Wer schaut schon fern auf einem Kanal?
Quelle: Avanade

Wer schaut schon fern auf einem Kanal?

Hand aufs Herz – wer würde ein Fernsehgerät kaufen, wenn es nur einen Kanal zeigt? Oder wer ein Tablet, wenn sich damit nur eine App nutzen lässt? Natürlich niemand. Warum aber denken immer noch viele Unternehmen, sie könnten es sich leisten, nur auf einen Verkaufskanal zu setzen?

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2020/07

     

Die schweizerischen Retailer standen im ersten Quartal des Jahres 2020 vor der gleichen Schockwelle wie die aller anderen industrialisierten Länder der Welt auch. Auf die erste Lähmung durch die Pandemie folgt die Ernüchterung: Viele Unternehmen haben es zwar grundsätzlich – teils mühsam, manchmal zusammengeschustert – zu einem Home-Office-Konzept oder einem einfachen Webshop geschafft, echte Digitalisierung sieht jedoch häufig anders aus. Sogar eine gewisse Digitalisierungsmüdigkeit wird wahrgenommen; die finanziellen Herausforderungen, die die Pandemie mit sich bringt, bergen Unsicherheit und wirken daher teilweise auch lähmend. Dabei gilt es jetzt, die Stellschrauben zu drehen. Wer nicht bald bereit für die Zukunft ist, wird Gefahr laufen, nicht am Markt zu bestehen. Diese Digitalisierung muss sich auch über die Verkaufskanäle durchziehen, Omnichannel-Konzepte sind unerlässlich. Machine Learning und Künstliche Intelligenz bieten an dieser Stelle die Chance, Kundenerlebnisse technisch über alle Kanäle strukturiert zu orchestrieren. Eine engere Bindung von Endkunden an Händler, Servicepartner sowie Hersteller wäre so zu erreichen.


Dabei sollte der Grundsatz gelten: B2B2C – was Anwender von ihrem privaten Konsum her gewohnt sind, müsste letztlich auch im B2B-Umfeld Einzug halten. Wer wühlt sich schon gerne durch einen gedruckten Teile-Katalog, wenn er zuvor noch schnell und einfach per App eine neue Smartphone-­Hülle geordert hat? Es gilt als Retailer, aktiv zu werden, denn wer den Konsumenten digital nicht erreicht, wird letztlich vom Wettbewerb verdrängt. Wie aber können Filialen, Webshops, Social-Media-Präsenz und mobile Apps verknüpft werden? Und wie kann man sich dabei unterscheiden beziehungsweise abheben von Marktbegleitern? Die grösste Herausforderung dürfte dabei einmal mehr in den Köpfen der Menschen und in den Prozessen der Unternehmen liegen. Selbst wenn alle Beteiligten von einem neuen Weg überzeugt sind, muss immer erst noch Konsens darüber hergestellt werden, wie dieser zu beschreiten sei.

Tradierte Strukturen verlassen

So trivial es ist, so regelmässig muss daran erinnert werden: Was gestern noch funktioniert hat, muss morgen nicht mehr funktionieren. Insbesondere das Kauferlebnis, gern auch Customer Journey genannt, hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Wer (immer) noch an den tradierten Strukturen festhält, muss sie spätestens jetzt verlassen respektive grundlegend erweitern. Die Zahl der Berührungspunkte sowie Kanäle hat deutlich zugenommen, was bedeutet: Konsumenten erwarten relevante Informationen und Services zum richtigen Zeitpunkt auf dem richtigen Kanal. Das Erstgespräch in der Filiale muss eben nicht automatisch eine Ausbeutung der Zeit des Händlers sein – wenn es zu einem Abschluss im eigenen Webshop führt.


Den Optionen der virtuellen Welt den Einzug in das physische (Laden-)Geschäft zu ermöglichen und gleichzeitig die einmaligen Vorteile des Anfassbaren im Store beizubehalten – das ist das Ziel. Der Mehrwert des Digitalen lässt sich so mit dem Bewährten erfolgs- und umsatzbringend verbinden – denn Digitalisierung bedeutet ja nicht, den Charme eines Verkäufers, eine persönliche Note im Gespräch oder die haptischen Erlebnisse beim Produktkauf aussen vor zu lassen. Um diese Evolution des Bewährten zu erreichen, sind unter anderem entsprechende, empfehlenswerterweise Cloud-basierte Services nötig; Cloud darum, weil sie bereits einen grossen und gut gepflegten Baukasten bietet. Dazu zählen auch Vergleichs-Tools, die eine grosse Hilfe für Retailer darstellen können. Wer sich noch zu transparenten Preisen durchringen kann, hat bereits viel erreicht – das Identifizieren oder (Rück-)Besinnen auf Alleinstellungsmerkmale oder vom Kunden besonders geschätzte Mehrwerte komplettiert diese Aufzählung.

Drei zentrale Schritte zum Omnichannel-Ansatz

Zentraler Gedanke einer smarten Omnichannel-Strategie muss sein, dass Kunden nahtlos zwischen Kanälen und Endgeräten wechseln können, in jede Richtung und ohne Komfortverlust. Hier ist die Technik gefordert, hier bietet die Technik Lösungen. Entsprechende Transformationsprojekte sind kein Hexenwerk mehr, sie müssen nur angepackt werden. Der vielleicht grössere Hub kann – je nach bisheriger Leistungs­fähigkeit – in den Ladengeschäften erforderlich sein, unter Umständen bis hin zu aufwendigen Renovierungs- und Umbaumassnahmen. Es bleibt stets zu bedenken: Wer an dieser Stelle nicht in seine Zukunft investiert, hat vielleicht bald keine mehr. Denn es ist von essenzieller Bedeutung, dass die Customer Experience für den Konsumenten auch im Ladengeschäft Anreize schafft, indem sie Mehrwerte erzeugt. Drei probate Möglichkeiten seien hier aufgezählt.

1. Angebot leichter zugänglich machen

Es mag kein Wunschszenario sein, ist aber dennoch vielfach Alltag und auch schlicht nicht immer zu vermeiden: So mancher Kauf im Ladengeschäft kommt deswegen nicht zustande, weil der Verkäufer im entscheidenden Moment of Truth (MoT) gerade nicht greifbar ist. Ein anderes Kundengespräch, Pause. Zudem ist die Personaldecke bisweilen auch bereits recht ausgedünnt, um zu sparen. So kann leicht ein Teufelskreis entstehen: weniger Kunden, weniger Umsatz im Ladengeschäft, Sparmassnahmen, weniger Kunden … Doch auch beim motiviertesten und zahlreich bereitstehenden Personal gibt es kein Always-on – bei der IT hingegen schon. Technologie kann den entscheidenden Unterschied machen, einen Kunden im Laden und zufrieden zu halten, denn sie kann dazu beitragen, das Angebot leichter zugänglich zu machen.


Interaktive Kioske können zum Beispiel einspringen und den Kunden helfen, die Produkte ihrer Einkaufsliste zu finden. Solche virtuellen Assistenten können über die Smartphones von Kunden und Interessenten bereitgestellt werden und das Einkaufserlebnis spürbar verbessern. Microsofts To Do, Evernote, Erinnerungen von Apple – es gibt bereits viele B2C-Einkaufsführer. Die Technologie lässt sich gut integrieren und je nach Anbieter auch in ein Gesamtkonzept einbetten, das auf die gesamte Customer Journey einzahlt. Die vielfach bewährten und meist Cloud-basierten Instrumente der sogenannten Digitalen Transformation bieten hier ein überaus brauchbares Arsenal an Möglichkeiten, um eine direkte Anbindung etwa an ERP-Systeme zu ermöglichen. Somit sind auch jene Angebote schnell präsent, die vielleicht etwas seltener verwendet und damit dem Personal nicht unbedingt geläufig sind.

2. Angebot besser darstellen

Eng mit dem ersten Punkt verknüpft ist die Darbietung von Angeboten. Denn es muss nicht das Smartphone beziehungsweise eine App auf diesem sein. Zu den Kanälen zählen auch Info-Terminals respektive digitale Displays. Digital Signage kann heutzutage leicht und intelligent gestaltet werden, auch unter Einbeziehung angebundener und vernetzter, sich austauschender Systeme. Die Integrationstiefe kann dabei bis in die Cloud reichen, auf jeden Fall aber in On-Premises-Systeme rund um Warenwirtschaft & Co. Denn solche digitalen Displays sind im Endeffekt nichts anderes als ein weiteres Sprachrohr des Unternehmens, um die Möglichkeiten des Verkaufspersonals zu erweitern. Somit können sie den Weg zur direkten Interaktion mit Kunden ebnen.


Wird etwa ein Kundenprofil von einer solchen Lösung erkannt, kann diese auch spezifische Lösungen darstellen. NFC, Gesichtserkennung: Die technischen Möglichkeiten sind da. Natürlich gilt es hierbei, stets alle rechtlichen und auch ethischen Aspekte zu bedenken. Derartige Punkte dürfen jedoch kein Grund sein, Schritte in diese Richtung von vornherein auszuschliessen. Denn gut und richtig gemacht sind personalisierte Angebote für alle Beteiligten vorteilhaft. Es gibt nun einmal unterschiedliche Präferenzen, und werden diese nicht adäquat adressiert, sind Interessenten schnell desinteressiert und gelangweilt – ein Zustand, den sie selbst sicherlich auch nicht erstrebenswert finden. Bereits vor einigen Jahren wurde hier mit dem Supermarkt der Zukunft, der in Italien für die Einzelhandelsgruppe Coop entwickelt wurde, ein vorbildliches Projekt lanciert. Interaktive Gaming-­Technologie versorgt Kunden per Screen mit detaillierten Informationen, etwa im Hinblick auf Produkteherkunft oder ökologischem Fussabdruck. Verknüpfte sinnhafte Empfehlungen, ergänzende Produkte: Es ist vieles möglich. Der besondere Charme ist hierbei die grosse Dynamik und Flexibilität. Denn Agilität ist nicht nur beim Coding wichtig: Einmal digitalisiert und fertig gibt es nicht.

3. Mitarbeiter am Point of Sales mit Business Analytics versorgen

Zur visuellen Aufbereitung sind selbstredend entsprechende Informationen nötig, die eingespeist werden können. Retailer sehen sich selbst in der Regel ausschliesslich als Händler – dabei sind sie viel mehr, nämlich eine regelrechte Datenmaschine, die sich aus allen Touchpoints speist. Im Hinterkopf mag diese Erkenntnis zwar da sein, Nutzen ziehen jedoch nur die Wenigsten daraus. Dabei gäbe es eine grosse Bandbreite an Möglichkeiten, die in den Daten schlummernden Informationen zum Wohle der Kunden und dem eigenen Umsatz zuliebe zu nutzen. Hier sei zum Beispiel nochmals auf die Bedeutung verwiesen, tradierte Strukturen zu verlassen: Das Fein- und Bauchgefühl eines guten Mitarbeiters aus dem Verkauf ist enorm hilfreich – es reicht jedoch nicht aus.


Für einen erfolgreichen Abschluss ist es auf jeden Fall nützlich, wenn sich dieser eben nicht nur auf seine Instinkte und Erlerntes verlassen muss, sondern sich dabei ergänzend auf strukturierte Daten stützen kann. So ist es am Point of Sale (PoS) möglich, Entscheidungen auf eine breitere Basis zu stellen und umfassend zu unterfüttern. Denn von Verkäufern wird sehr viel erwartet – und vermutlich ist nicht zuletzt deshalb die Enttäuschung manchmal gross. Unternehmen sollten es daher ihren Teams einfacher machen und sie über Business Analytics zusätzlich befähigen.
Wie schnell ist etwas vergessen im hektischen Alltag, und schon ist die Chance verstrichen, einem treuen Kunden ein gezieltes und rabattiertes Angebot zu unterbreiten. Wer es schafft, die Schätze von Mitarbeitern und Daten in eine Kiste zu legen, wird das Kundenerlebnis in der Filiale signifikant verbessern.

Das Beste beider Welten

Der Mitarbeiter ist nach wie vor ein entscheidender Dreh- und Angelpunkt. Wichtig ist, dass er dabei nicht als Schwachpunkt verstanden wird. Das ist er nicht. Der Mensch hat Stärken und Schwächen, wie die Technologie auch. Erfolg wird haben, wer das Beste beider Welten zusammenbringt. Mensch und Maschine. Denn was in IT-Abteilungen klappt, funktioniert auch an anderer Stelle: Werden die Menschen von den Maschinen entlastet, können sie ihre Potenziale voll entfalten. Kreativität, persönlicher Umgang, Einfühlsamkeit – all das kann Technologie nicht hinreichend bieten; sie kann jedoch sehr wohl dafür sorgen, dass diese Qualitäten zum Tragen kommen. Omnichannel muss den Menschen einschliessen, und zwar sowohl bei Interessenten als auch bei Anbietern. Gelingt dies und sind die IT-Systeme bereit für eine dynamische Zukunft, ist ein Unternehmen auch Future Ready Now.

End to End – nicht neu, aber mit Hürden beim B2B2C-Ansatz

End-to-End-Lösungen sind in der IT ein alter Hut. Doch bei der Vermarktung von Produkten, Lösungen und Services hat diese Strategie noch längst nicht überall Einzug gehalten. Mögliche Hürden, die es zu überkommen gilt:

- fehlender direkter Zugang für Hersteller zu End­kunden
- unzureichend integrierte ­Prozesse zwischen Hersteller, Händler und Service-­Partner
- Fehlende technische Möglichkeiten für die Omni­channel-­Orchestrierung
- Widerstände gegen Verän­derungen
- Vorbehalte wegen vermeintlicher Kannibalisierungseffekte bestehender indirekter Vertriebskanäle

Der Autor


Andreas Schindler ist Geschäftsführer bei Avanade, einem Anbieter von digitalen Services, Business- und Cloud-Lösungen sowie design­orientierten Anwendungen auf Basis des Microsoft-Ökosystems.


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