Channel Insight: Tun wir das Richtige?
Quelle: z.V.g

Channel Insight: Tun wir das Richtige?

Von Harald Wojnowski

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2014/10

     

In den vergangenen 30 Jahren hat die ICT-Industrie fantastische, zuweilen gar unvorstellbare Leistungen erbracht. Dem technologischen Fortschritt schienen kaum Grenzen gesetzt. So erhöhte sich beispielsweise die Anzahl Transistoren bei Standard-Mikroprozessoren von knapp 250’000 (i386) auf mehr als 1,4 Milliarden (Core i7), stieg die Leistung von 4 auf 128’000 MIPS und legte die Kapazität von gängigen Mainstream-Festplatten preisbereinigt um den Faktor 150’000 zu.
Von den grossartigen Leistungen der ICT-Industrie profitieren heute viele Wirtschaftssektoren, wie der Energie-, Nahrungsmittel-, Transport-, Gesundheits- oder Finanzsektor. Ohne ICT würden ganze Wirtschaftszweige und damit unsere Gesellschaft beinahe stillstehen.
Wir sollten also stolz sein, in einer so gewichtigen Branche zu arbeiten. Trotzdem hört man von Geschäftspartnern, dass ihnen steigender wirtschaftlicher Druck, mangelnde Wertschätzung sowie sinkende Attraktivität der ICT-Branche als Arbeitgeber immer mehr Sorgen bereiten.

Im Vergleich mit anderen Industrien gibt es in der noch jungen ICT-Branche Phänomene, die nur schwer nachvollziehbar sind: Zum Beispiel die Diskussion über den Mangel an Fachkräften, die in diesen Tagen und zum wiederholten Mal sehr kontrovers geführt wird. Mangel beschreibt ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. In einer freien Marktwirtschaft wird das Ungleich- gewicht normalerweise über den Preis wieder ins Lot gebracht. Sprechen wir von einem echtem Mangel an Fachkräften, dann sollten die Preise für deren Dienstleistungen ansteigen, was aber vielerorts nachweislich nicht geschieht. Welches sind die Gründe dafür? Haben wir es lediglich mit einem vermeintlichen Mangel zu tun?
Es gibt unzählige Erklärungsmöglichkeiten zu diesem Thema. Ich möchte mich auf die folgenden zwei Fragen beschränken:

1. Tun wir das Richtige für unsere Kunden?

Die Möglichkeiten, für unsere Kunden Lösungen zu erarbeiten, verändern sich aufgrund technologischer Entwicklungen laufend in neue Richtungen. Vielleicht tragen wir den neuen Methoden noch nicht genügend Rechnung oder vielleicht wollen wir diese Ansätze insgeheim gar nicht erkennen, da sie das aktuelle, gut funktionierende Geschäftsmodell konkurrenzieren könnten. Die Gründe mögen vielfältig sein - solange wir das Bewusstsein für sich ändernde Bedürfnisse nicht schärfen, werden unsere Fachkräfte weiterhin traditionelle Dienstleistungen erbringen. Dienstleistungen, deren Nachfrage möglicherweise sinkt, womit sich die Preisspirale weiter nach unten bewegen könnte. Vor diesem Hintergrund besteht in einer ersten Betrachtung nicht ein Mangel, sondern ein Überangebot an Fachkräften.
Gleichzeitig verzeichnen wir aber einen echten Fachkräftemangel, denn es fehlen Spezialisten, die sich der neuen, höherwertigeren Dienstleistungen annehmen, und für welche die Kunden durchaus bereit wären, mehr zu bezahlen. Idealerweise würden sich Überangebot und Mangel ausgleichen. Unternehmen, die in Ausbildung investieren und Fachkräfte, die ihr Wissen laufend den neuen Anforderungen anpassen, werden von den kommenden Veränderungen profitieren. Der allgemeine Trend geht dabei weg von Infrastruktur und Plattformen und hin zu Applikationen, über die Geschäftsprozesse unterstützt und optimiert werden können.

2. Ist das, was wir tun, auch für unser Unternehmen sinnvoll?

Im Rahmen eines Geschäftstermins erwähnte neulich mein Gesprächspartner, dass sein Unternehmen zu einer Ausschreibung für Data-Center-Infrastruktur eingeladen wurde, worauf ich ihm spontan gratulierte. Die Reaktion des Geschäftspartners war unerwartet: «Er wisse nicht, ob er sich tatsächlich freuen solle, denn es seien total 14 (!) Unternehmen eingeladen, womit die Erfolgsaussichten nicht gerade gross seien». Hinzu kommt, dass der geschätzte Aufwand für die vorliegende Ausschreibung mehr als 20’000 Franken beträgt, ohne dass das dahinterstehende Konzept in Rechnung gestellt werden könnte.
Angenommen, jedes der 14 an der Ausschreibung teilnehmende Unternehmen investiert einen ähnlichen Betrag, dann würde die Ausschreibung eine geschätzte Wertschöpfung von 260’000 Franken zunichtemachen. Unzählige Fachkräfte in 13 Unternehmen hätten umsonst gearbeitet. Und jenes Unternehmen, das den Zuschlag erhält, wird kaum glücklicher sein, da der Preisdruck bei einer solchen Ausschreibung enorm ist.
Solche Beispiele begegnen uns täglich. Vieles ist machbar, aber nicht alles ist kommerziell auch sinnvoll. Nur, wenn wir beide Fragen mit Überzeugung bejahen können, sind wir nachhaltig erfolgreich.



Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welchen Beruf übte das tapfere Schneiderlein aus?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER