Zwischen Massenproduktion und Service

Doch doch, die Schweizer PC-Industrie existiert und kann durchaus mit Herstellern in asiatischen Billiglohnländern konkurrenzieren. Pierre-Henri Badel, unser Korrespondent in der Romandie, wirft einen Blick auf die Westschweizer Assemblierer-Szene.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/18

     

Wenn man den Statistiken des helvetischen PC-Gurus Röbi Weiss glauben will, so mussten die Schweizer Assemblierer einen Rückgang der Verkäufe von 8,5% im ersten Halbjahr 02 hinnehmen. Trotz gesunkener Preise und Nachfrageschwäche scheinen einige Assemblierer aber mit Rückenwind zu segeln.
Der Beweis: Die Genfer Firma Distribution Electronique hat erst vor kurzem eine Fabrik mit 900 Quadratmetern Grundfläche und einer Produktionskapazität von 12’000 PCs pro Jahr eingeweiht. Das Unterfangen des kühnen Oliver Nimis, der sich vor 13 Jahren, damals erst 18-jährig, ins PC-Geschäft stürzte, scheint gewagt, denn bisher produzierte er mit etwa 30 Arbeitsplätzen gerade mal 3000 PCs jährlich.
Doch Nimis ist zuversichtlich: «Wir sind in Verhandlungen mit grossen Retailern, und wir verkaufen unsere PCs nicht nur in unserem Ladengeschäft in Genf, sondern auch im grossen Einkaufszentrum Littoral Parc d’Allaman in der Waadt.»

Mehr Service gegen Tiefpreise

Im Gegensatz zu den meisten Assemblierern, die sich auf den KMU-Markt oder auf bestimmte Nischen fokussieren, zielt das Genfer Unternehmen auf den Massenmarkt. Angeboten werden nicht nur «Kisten», sondern auch Unterhalt und Beratung. «Als wir mit dem PC-Geschäft angefangen haben, kam uns ein PC auf 2000 Franken zu stehen, und wir verkauften ihn für den doppelten Preis.
Heute müssen wir ihn für 2300 Franken anbieten, während der Einkaufspreis immer noch der gleiche ist», gibt Nimis zu. Diese Entwicklung hat den welschen Assemblierer geradezu zur Massenproduktion gezwungen, allerdings mit einem kleinen Unterschied zur Konkurrenz. Service wird nicht prioritär Firmenkunden angeboten, sondern den Konsumenten. Somit fokussiert der Genfer Assemblierer auf drei Märkte: Wiederverkauf über Retail-Ketten, der Verkauf über eigene Läden und ein Service-Angebot an Konsumenten. «In der Schweiz gibt es zum Glück eine Highend-Kundschaft, die sehr hohe Ansprüche stellt», kommentiert Nimis.

Top-D verschwiegen

Top-D, zweifellos einer der grossen welschen Assemblierer, gibt im Gegensatz zu Nimis keine Zahlen der produzierten PCs bekannt. Dies hat historische Gründe, denn IBM versuchte eine gewisse Zeit lang Patentrechte auf bestimmte PC-Teile geltend zu machen. Theoretisch also müsste sich jeder Assemblierer mit IBM einigen und gewisse Nutzungsgebühren bezahlen. Viele fürchten Schwierigkeiten, sobald «Big Blue» bemerkt, dass die Zahl der produzierten Einheiten es lohnend erscheinen lässt, einen Anwalt loszuschicken.
In der Romandie scheint das bekannte IBM-Problem weniger virulent zu sein als in der deutschsprachigen Schweiz. Top-D mit Hauptsitz genau auf der Sprachgrenze reagiert deshalb sensibler auf die potentielle Bedrohung durch IBM-Anwälte als die Assemblierer in der Romandie. Der Top-D-Chef Olivier Bouquin unterstrich deshalb gegenüber
IT Reseller, dass er nicht einmal den Marktforschern irgendwelche konkreten Absatzzahlen bekannt gebe. Es sei sowieso am wichtigsten, selbst zu wissen, dass die Geschäfte gut laufen.
Bei Top-D werden spezielle Konfigurationen direkt in den einzelnen Geschäftsstellen assembliert, während Standard-PCs am Hauptsitz in Biel «zusammengeschraubt» werden. «Wir leiden unter den gleichen Problemen wie alle Hersteller, die in der Schweiz produzieren: unter den Arbeitskosten», sagt Bourquin. Trotzdem scheinen die Geschäfte in Biel gut zu laufen. 2001 sei die Produktion um 8,23% gewachsen, per Ende August 02 sogar um 9,43%, so der Top-D-Chef.
Eingekauft wird zu 90% in der Schweiz. «Dies war nicht immer so, aber mit den Mengen, die wir heute einkaufen, können wir fast identische Konditionen herausholen, wie wenn wir direkt einkaufen würden», erklärt Bouquin. «Entscheidend für unser Einkaufsverhalten ist der Service nach dem Kauf.»

Der Assemblierer mit der langen Tradition

«Seit 15 Jahren bauen wir PCs», sagt Thierry Jacquat, Chef von MEM SA in Grandson. «Damals haben wir die Einkaufspreise mit zwei multipliziert, um zum Verkaufspreis zu kommen. Heute haben wir Margen zwischen 5 und 15%.» Trotzdem produziert MEM weiter PCs, heute etwa 1000 Stück pro Jahr. Dazu kommen jährlich noch etwa 50 Server, wo die Margen (noch?) besser sind. Jacquat: «Wir produzieren weiterhin PCs, weil wir damit immer noch Geld verdienen.» Ganz beiläufig meint er, dass dies auch mit der Diversifikation ins Server-Geschäft zu tun habe, womit MEM wohl nicht alleine steht.
Aber der Hardware-Umsatz nimmt bei MEM, trotz ausschliesslich kundenspezifischer Herstellung, einen immer weniger wichtigen Platz ein. «Wir konzentrieren uns auf Dienstleistungen für KMUs und installieren Server oder bauen die Netzwerke», so Jacquat.

Der ethische Ansatz

Im freiburgischen Favargny werden bei La Griffe Informatique seit einigen Jahren PCs gebaut. «Unsere Hauptkonkurrenten sind nicht andere Assemblierer, sondern die grossen Discounter», sagt Henri-Pierre Schmidt, einer der Verantwortlichen des Kleinstunternehmens. «Aber das passt uns auch ganz gut, denn die Discounter bringen uns wieder Reparatur-Aufträge», fährt er fort.
Den grossen Unterschied zu den PCs der Discounter sieht Schmidt in der Qualität. «Die PCs aus dem Retail haben zum Beispiel RAM-Module, die mit 133 MHz getaktet sind. Wir installieren Module mit Taktraten bis zu 800 MHz», so der Freiburger. Mit solchen kleinen Unterschieden will sich Schmidt differenzieren. «Ausserdem setzen wir ausschliesslich Marken-Motherboards ein, keine No-Names.
So haben wir keine Probleme, wenn wir das BIOS updaten müssen», so Schmidt. Mit nur 30 bis 50 PCs pro Jahr ist die Produktion von La Griffe natürlich bescheiden, doch wird sie durch Reparatur-Service für PCs und Drucker ergänzt. Die letztere Tätigkeit hat für Schmidt auch einen ethischen Ansatz, denn Drucker werden oft wegen einer Lappalie fortgeworfen, obwohl sie in 99% der Fälle noch funktionstüchtig wären.

Sich dem Markt anpassen

Mit einem Ausstoss von 2500 Systemen im laufenden Jahr scheint die Waadtländer Idea Systems in Gland die Rezession wenig zu spüren. Vor 10 Jahren hat sich Idea Systems in Gland eingenistet, gerade neben dem Standort des einst bekannten und heute völlig verschwundenen Assemblierers Alptech. Idea macht heute etwa 70% des Umsatzes mit der Montage von PCs und Servern, der Rest stammt aus dem Verkauf von Komponenten, Software und Peripherie.
«Patron» Antoine Coupiac: «Die Bestellungen richten sich heute nicht mehr nach neuen Prozessoren-Generationen». Idea reagiert auf den relativ schlechten Markt. Vor allem der Markt für Flachbildschirme habe sich schlechter entwickelt, als er es sich vorgestellt habe, so Coupiac. «Wir werden nächsten Monat in das Geschäft mit Vermietung und Services, hauptsächlich für KMU, einsteigen.»
Ausserdem stellt der Waadtländer ein immer grösseres Gewicht des Designs fest. Dies sei ein Vorteil für die Hersteller von «handgemachten» PCs, meint er, genauso wie Pre- und After-Sales-Service, kurze Lieferfristen und kundenspezifische Fertigung. Um Kosten zu sparen, kauft Idea nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den USA, Holland und Singapur ein.
Pierre-Henri Badel


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