In einer Welt, in der man alles per Mausklick bestellen kann, wirkt der stationäre Handel oft, als hätte er sich in den Dornröschenschlaf zurückgezogen. Statt Initiative zu zeigen, wartet man meditativ ab – auf bessere Zeiten oder den Kunden, der von selbst auftaucht.
Viele Händler scheinen zu glauben, dass es ausreicht, ihre Produkte irgendwo zwischen Fensterscheibe und Ladentisch zu präsentieren. Sie stellen ihre Waren auf, lächeln milde und hoffen, dass der göttliche Funke des Kundeninteresses wie von selbst überspringt. Und wenn das nicht funktioniert? Tja, dann wird einfach abgewartet, denn «irgendwann kommt schon jemand.» Diese Einstellung ist vergleichbar mit einem Fischer, der seine Angel ohne Köder auswirft und dann staunt, wenn nach stundenlangem Warten kein Fisch anbeisst. Warum sollte man auch die Initiative ergreifen, sich gar in die Niederungen des Kundenservice begeben und aktiv etwas tun, um den Kunden zum Kauf zu bewegen?
Ein weiteres Kapitel in der Chronik des Schlafs im Handel könnte «Warten, bis der Kunde von selbst aufwacht» heissen. Es herrscht fast schon eine Überzeugung, dass es besser ist, abzuwarten, statt dem Kunden entgegenzukommen. Warum? Nun, das weiss man nicht. Eventuell erhofft man sich, dass sich der eine oder andere Kunde in den Laden verirrt, wenn er den Weg zu seinem eigentlichen Ziel aus den Augen verliert. Eventuell kommt es zur «Shopping-Entdeckung», bei der der Kunde wie ein Abenteurer über ein Regal stolpert und denkt: «Ja, genau das wollte ich schon immer haben!» Ironischerweise ist das Warten auf den zufälligen Kundenbesuch zum heiligen Gral des Handels geworden – ein Ritual, bei dem der Händler geduldig das Gras wachsen hört, während die Konkurrenz sich längst verabschiedet hat.
Wenn die Kunden dann tatsächlich ausbleiben – was niemanden wirklich überraschen sollte –, wird geschimpft. Gejammert. Geseufzt. Denn natürlich sind die Kunden schuld! Wer sonst? Diese undankbaren Konsumenten wissen nicht zu schätzen, welche grossartige Auswahl an Produkten auf sie wartet. Warum strömen die Menschen in Scharen zu irgendeinem Online-Riesen, sobald dieser seine Pforten öffnet? Das Internet und die Globalisierung sind natürlich auch schuld! Es gibt viel zu viele Auswahlmöglichkeiten, viel zu schnelle Lieferzeiten und viel zu verführerische Rabatte. Der Handel scheint mitunter von einer romantischen Nostalgie für vergangene Zeiten befallen zu sein, als die Menschen noch in ihrem Viertel einkauften und die neuesten Waren vom freundlichen Herrn Müller hinter der Ladentheke empfingen, ohne den Preis oder die Lieferzeit zu hinterfragen.
Doch es gibt auch sie, die Taktiker im Handel. Sie haben das strategische Rumsitzen verinnerlicht: Statt zu handeln, wird endlos analysiert, ob sich das nächste Geschäft lohnt. «Wir müssen den Markt beobachten», ist ihr Mantra – nur beobachten sie oft zu lange. Und wenn sich der Markt verändert hat? Dann beginnt man eben wieder von vorn mit analysieren. Auch das ist schliesslich eine Art Strategie.
Ein weiterer Klassiker: Das Wegschauen bei echten Beratungswünschen. Kommt doch mal ein Kunde mit Fragen, reagieren manche Händler überfordert. «Warum Beratung – steht doch alles online!» Kundenbedürfnisse aktiv zu erfragen, wirkt fast utopisch. Stattdessen verweist man aufs Preisschild – oder auf eine Website, die seit Jahren kein Update mehr gesehen hat.
Der Handel übt sich in Geduld – abwartend, analysierend. Vielleicht ist das Strategie, vielleicht blosse Trägheit. Während Händler noch auf den «richtigen Moment» hoffen, sind die Kunden längst online. Der Dornröschenschlaf wird so zum Symbol für verpasste Chancen – in einem Rennen, das andere schon gewonnen haben.