Abacus schwenkt um: Clients in Java, Server-Appliances, Abfragen über Internet

Wer in der Schweiz betriebswirtschaftliche Software für KMU aber auch grössere Unternehmen evaluiert, kommt an Abacus nicht vorbei. Ein Gespräch mit Abacus-Chefdenker Claudio Hintermann und Marketingleiter Thomas Köberl.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2000/22

     

Claudio Hintermann, Abacus-Mitbegründer, heutiger Verwaltungsratspräsident und «Chefstratege», sorgt öfters für Schlagzeilen.
In der NZZ-Beilage zur Orbit 2000 entlarvte er die grosse ASP-Welle als Marketing-Gag und erst vor kurzem führte der Entscheid, in Zukunft auf Open-Source-Applikationsserver zu setzen, zu einigen hektischen Sitzungen in der Schweizer Microsoft-Zentrale. IT Reseller hat sich mit Claudio Hintermann und Thomas Köberl über den Markt für betriebswirtschaftliche Software und die Zukunft von Abacus unterhalten.
IT Reseller: Wir vertreten die These, dass auch im Bereich der betriebswirtschaftlichen Software eine Konsolidierung angesagt ist. Softinc/Sesam gehört zur riesigen Sage-Gruppe, internationale Hersteller wie Navision/Damgaard drängen in den Schweizer Markt. Stimmt diese These?
Claudio Hintermann: Ja, man kann das so sehen. Allerdings sollte man berücksichtigen, dass es auch immer wieder neue Hersteller gibt. Aber betriebswirtschaftliche Software ist an und für sich ein Nischenprodukt. Finanzbuchhaltungen oder insbesondere die Lohnbuchhaltung werden von Land zu Land anders gehandhabt, weil die gesetzlichen Grundlagen verschieden sind. Das macht es schwierig, eine europäische Lösung aus einer Hand zu entwickeln. Man endet in diesem Segment immer bei verschiedenen Produkten.
Wenn man über alle diese Nischenprodukte einer Firma eine «Superlösung» stülpt, wird diese einfach komplex, teuer und langsam. Oder man setzt auf ein Konglomerat von mehreren Lösungen. Was mit Damgaard und Navision passieren wird? Sie haben jetzt zwei fast identische Lösungen, denn die Unterscheidung nach Menge der Arbeitsplätze macht nicht viel Sinn. Die komplexeste Lohnlösung beispielsweise, die wir je auslieferten, war für einen Orgelbauer mit gerade mal sieben Mitarbeitern...
Lösungen für kleinere Betriebe können unglaublich komplex sein. Systeme für grössere Unternehmen sind meistens sogar entwicklungstechnisch einfacher zu handhaben, weil diese in der Regel straff durchorganisiert sind.
ITR: Dann spüren Sie keinen Druck , international zu wachsen oder sich einem grösseren Konstrukt anzuschliessen?
CH: Es gibt den Druck von Schweizer Kunden mit Auslandsfilialen. Für diese Firmen machen wir Anpassungen an der Software, so dass diese arbeitsplatzunabhängig in unterschiedlichen Ländern bedient werden kann. Zu bedenken gilt es in diesem Zusammenhang, dass Software von grösseren Herstellern nicht billiger, sondern eher teurer als Lösungen von kleineren und mittleren Software-Häusern ist.
ITR: In welche Richtung wird sich betriebswirtschaftliche Software in Zukunft entwickeln? Die Stichworte sind ASP und betriebssystemunabhängige Software im Browser.
CH: Während die Dotcom-Euphorie jetzt langsam abklingt, hält die ASP-Euphorie noch immer an. Und dies, obwohl es noch immer sehr wenige Beispiele von funktionierenden ASP-Lösungen gibt. Das grösste Problem von ASP stellt die Integration von verschiedener Software unterschiedlicher Hersteller dar. ASP dürfte sich in unserem Bereich aber bei Treuhändern durchsetzen. Für deren Kunden lässt sich eine bessere Kommunikation realisieren, um etwa sofort Journale oder Bilanzen auszudrucken. Allerdings will sich der Kunde nur informieren, um auf dem Laufenden zu sein und nicht, um sich in die Materie der Buchhaltung zu vertiefen.

ITR: Also ist ASP ein Konzept für Kleinstfirmen?

CH: Als Abfragesystem ja. Wir müssen nur die Möglichkeit bieten, dass der Endkunde sofort Informationen zur Verfügung haben kann. Denn er will, wie gesagt, in den meisten Fällen gar nicht selber buchen.
Thomas Köberl: Das stimmt nur bedingt. Wir haben 10’000 Fibu-Light-Versionen auf dem Markt. Diese Anwender erfassen ihre Buchungen sehr wohl auch selbst. Die Treuhänder suchen auch eher die anspruchsvolleren Arbeiten.
CH: Ich glaube nicht, dass die Kunden heute Buchungen online erfassen wollen. Es kann dabei keine «Quality of Service» garantiert werden. Es ist zu mühsam. Man kann die Buchungen erfassen und sie anschliessend über Internet zum Treuhänder schicken. Aber wir können nicht wissen, was in fünf Jahren sein wird.
Wir werden also nächstes Jahr eine Software anbieten, mit der man sämtliche Auswertungen von Abacus von einem beliebigen Terminal aus abfragen kann. Ob sich ASP durchsetzen wird oder nicht, ist eine rein theoretische Diskussion. Es ist klar, dass die Anwender unabhängig vom Arbeitsort Informationen abfragen und zum Teil bearbeiten wollen. Ferner fordern sie, dass die Hardware zentral gewartet werden soll, damit das Installationsprozedere für sie entfällt. Was aber heute als Vorteile von ASP verkauft wird, hat mit ASP gar nichts zu tun. Vielmehr geht es um die Nachteile der heutigen Strukturen – diese Probleme gilt es, mit oder ohne den Weg über ASP zu lösen.
ITR: Wird es die Abacus-Module als unabhängige Client-Software weiter geben, oder wird sie in einem Browser laufen?
CH: Unsere zukünftigen Frontends werden in Java geschrieben sein. Sie können, müssen aber nicht im Browser laufen. Dafür müssen wir die Software nicht völlig umschreiben. Reports werden auf dem Server laufen, nur die Selektions-Masken werden in Java oder HTML oder gar in einer anderen Sprache programmiert sein. Das ist der einzige Weg, unabhängig vom Arbeitsplatz Abfragen zu tätigen.
Es ist ein Nonsens, alles in Java zu schreiben. Wir sind sozusagen keine Buschdoktoren mehr, die für alles ein einziges Instrument verwenden. Heute geht man hin, analysiert das Problem und nimmt das passende Instrument. Relevant ist heute, dass der Kunde arbeitsplatzunabhängig und vielleicht auch länderübergreifend abfragen und eingeben kann.

ITR: Werden Sie in Zukunft auf einen Open-Source-Applikationsserver setzen?

CH: Das ist unser Tomcat/Apache-Projekt. Wir wollen kein System, bei dem wir von Anfang an kanalisiert sind. Niemand kann in unserer Branche heute wissen, was in fünf Jahren sein wird. Serverseitig hat jetzt Unix/Linux einen höheren Marktanteil als Windows. Wir gehen davon aus, dass Software auch in Zukunft auf Servern laufen wird. Würden wir weiter ausschliesslich auf NT/Windows 2000 setzen, würde unser Markt schrumpfen.
Obwohl Windows NT unsere bevorzugte Plattform ist und vorderhand auch bleibt, müssen wir bereits heute Software bauen, die sich an veränderte Bedingungen anpassen lässt, wenn sich der Markt ändert. Unsere Software wird sicherlich weiterhin unter NT laufen, aber mit einem Open-Source-Server in der Mitte.
Solche Lösungen werden auch von unseren Konkurrenten diktiert. Viele sind schon multiplattformfähig. Wenn wir ausschliesslich auf die Dot-Net-Strategie setzen würden, könnten unsere Konkurrenten das ausnützen. Für uns steht deshalb das Schaffen einer flexiblen Technologie im Vordergrund.
ITR: Haben Sie einen Zeitplan, bis wann die Abacus-Lösung multiplattformfähig sein soll?
CH: Bis Ende 2001 sollten wir alle Auswertungen soweit haben. Bei Buchhaltungen tätigen rund 90 Prozent der Anwender Abfragen, nur 10 Prozent erfassen auch Daten. Bei der Auftragsbearbeitung ist es anders. Dort haben wir noch keinen Zeitplan erstellt, da die dazugehörige Technologie sehr komplex wird. Trotzdem sind wir bereits nächste Woche soweit, erste Müsterchen zu präsentieren.
ITR: Themawechsel: Wie war der Markt für Abacus im Jahr 2000? Es gab den «Digital Winter», den Einbruch im PC-Markt.
TK: Wir hatten aufgrund des Jahrtausend-Wechsels hervorragende Resultate in den Jahren 98 und 99. Wir gingen aber davon aus, dass es im Jahr 2000 nicht im gleichen Rahmen weitergehen kann. Unser Geschäft ist sehr saisonal, der Dezember dürfte noch sehr über dem diesjährigen Abschluss entscheiden. In der ersten Hälfte dieses Jahres herrschte im Lizenzgeschäft mehr oder weniger «Flaute». Unsere Vertriebspartner litten wahrscheinlich weniger darunter als wir, weil sie bei ihren Kunden noch laufende Aufträge hatten, die wegen dem Jahr-2000-Problem aufgeschoben wurden.
Das klare Fazit: Die ersten neun Monate waren unerfreulich. Seit der Orbit hat das Geschäft aber wieder zugenommen. Wir schätzen, dass wir 10 bis 15 Prozent unter dem Vorjahresergebnis liegen werden, das als bestes in die Geschichte unserer Firma einging. Ähnliche Verläufe haben wir bereits anlässlich der Einführung der Mehrwertsteuer in den Jahren 94 / 95 erlebt.
CH: Erfreulich ist, dass wir weiterhin über dem Budget sind. Wir haben ursprünglich mit einem grösseren Einbruch gerechnet.

ITR: Wird das nächste Jahr besser?


CH: Es gibt immer weniger Anbieter.

TK: Unser Markt ist noch sehr gross. Es gibt noch erstaunlich viele DOS-Lösungen im Einsatz. Vor allem in der Industrie. Darum ist es für uns im Prinzip strategisch nicht notwendig, ins Ausland zu expandieren, wie es zum Beispiel Miracle erfolglos versuchte.

ITR: Es gibt also definitiv keine Auslands-Pläne?

CH: Bereits die unterschiedlichen Gesetze und Vorschriften stellen für uns sehr hohe Hürden dar. In Deutschland zum Beispiel kennt man im Gegensatz zur Schweiz das VESR-Verfahren gar nicht, dafür werden andere Zahlungsverfahren angewandt. Wenn man nachträglich solche Möglichkeiten einprogrammiert, wird die Software sehr komplex. Will man auf allen Märkten präsent sein, braucht es am Schluss 10’000 Spezialisten, um die Software zu parametrisieren. Es gibt in der Schweiz Unternehmen, die den SAP-Lohn installiert haben und jetzt zusätzlich darauf angewiesen sind, die Abacus-Lohnbuchhaltung einzusetzen, weil sie Löhne in Fremdwährungen auszahlen müssen.
Es ist sehr schwierig, die Entwicklung von betriebswirtschaftlicher Software weltweit zu koordinieren, da es sich im Prinzip um Hunderte von verschiedenen Nischenmärkten handelt.

ITR: Um den Abashop wurde es ruhig. Ist er ein gutes Geschäft?

CH: Nein. Wir hatten ursprünglich mehr erwartet. Heute sind 35 Shops aktiv in Betrieb. Der E-Commerce-Hype ist schon wieder etwas abgeklungen. Es gibt Software, wie etwa eine Finanzbuchhaltung, die jede Firma zwingend braucht. Ein E-Shop dagegen ist für die konservativen Schweizer nur ein «nice-to-have», d.h. man nimmt sich noch Zeit. Wichtig ist aber, dass wir wissen und bewiesen haben, dass unsere Technologie gut ist. Die Lösung ist in die Backoffice-Software integriert. Und der Abashop rechnet, im Gegensatz zu den meisten anderen Lösungen, die Mehrwertsteuer korrekt aus.
Wir gehen aber klar davon aus, dass sich dieser Markt noch entwickeln wird. Mehrere Programmierer sind damit beschäftigt, den Shop weiterzuentwickeln. Die kurz vor der Vollendung stehende zweite Fassung des Shops wird in Java umgeschrieben.
TK: Die bestehenden Kunden müssen auf die neueste Abacus-Version umrüsten, um den Abashop nutzen zu können. Der Shop ist für Abacus aber strategisch von grosser Bedeutung, da er den ersten Schritt in die B2B-Welt darstellt

ITR: An das Konzept von Malls, wie Abacus City glauben wir nicht.

CH: Ich war noch nie ein Anhänger von Portalen – ich finde sie unnütz. Wir haben mit Abacus City ein digitale Eingangshalle realisiert, um alle eröffneten Shops zu präsentieren. Für mich liegt in diesem Bereich die Zukunft eindeutig bei Such-Maschinen, die beispielsweise Preisvergleiche machen können. (Interview: hc)

Stetiges Wachstum

Abacus Research in St. Gallen platzt aus allen Nähten. Die Firma, die sich in Privatbesitz befindet und keine Umsatzzahlen veröffentlicht, hat im «alten» Gebäude schlicht keinen Platz mehr. Über die Strasse gespannte Datenleitungen vom Hauptgebäude zu Büros in Nachbargebäuden weisen zu weiteren, dazugemieteten Arbeitsplätzen. Die Büros sind eng mit Arbeitsplätzen, Bildschirmen und Dokumentationen bepackt. Ein bald fertiggestellter Neubau soll dem chronischen Platzmangel ein Ende bereiten.
Abacus hat heute etwa 120 Mitarbeiter, gut die Hälfte davon arbeiten in der Entwicklung. Inklusive Abacus Light (ca. 10’000) sind heute über 43’000 Abacus-Modul-Lizenzen in der Schweiz bei ca. 20’000 Kunden installiert. Über tausend Unternehmen setzen die Abacus Auftragsbearbeitung ein. Sehr stark ist Abacus bei den Lohnverwaltungen, wo Abacus auch bei den Firmen bis 499 Mitarbeitern die übermächtige SAP mit einem Marktanteil von ca. 24% überflügelt.

Appliances statt ASP von Abacus

Claudio Hintermann hält viel von «Server-Appliances», dedizierten Servern also, die über Browser konfiguriert und für eine einzige Aufgabe eingesetzt werden. Neu wurde Aba Agent entwickelt, ein Software-Tool für Abfragen (z.B. Journale, Kontoauszüge, Kostenstellenauszüge, Mitarbeiterlisten, Projektauswertungen, Adresslisten und Produktestammdaten). Aba Agent läuft serverseitig ausschliesslich auf einer Server-Appliance (zur Zeit Compaqs Ipaq).
Der Client von Aba Agent stellt die Resultate in HTML dar, so dass ein qualifizierter Anwender oder ein Abacus-Händler die Abfragemasken selbst programmieren kann, ohne dass serverseitig irgendwelche Änderungen vorgenommen werden.
Im Laufe des nächsten Jahres sollen weitere Abfragen wie Bilanzen und Bilanzssteuerung, Kunden-Umsatzlisten, Fälligkeitslisten und Lagerauswertungen hinzukommen.
Ebenfalls nur auf Server-Appliances läuft Aba Search (Volltextsuche). Auch Aba View (Reporting-Tool) verträgt sich in seiner Web-Version serverseitig ausschliesslich mit einer oder mehreren solcher Appliances.


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