ASP-Hype, ASP-Apokalypse

Alle drängen auf den ASP-Markt. Doch es gibt Analysten, die sagen die Apokalypse voraus. Die massive Konkurrenz werde bald zu einer Konzentration führen, meinen die gescheiten Köpfe.

Artikel erschienen in IT Reseller 2000/15

   

Die Idee hinter den drei Buchstaben klingt verlockend: Die von einem ASP gehostete Software braucht vom Kunden weder installiert noch betreut zu werden. Angeboten wird fast alles, von der grossen Enterprise Software bis zu einfachen Desktop-Applikationen, die in grossen Unternehmen aber bekanntlich oft mühsam zu warten sind und einen grossen Support-Aufwand verursachen.
Nach einer neuen Studie von Dataquest soll der ASP-Markt Ende dieses Jahres weltweit 3,6 Mrd. Dollar umfassen und bis 2004 auf 25,3 Mrd. Dollar ansteigen. Das englische Marktforschungsunternehmen Ovum geht gar von 138 Mrd. im Jahre 2006 aus – beeindruckende Zahlen verglichen mit der einen Milliarde die noch 1999 umgesetzt wurde.
Vorreiter sind, wie nicht anders zu erwarten, die USA. Im letzten Jahr wurden 65 Prozent des Umsatzes in Nordamerika erwirtschaftet. Doch Dataquest sagt voraus, dass es 2004 nur noch 45 Prozent sein werden, während der Anteil Europas von gegenwärtig 20 auf 32 Prozent ansteigen wird und auch der asiatisch-pazifische Markt zulegen werde.
Die ASPs vermehren sich wie Kaninchen. Softwarehersteller, Netzwerkanbieter und Hardwaregiganten – sie alle möchten sich ein Stück von dem Kuchen abschneiden. Microsoft, Oracle, SAP, Dell, IBM und andere haben entsprechende Absichten verkündet. Auch die Telcos drängen auf den Markt, wie die Verlautbarungen von Deutsche Telekom, British Telecom und AT&T zeigen.

ASP heisst Kundenpflege

Die Marktforscher von Ovum haben in Europa und den USA Firmen vom Kleinunternehmen bis zum Fortune 500 Unternehmen und staatliche Stellen zum ASP-Modell befragt. Dabei hat sich das Vorurteil, dass die IT-Abteilungen sich dem ASP-Modell widersetzten, weil damit ihre Bedeutung geschmälert werde, keineswegs bestätigt. Allerdings sind es unterschiedliche Gründe, welche die Unternehmen mit den ASPs liebäugeln lassen. Manche hoffen, mit wenig Risiko und Kosten neue Applikationen ausprobieren zu können. Andere sehen den Vorteil darin, dass sie keine weiteren IT-Leute anzuheuern brauchen. Und grosse Unternehmen mögen das Konzept, weil es ihnen die Sorgen um Standardisierung und Upgrades abnimmt.
Wie die Untersuchung zeigt, legen alle grossen Wert auf den Service. Sie betrachten den ASP als Businesspartner, bei dessen Wahl als entscheidende Kriterien Geschäftskenntnisse, Rund-um-die-Uhr-Support, regelmässige Kontakte und Servicegarantien genannt werden.
Das alles bedeutet, dass die Software-Hersteller immer mehr zu E-Service-Anbietern werden. Dienstleister und VARs müssen sich in die gleiche Richtung bewegen, wenn sie mithalten wollen. Kundenpflege wird in den kommenden Jahren zum wichtigsten Stich
wort werden. Genau hier aber dürften bei allzuschnell gewachsenen Unternehmen die Ressourcen bald einmal überfordert sein.

Boxerqualitäten

Die Frage ist, welche Anwendungen sich am besten für das ASP-Modell eignen. Katy Ring, Senior Analystin bei Ovum, meint: «Das grösste Missverständnis besteht darin, dass in diesem Zusammenhang immer von ERP gesprochen wird. Die Chancen für ASPs sind gut, aber sie liegen nicht unbedingt bei den ERP-Anwendungen.»
Ovum hat die Applikationen nach Boxermanier eingeteilt und spricht von einer Leicht-, Mittel- und Schwergewichtsklasse sowie von Sumo. Laut Ring passen Leichtgewicht-Anwendungen wie Microsoft Office gut ins ASP-Modell: «Sie müssen kaum integriert oder angepasst werden und gelten gemeinhin nicht als geschäftskritisch.» Allerdings gibt es bei solchen Anwendungen auch wenig Möglichkeiten, Mehrwert anzubieten. Ovum sieht daher die grössten Chancen bei den Mittelgewichtlern der Business-Anwendungen.
Auch sie verlangen von ASP wenig individuelle Anpassungen, bieten aber die Möglichkeit, durch standardisierte, horizontale oder vertikale Lösungen vorhandene ERP-Funktionalitäten zu ergänzen. Damit werden sie zu interessanten Angeboten in Bereichen wie etwa Human Resources.
Weniger geeignet scheinen Ring die Schwergewichts- und Sumo-Applikationen der ERP- und CRM-Lösungen. Firmenspezifische Anpassungen und die notwendige Integration interner Datenquellen machen es nach ihrer Meinung aufwendig und schwierig, hier brauchbare Lösungen anzubieten.

Big ASP-Brother

Viele der heutigen ASPs versuchen, alles anzubieten samt eigenem Daten-Center. Damit dürfte sich mancher übernehmen. Allianzen und Partnerschaften werden unvermeidlich sein. Doch die Gartner Group hat für ihr im Oktober vorgesehenes ASP-Symposium ein noch sehr viel brutaleres Szenario entworfen.
In den letzten Monaten hat der ASP-Trend nach Gartner einen Goldrausch hervorgerufen, bei dem jeder dabei sein will. Doch viele seien sich offensichtlich zu wenig bewusst, was es heisst, auf diesem Markt zu überleben. Um den Honigtopf der heute 3,6 Mrd. Dollar drängeln bereits 480 Anbieter und täglich werden es mehr.
Die Gartner Group sagt 60 Prozent von ihnen schlicht den Tod voraus – durch Bankrott, fehlendes Risikokapital, Übernahme oder einfach als Folge des Konkurrenzkampfes. Bis 2004 werden gerade noch 20 Vollservice-Anbieter überleben. Und weniger als hundert Anbieter von Einzellösungen dürften sich dannzumal auf dem Markt tummeln. Audrey Apfel, Research Director bei Gartner: «Wir erwarten, dass schon bald die ersten ASPs verschwinden werden. Es ist wie beim Fernsehspektakel Big Brother: Monat für Monat fällt jemand aus, bis sich einige wenige den Markt teilen.»
Das ASP-Sterben dürfte allerdings bedeutend weniger lustig werden als die Sendung im Fernsehen. Wenn heute eine Dot-Com-Firma einbricht, hat das kaum Folgen für den Rest der Industrie. Die Flurbereinigung auf dem ASP-Markt jedoch könnte sich brutal auswirken. Sind ERP-Systeme grosser Firmen betroffen, kann es durchaus sein, dass in einem Dominoeffekt die ganze Lieferkette mitgerissen wird.
Nach Apfels Ansicht wird die Landschaft nach der grossen ASP-Konsolidierung nicht mehr zu erkennen sein. Es wird nur noch wenige, wichtige Anbieter geben. Diese werden mit den heutigen ASPs kaum noch vergleichbar sein und ganz andere Leistungen anbieten. Schliesslich, meint Apfel, werde wohl auch der Ausdruck ASP von der Bildfläche verschwinden. Und es herrscht Finsternis über der Erde - wenigstens was das Application Service Providing betrifft. (fis)


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