'Für KMU ist es fast un­möglich, mit den Grossen mitzuhalten'
Quelle: Thomas Entzeroth

"Für KMU ist es fast un­möglich, mit den Grossen mitzuhalten"

Der ICT-Branchenverband Swico verfolgt die Vergabepraktiken der Behörden mit strengem Blick. Der abtretende Geschäftsführer Jean-Marc Hensch bezieht im Gespräch mit "Swiss IT Reseller" Stellung zur Position von Swico.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2019/04

     

"Swiss IT Reseller": Swico bezeichnet die öffentliche Beschaffung gerne als "Sorgenkind der ICT-Branche". Können Sie die prägendsten Probleme der behördlichen Auftragsvergabe schildern?
Jean-Marc Hensch: Das öffentliche Beschaffungswesen ist mittlerweile zu einer hochkomplexen Materie geworden, die Regulierung ist sehr dicht. Dies führt dazu, dass der Aufwand bei der Auftragsvergabe sehr hoch ist, nicht nur auf Seiten der Verwaltung, sondern auch auf Seiten der Offerierenden – die ja in ihrer Mehrzahl typischerweise leer ausgehen. Für KMU kann dies geradezu prohibitiv wirken. Typischerweise sollte ja das Ausschreibungswesen dazu dienen, den Steuerzahler zu schonen. Heute passiert durch diese Überreglementierung oft das Gegenteil. Dieser grosse Aufwand, verbunden mit extrem detaillierten Vorgaben, führt auch immer mal wieder dazu, dass Ausschreibungen abgebrochen werden, weil gar niemand offeriert, was zu entsprechendem Zeitverlust führt sowie hüben und drüben Ressourcen verschleudert.


Weiter vernimmt man von Experten und Unternehmen, dass es durchaus Ausschreibungen gäbe, bei denen der Anbieter schon feststeht.
Genau, dann ist die Ausschreibung so formuliert, dass nur gerade ein – von der Verwaltung gewünschter – Anbieter zum Zuge kommen kann, weil man die Eignungs- und die Zuschlagskriterien genau so formuliert hat. Dann ist die Ausschreibung eine reine Farce und viel Aufwand für nichts. Weitere Probleme sind die unechten Ausschreibungen, bei denen die Gewinner keinerlei Aufträge auf sicher haben, sondern nur gerade die Option erhalten, im kleinen Kreis für definitive Lose mitzubieten – sogenannte Mini-Tender. Oder die Tendenz der Verwaltung, nicht Aufträge auszuschreiben, sondern Mann-Stunden bestimmter Qualifikation, womit die IT-Firmen zu Personalvermittlern mutieren und eine öffentliche Kontrolle über IT-Projekte der Verwaltung verunmöglicht wird. Des weiteren sind die Schwellenwerte, ab denen eine öffentliche Ausschreibung erforderlich ist, sehr tief angesetzt. Diese Beträge werden nämlich im Rahmen internationaler Abkommen (GATT/WTO) global für alle Länder gleich festgelegt. Sie sind für die Schweiz viel zu tief, und für Märkte wie Burundi viel zu hoch. Aber es geht ja darum, international gleich lange Spiesse zu haben.
Sind die Ausschreibungen fair für den Markt oder sind bestimmte Anbieter bevorteilt?
Von absoluten Einzelfällen abgesehen, gehen die ausschreibenden Stellen sehr fair und korrekt vor; sie bemühen sich, einwandfrei zu arbeiten. Dass manchmal unbewusst oder auch bewusst gewisse Anbieter bevorteilt sind, liegt oft am Thema Legacy, also daran, dass bestehende Systeme gewisse Sachzwänge schaffen, aus denen man nicht so einfach rauskommt, was rein faktisch und finanziell einen Lieferantenwechsel sehr erschweren kann.


Können Sie das spezifizieren?
Ich sehe etwa das Problem, dass die ausschreibenden Stellen zu sehr ins Detail gehen. Immer mal wieder hört man von Lieferanten, dass sie für eine Ausschreibung eine hoch produktive und effiziente Lösung gehabt hätten, aber aufgrund von unsinnig gesetzten Kriterien nicht zum Zuge kommen konnten. Auf den Punkt gebracht: Eine öffentliche Ausschreibung friert die anzubietende Lösung auf dem Stand des Wissens des Ausschreibenden und auf den Zeitpunkt der Ausschreibung ein, womit neue oder kreative Wege verunmöglicht werden können. Dazu kommt: Ein Lieferant wird sich hüten, der ausschreibenden Stelle im Vorfeld irgendwelche Tipps oder Ideen für kreative Lösungen mit auf den Weg zu geben. Einerseits, weil damit sein Wissen an die Öffentlichkeit gehen könnte, andererseits und vor allem aber, weil er dann wegen sogenannter Vorbefassung von der Ausschreibung ausgeschlossen wird.
Trotz der Probleme sind die Aufträge teils umkämpft. Wo liegen die Chancen und der Mehrwert für die ICT-Branche bei Aufträgen für die ­öffentliche Hand?
Aufträge für die öffentliche Hand sind interessant, weil sie oft eine gewisse Grössenordnung haben, die Auftragsvergabe im Licht der Öffentlichkeit stattfindet und so von der Branche und von den Mitbewerbern wahrgenommen wird. Es geht also auch um Prestige und Reputation. Deshalb legen sich Firmen bei Offerten sehr ins Zeug. Andererseits kenne ich mehrere Swico-Mitgliedfirmen, welche den geschäftspolitischen Entscheid getroffen haben, nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen mitzuwirken, weil Aufwand und Ertrag nicht in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen. Es hängt also stark von der Unternehmensgrösse, von der Business-Strategie und vom Produktportfolio ab, wie hoch Chancen und Mehrwert anzusetzen sind.


Öffentliche Ausschreibungen können für die Anbieter juristische Herausforderungen sein. Lohnt es sich für kleinere und mittelgrosse Anbieter überhaupt, bei grossen Ausschreibungen teilzunehmen?
In der Tat setzt die Beteiligung an ­einer öffentlichen Ausschreibung heute so viel Wissen voraus und absorbiert intern so viele Ressourcen, dass es für KMU fast unmöglich ist, mit den ­Grossen mitzuhalten. Typischerweise bewerben sich KMU daher um Aufträge, die aufgrund ihrer Grösse oder ihrer Spezialisierung von grossen Anbietern nicht bearbeitet werden.
Das Beschaffungsgesetz befindet sich seit geraumer Zeit in Revision, Swico bezeichnete vor wenigen Monaten Teile des Vorschlages als "anbieterfeindlich".
Der korrekte Begriff wäre wohl "steuer­zahlerfeindlich", weil die meisten Probleme dazu führen, dass die Kosten bei Anbietenden und Ausschreibenden in die Höhe schiessen. Konkret meinen wir mit anbieterfeindlich, dass der Staat versucht, die Anbieter möglichst zu entrechten und ihnen jeden Spielraum zu nehmen. Dabei spürt man im Hintergrund eine Heidenangst vor Einsprachen oder Beschwerden, die man um jeden Preis verhindern will, indem man den Anbietern jede Möglichkeit nimmt, sich zu wehren. Konkret geht es aktuell darum, dass die Kommission des Nationalrates mit 17 zu 7 Stimmen einen Paradigmenwechsel einleiten will, indem das "vorteilhafteste Angebot" den Zuschlag erhalten soll.


Warum ist der Begriff "vorteilhaftestes Angebot" nicht zu befürworten?
Der Begriff "vorteilhaft" ist offen und ermöglicht einen zu weiten Interpretationsspielraum. Swico unterstützt daher die Formulierung gemäss Bundesrat, "das wirtschaftlich günstigste Angebot" zu unterstützen.
Gibt es aus Sicht von Swico weitere Kritikpunkte an der Vorlage?
Ja. Artikel 59 verstösst gegen den Grundsatz der Vertragsfreiheit und widerspricht elementaren Rechtsgrundsätzen der Gleichbehandlung. Die Bundesstellen würden bei Aufträgen von über einer Million Franken, die freihändig vergeben werden dürfen, das Recht auf Einsicht in sämtliche Akten des Anbieters erhalten, die als Grundlage zur Preisbildung dienen. Eine derart einseitige und rückwirkende Verfügung der Rückerstattung auf Preisen, welche nach alleiniger Ansicht der die Prüfung durchführenden Finanzkontrolle als "zu hoch" erachtet werden, kann so nicht akzeptiert werden. Im Falle eines effektiv nicht vorhandenen Wettbewerbs besteht immer noch genügender Schutz gegen Missbrauch der Markstellung des Anbieters durch das Wettbewerbsrecht.

Was ändert sich im Rahmen der Revision des Beschaffungsgesetzes für die Anbieter?
Die Revision ist weder im Parlament beschlossen noch in Kraft. Daher können wir hier einfach so viel dazu sagen, dass wir keine nennenswerten Verbesserungen sehen, und dass die anbieterfeindliche Praxis offenbar im Gesetz zementiert werden soll.


Beim Heimatschutz, also der geplanten Bevorteilung von Schweizer Anbietern, ergreift Swico die Gegenparole und positioniert sich so gegen eine verbesserte Stellung der eigenen Mitglieder. Warum?
Heimatschutz klingt heimelig und ­positiv, ist es aber nicht. Es zeigt vor allem auf, dass gewisse Politiker nicht begriffen haben, dass sich in einer globalisierten Welt Reduit-Denken nicht mehr durchsetzen lässt.
Was meinen Sie mit Reduit-Denken?
Da stellen sich einige schwierige Fragen, etwa: Was ist eine Schweizer Firma? Genügend ein Sitz hier, geht es um die Aktionäre, um die Wertschöpfung, um die Anzahl Mitarbeitenden? Was passiert, wenn die Aktien die Hand wechseln, oder wenn eine Firma beispielsweise in Osteuropa entwickeln lässt? Und was ist ein Schweizer Produkt, in Zeiten globaler Wertschöpfungsketten? Gibt es irgendwelche Hardware, die diese Bezeichnung heute noch für sich in Anspruch nehmen kann? Ich glaube kaum. Weiter stellt sich die Frage, was eine Schweizer Software ist, wenn man weiss, dass sie fast zwangsweise mit Betriebssystemen und Middleware betrieben wird, welche aus dem Ausland stammen. Und zuletzt muss man sich auch fragen, was Speicherung in der Schweiz heisst, wenn klar ist, dass die Übermittlung sämtlicher Daten über im Ausland hergestellte Router und Switches geht. Deren Firmware laufend aus dem Ausland automatisch aktualisiert wird, ohne Kontrolle eines ­"Schweizers".

Folglich ist der Heimatschutz gar nicht möglich?
Nein, ist er nicht, wenn man nicht nur mit Heidi auf der Alp leben will. Und auch nicht sinnvoll, ganz einfach, weil damit der Wettbewerb reduziert wird und somit der Staat schlechter und teurer einkaufen würde. Das kann auch nicht im Interesse der Swico-Mitglieder sein – die im Übrigen solchen Heimatschutz nicht nötig haben. (win)


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