Portrait: Marcel Casserini - Ich bi dä Teleboy

Marcel Casserini ist in der IT-Branche bekannt wie ein bunter Hund. Heute zieht der Geschäftsführer von Harvey-Nash die Fäden im Hintergrund.

Artikel erschienen in IT Reseller 2005/16

   

Wer kennt ihn nicht, den ewigen Wirbelwind Marcel Casserini? Kaum einer ist wie er seit über 20 Jahren in der IT-Branche an so unterschiedlichen Stellen gewesen. Vom PC-Verkäufer bei NCR in den Achzigerjahren über Compaq-Distribution bis hin zum Geschäftsführer eines Internetproviders mit über 100 Angestellten hat er schon so ziemlich alle beruflichen Facetten durchlebt, die es in der IT-Industrie gibt. Er ist einer, dem man heute kein X für ein U vormachen kann. Sogar für Software, die es noch nicht gab, hat er schon Käufer gesucht – und gefunden. Sein heutiger Job ist wie gemacht für einen, der die IT-Branche aus dem Effeff kennt. Marcel Casserini war nach dem Zusammenbruch des Mega-Internetproviders PSInet vor drei Jahren wieder einmal auf der Suche nach einem neuen Job und hat ihn gefunden: Er wurde Geschäftsführer von Harvey-Nash, dem wichtigsten Personalvermittler im IT-Bereich überhaupt. «Nach dem Zusammenbruch des Internet-Hypes bestand meine Aufgabe zuerst darin, dass wir professionell auf die neuen Marktgegebenheiten reagieren konnten. Deshalb habe ich als erstes die Organisation getrimmt und mit neuen Leuten besetzt.» Heute erzielt Harvey-Nash in der Schweiz mit über 25 Consultants einen Umsatz von über 40 Millionen Franken. «Wir haben in den letzten zwei Jahren den Umsatz verdoppelt und für dieses Jahr rechne ich mit einem ähnlichen Wachstum», frohlockt er.

Wirkliche IT-Profis sind rar

Die eidgenössische Abstimmung zur erweiterten Personenfreizügigkeit vom 25. September ist ihm allein schon aus geschäftlicher Sicht ein essentielles Anliegen: «Eine Ablehnung wäre für die Schweiz eine Katastrophe, weil dann garantiert noch mehr Jobs in den EU-Raum ausgelagert würden», sagt er. Denn schon heute kann Casserini die Nachfrage nach gutausgebildeten Schweizer IT-Fachkräften «bei weitem» nicht erfüllen. Er versucht deshalb, mit ausländischen Fachkräften fehlendes Know-how bei Kunden intern aufzubauen.
Als einer, der täglich nichts anderes tut, als IT-Profis zu finden und bei Kunden zu plazieren, hat er aber noch ein anderes Problem: «Mir ist es wichtig, Menschen zu finden, denen nicht nur das Salär, sondern auch die persönliche Entwicklung wichtig ist, und diese soweit zu schulen, dass sie sich auch professionell präsentieren und ‹verkaufen› können.»

Immenser Rekrutierungsaufwand

Doch das Finden von gutausgebildeten Spezialisten ist nur ein Problem, mit dem sich Casserini herumschlägt. Denn oft wollen Kunden nicht wahrhaben, was diese Aufgabe im Klartext bedeutet: «Hinter einer Rekrutierung von hochstehenden IT-Spezialisten steckt ein riesiger Aufwand», gibt er zu bedenken. Denn viele Kunden hätten das Gefühl, von Personalvermittlern ausgenutzt und übers Ohr gehauen zu werden. Im Gegenzug machen ihm die vielen unprofessionellen Mitbewerber zu schaffen, denen im Überlebenskampf jedes wirtschaftliche Denken fehlt und die so den Markt kaputt machen.
Und ist ein Kandidat erst gefunden, so hapert es allzuoft bei den Kunden: «Im Festanstellungsbereich brauchen Firmen zu lange, bis sie sich für einen Kandidaten entschieden haben. Da kann es sein, dass die ganze Arbeit für die Katz war, weil der Betreffende bereits andere Angebote erhalten hat.»
Es sei alles in allem wichtig, auf der einen Seite den Kunden zu zeigen, dass Topleute nicht zu tiefen Löhnen auf dem Markt verfügbar seien. Auf der anderen Seite müsse man die Kandidaten immer wieder auf den Boden der Realität zurückholen, was die Lohnforderungen angehe.

Navision-Berater sehr gefragt

Sehr grosse Nachfrage besteht erwartungsgemäss im Finanzbereich, hier vor allem in den Grenzbereichen zwischen Corporate Governance und IT, wie zum Beispiel IT-Consultants für Sarbanes-Oxley und Business-Analysten, da für viele Firmen IT heute auch ein rechtliches Haftungsrisiko und nicht nur ein Sicherheitsrisiko darstellen kann.
Aber auch hardware-nahe, objektorientierte Software-Entwickler für die Industrie sind äusserst gefragte Leute. «Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn das Gerippe der Schweizer Wirtschaft besteht ja bekanntlich aus industriellen KMU wie Phonak, Mettler-Toledo, Zellweger, Geberit etc. Hier können wir die Nachfrage mit den lokal vorhandenen Ressourcen kaum befriedigen.»
Sehr grossen Bedarf sieht Casserini nach ERP-Beratern, die sich auf Navision spezialisiert haben: «Wir stellen vermehrt fest, dass KMU sich nicht für SAP, sondern für Navision entscheiden, und wir haben heute bereits Mühe, genügend gute Leute für unsere offenen Stellen zu finden.»

Marcel Casserini

Der Frühaufsteher und Vater von drei pubertierenden Jungs ist in seiner Freizeit am liebsten auf Reisen in ferne Länder. Seine Hobbys sind Krafttraining und Tennis.
1988 verkaufte er als 20-Jähriger die ersten Intel-PCs für NCR und wurde dafür von den Gross-System-Verkäufern belächelt. Weil er mit sehr langen Lieferfristen zu kämpfen hatte, gründete er eine eigene Distributions-Firma, die Comdis AG, und vertrieb die Intel-Produkte von NCR als Exklusiv-Distributor. Nachdem sich NCR für einen Strategiewechsel von indirektem zu direktem Verkauf entschied, musste er reagieren und übernahm neben Also die Vertriebsrechte von Compaq. Es gelang ihm, praktisch den gesamten NCR-Kundenstamm auf Compaq zu bringen. Der Umsatz explodierte und er war 1993 gezwungen, das Unternehmen (an Computer 2000) zu verkaufen, denn die finanzielle Kraft für ein solches Business konnte nur ein internationaler Distributor aufbringen. Dort machte er als Produktmanager und Verkaufsleiter Compaq in Kürze zum zweitwichtigsten Umsatzträger.
Ende 1994 begann er als Verkaufsleiter bei DEC. Der Hersteller wurde zur Nummer 3 im indirekten Vertrieb in der Schweiz.
Ab März 1997 verkaufte er weltweit für HIS Technologies eine ehemalige Open-VMS-Lösung, die auf Unix portiert wurde und die nur als Beta-Version existierte – für siebenstellige Summen. Als seine Kinder ihn nach der Rückkehr von einem Business-Trip nicht mehr in die Wohnung lassen wollten, weil sie ihn nicht mehr kannten, beschloss er, wieder in der Schweiz zu arbeiten.
Im Juli 1998 begann er zuerst als Verkaufsleiter mit drei Leuten bei einem ISP in Genf. Kaum angefangen, wurde er zum Country Manager befördert, denn die Firma wurde von PSInet gekauft. Innerhalb von vier Jahren baute Casserini PSInet zu einem Unternehmen mit über 100 Mitarbeitern auf. Er übernahm zusätzlich die Integrations- und Gesamtverantwortung für Italien und Österreich. Der Rest ist Geschichte: PSInet geriet unter Gläubigerschutz, wurde zerschlagen, die Filetstücke der Schweizer Niederlassung verkauft. Casserini schaute dem Ganzen von aussen zu, er war längst von der neuen Investorengruppe freigestellt worden: «Die Firma bestand am Schluss fast nur noch aus einem Aktienmantel.» (mh)


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