiert

Das Anbieterfeld in diesem Geschäftsbereich präsentiert sich aber weiterhin sehr fragmentiert. Das lässt sich allein daran ablesen, dass in der Statistik von Gartner Dataquest jene Firmen mit Marktanteilen unter 4,3 Prozent über 40,6 Prozent des Gesamtmarktes ausmachen.
Das deckt sich mit den Ergebnissen der Umfrage von IT Reseller. Bei den befragten Dienstleistern stehen zwar Produkte von Firmen wie BEA, IBM, Microsoft, Oracle, SAP und Sun sehr hoch im Kurs. Gleichzeitig gaben viele aber auch an, mit Integrationswerkzeugen und -Hilfsmitteln von kleineren spezialisierten Herstellern zu arbeiten wie Incentage, Seebeyond oder Tibco. Teilweise entwickeln die Schweizer Marktteilnehmer aber auch eigene Produkte.
Obwohl der Marktdruck auf die kleinen Software-Hersteller im Integrationsbereich aufgrund der schieren Grösse und Macht der Top-5-Anbieter unweigerlich zunimmt, wird für sie noch lange nicht aller Tage Abend sein: «Ein Single-Produkt-Ansatz wird bei EAI unweigerlich scheitern, es gibt kein Werkzeug, das alle Ausprägungen abbilden kann», sagt Kornel Wassmer von Adnovum, «bei der Integration kochen am Schluss alle nur mit Wasser.» Auf der Kundenseite stellt Wassmer teilweise schon ein gewisses Markenbewusstsein fest. Für jene Dienstleister, die mit massgeschneiderten Lösungen arbeiten, biete sich aber genau dann eine Chance, beim Kunden erfolgreich offerieren zu können, wenn dieser vom monolithischen respektive Single-Vendor-Ansatz enttäuscht worden sei.

Noch viel Potential

Für den IT-Dienstleister stellt sich aufgrund des härter werdenden Konkurrenzkampfs die Frage, an wen er sich halten soll. Der Dienstleister als Integrator, meint Thomas Marko (Bild), Leiter Informationslogistik bei ASP Inteco, sollte «ein neutraler Pöstler» sein. Wer die Normen befolge und die Erhaltung des Integrations-Know-hows absichere, habe keine Probleme. Für Kornel Wassmer besteht die Voraussetzung für den Erfolg darin, dass man als Dienstleister die Werkzeuge beherrscht.
Sofern man als Dienstleister diese einfachen Regeln beherzigt, wird man sich noch lange auf Aufträge freuen können. Denn es gibt erst wenige Branchen, in denen Enterprise Application Integration oder Prozessintegration in die IT überhaupt schon weit fortgeschritten sind. «Die Kunden hinken bei EAI der Branche hinterher», sagt Thomas Marko. Argumente für EAI gibt es sicherlich genug (vgl. Tabelle).
Die Branche, die wohl am weitesten fortgeschritten ist, ist die Finanzindustrie. Gleichzeitig ist sie auch jene Branche, bei der die Teilnehmer an der IT Reseller-Umfrage nach wie vor viele Geschäftsmöglichkeiten wittern. «In der Finanzbranche wird die erste Generation der EAI-Projekte basierend auf Corba und mqSeries-Technologie erweitert oder abgelöst», sagt Marketing-Frau Brigitte Aeschbacher von Trivadis. Im Gesundheitswesen wurden die Hausaufgaben ebenfalls schon gemacht – hier ist gemäss den Umfrageteilnehmern aber vergleichsweise nicht mehr allzuviel los (vgl. Tabelle).
Mehr Bedarf ist offenbar in der Telekommunikation und im IT-Umfeld selbst auszumachen. Bei diesen schnell gewachsenen Branchen zwingt letztlich auch der Wettbewerbsdruck zu einer möglichst nahtlosen Prozessintegration. Gleichauf mit diesen beiden liegen gemäss den Schweizer Branchenvertretern die öffentlichen Verwaltungen in punkto Nachfrage. Allerdings ist hier die Lage sehr unterschiedlich: Es gibt Verwaltungen, die als leuchtende Beispiele gelten – gleichzeitig aber auch solche, in denen noch kaum etwas getan ist. Und ob die kühnsten E-Government-Pläne je realisiert werden, steht in den Sternen. Denn die Zeiten, in denen Prestigeprojekte realisiert wurden, sind längst vorbei.

Schrumpfende Projektsummen

EAI-Projekte gehörten bis vor kurzem noch zu jenen Vorhaben, für die ein Unternehmen gut und gerne 1 Million Franken und mehr bereitstellen musste. Hier hat sich die Situation deutlich verändert. Die Projektsummen sind zusammengeschmolzen.
Die Umfrage unter den Schweizer Integrationsspezialisten hat ergeben, dass die meisten Projekte über eine Summe zwischen 20’000 und 200’000 Franken laufen. Thomas Messmer, CEO bei Sowatec, bemerkt dazu, dass EAI-Vorhaben nunmehr auf taktischer Ebene umgesetzt und eben weniger allumfassende Projekte realisiert werden.
Nicht nur werden die Projekte feiner tranchiert, damit sie der CIO oder CTO gegenüber dem CEO und CFO besser verkaufen kann. Wie in anderen Teilbereichen der IT-Industrie auch, hat zudem ein Preiszerfall stattgefunden. Die Produktmargen sind geschrumpft – der Dienstleistungsanteil hat prozentual zugenommen. Und der Dienstleister zieht heute beim Kunden lieber ein kleines Projekt durch, mit dem er sich profilieren kann. Macht er seinen Job gut, sind Folgeaufträge so gut wie sicher.

Heiter weiter

Im Geschäft mit der Integration gibt es noch eine Menge zu tun. Sowohl auf seiten der Kunden wie auch bei Anbietern und Dienstleistern geht der Lernprozess weiter: «Ob der vielfältigen EAI-Produkte und dem XML-Hype fehlt oft der Blick für die eigentliche Problemstellung, was zu suboptimalen Lösungen führen kann», sagt Kornel Wassmer von Adnovum. Er sieht zudem Themen, die der Integration den Weg bereiten können wie etwa Single-Sign-On und Identity-Management: «Konzepte, ohne die Integration und SOA schlicht nicht funktionieren.»
Am Ende der Integration steht das Unternehmen, in dem dank durchgängig integrierter Prozesse und Anwendungen jederzeit und unmittelbar alle relevanten Informationen ausgewertet und umgesetzt werden können. Bis es soweit ist, wird aber zuerst noch eine Weile weiter integriert. (map)


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