ERP-Zufriedenheit ist gesunken

Text: Eric Scherer

Die Ergebnisse der neuesten ERP-Zufriedenheitsstudie zeigen: Die allgemeine Zufriedenheit mit ERP sinkt, vor allem bei zunehmender Kundengrösse.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2016/05

     

Im Herbst und Winter 2015 hat das Team des Zürcher Beratungsunternehmens i2s Consulting erneut die Zufriedenheit von Anwenderfirmen mit ihren ERP-Systemen untersucht. Die Studie, die seit 2003 regelmässig durchgeführt wird, konzentriert sich auf den deutschsprachigen Markt. Daher weichen die Ergebnisse traditionell von denen vieler angelsächsischer Analysten ab. In der Bewertung tauchen jene Systeme auf, die in den Industrien und Unternehmen des DACH-Raums auch wirklich über Installationen verfügen – einige internationale Anbieter fehlen mangels entsprechender Marktbasis.
Für die aktuelle Durchführung haben die Berater den langjährig etablierten Fragebogen leicht überarbeitet. Insbesondere haben sie den Umfang deutlich gekürzt, was die Teilnahme für Umfrage-geplagte Anwender und Anbieter attraktiver machen soll. Im Kern wird aber weiterhin die Zufriedenheit mit dem genutzten System und mit dem Einführungspartner abgefragt. Bewertet werden dabei nur die Angaben von nachweislich produktiven Anwenderunternehmen, die zum Zeitpunkt der Befragung das System auch produktiv nutzten. Damit ist die Umfrage immer auch ein Blick in den Rückspiegel, da im Tagesgeschäft genutzte Systeme bewertet werden, die zum Teil deutlich länger als zehn Jahre im Betrieb sind.

Eine 3,7 für die Systeme

Der Blick auf die Ergebnisse zeigt vor allem eines: Die durchschnittliche Zufriedenheit ist messbar gesunken. So ergibt sich aktuell über alle Teilnehmenden eine durchschnittliche Zufriedenheit mit dem System von 3,70. 2013 lag die Note bei 4,08, wobei 4,0 «gut» bedeutet. Die Zufriedenheit mit dem Partner ist im Schnitt ebenfalls leicht gesunken. Die Note liegt bei 3,78 – 2013 lag sie bei 3,99.
Schaut man sich die Ergebnisse im Detail an, ergibt sich ein Bild auf zwei Ebenen: Die Zufriedenheit mit einzelnen Anbietern hat sich zwar verändert. Generell gilt aber, dass kleinere, vor allem regional agierende Anbieter die zufriedeneren Kunden haben. Diese Beobachtung besteht seit der ersten Durchführung der Studie. Anders herum betrachtet bedeutet dies aber auch, dass mit zunehmender Kundengrösse und damit zunehmender Anzahl von Anwendern und betriebsinternen Interessensvertretern die durchschnittliche Zufriedenheit sinkt. Unter diesem Umstand leidet das sonst immer wieder mit Spitzenrängen bewertete System SAP ERP am deutlichsten. Mit jedem neuen Anwender wächst auch die Gefahr, dass irgendjemand etwas daran auszusetzen hat. Damit ist wieder einmal klar: Kundenzufriedenheit ist auch eine sehr emotionale Angelegenheit.
Darüber hinaus ist zu beobachten, dass «gehypte» Systeme stets Schwierigkeiten haben, einen einmal erarbeiteten Zufriedenheitswert zu halten. Hier lassen sich zum Teil deutliche Verschiebungen erkennen. Dabei zeigt sich auch: Öffentliche Aufmerksamkeit, eine hohe Präsenz in der Presse und marketing-mässig aufbereitete Innovationen können zwar neue Kunden bringen. Sie sind aber kein Garant für zufriedene Kunden.

Verdrängungswettkampf geht weiter

Nur noch 25 Prozent aller Befragten planen in den nächsten Jahren Neu- und Ersatzinvestitionen im Bereich ERP. Dieser Wert ist gegenüber dem Wert von 2013 – damals waren es 30 Prozent - nochmals gesunken. Damit wird der Schere zwischen dem Innovationsfeuerwerk, wie es vor allem die beiden Branchenführer SAP und Microsoft im Bereich Dynamics schon länger zünden, und der Investitionszurückhaltung der Anwender immer grösser. Für die Anbieterseite wird dieser Umstand in den nächsten Jahren immer mehr zu einem dominierenden Faktor für den Unternehmenserfolg wachsen, da die «weissen Flecken» auf der ERP-Anwenderseite immer kleiner werden. Grob kann man sagen: Nahezu alle Unternehmen ab einer Grösse von zirka 25 Mitarbeitenden verfügen über ein ERP- oder ERP-ähnliches Standardsystem. Unternehmen mit Eigenentwicklungen oder ganz ohne ERP bilden immer mehr die Ausnahme. Die klare Folge: Der echte Neukundenmarkt schrumpft und der Verdrängungswettkampf setzt sich fort.

Bei den verbliebenden Investitionsthemen steht das Thema Update/Releasewechsel an erster Stelle. Über 20 Prozent der Befragten sehen hier einen konkreten Handlungsbedarf. Ein Grund hierfür dürfte auch die in den letzten Jahren zunehmend verbreitete Strategie sein, anstehende Release-Wechsel so weit wie möglich nach hinten zu verschieben. Die Gründe hierfür lassen sich klar einschränken: Heutzutage bringen neue System-Releases zwar immer eine Menge von mehr oder weniger attraktiven technischen Neuerungen. Die Funktionalität wird aber nicht in einer Form erweitert, dass das Anwenderunternehmen daraus einen wirklich wirtschaftlichen Nutzen ziehen kann. Gleichzeitig führt gerade diese technische Weiterentwicklung zu Veränderungen in der Systembasis, die einen Release-Wechsel immer aufwendiger macht. Wie gesagt: Dies ist eine Tendenz und trifft nicht auf alle Systeme in gleicher Form zu. Die oben beschriebene Schere wird aber so schrittweise zu einem Teufelskreis: Der Aufwand für einen Release-Wechsel wird immer grösser. Und gerade wegen des ständig steigenden Aufwands scheut man den Release-Wechsel.

Nach dem Thema Release-Wechsel folgt das Thema Mobilität. Gut 9 Prozent der Teilnehmenden sehen dies als Herausforderung in den nächsten zwei, drei Jahren. Diese Bewertung zeigt erneut den Zwiespalt, der im ERP-Anwendermarkt herrscht: Für ein Hype-Thema wie Mobilität ist ein Bedarf bei weniger als 10 Prozent der Kunden doch eher als gering zu bewerten. Alle weiteren Hype-Themen verlieren sich sogar in der prozentualen Bedeutungslosigkeit.
In der Summe zeigt die Studie damit auch ein gewisses Abflauen des ERP-Hypes an sich. Dies manifestiert sich auch daran, dass es zunehmend schwerer wird, eine ausreichende Anzahl von Teilnehmenden für die Studie zu gewinnen. Gleichzeitig sind ERP-Systeme die infrastrukturelle Basis für viele Unternehmens- und Geschäftsprozesse. Eine solche Infrastruktur muss erhalten und gepflegt werden. Sonst entsteht ein Investionsstau, der leicht zu einem dauerhaften Schaden führt.


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