Brotloser E-Banken-Bau

Der Markt für E-Banken zeigt in der Schweiz Anzeichen von Sättigung. Die Software-Firmen, die sich in der einstigen Paradedisziplin profiliert hatten, setzen heute auf andere Bereiche oder auf tiefergehende Integrationsjobs im Umfeld der Finanzindustrie.

Artikel erschienen in IT Reseller 2004/19

   

Vor einigen Jahren war eine Internet-Bank für die Schweizer Finanzdienstleister noch ein Differenzierungsfaktor. Auch für Software-Entwickler war der Bau einer funktionstüchtigen und sicheren E-Bank so etwas wie die Königsdisziplin. Das ist heute anders, denn der elektronische Schalter ist für die Banken zur reinen Commodity geworden: «Heute ist der E-Kanal ein Hygienefaktor in der Bankenwelt und sowohl im Retail- als auch im Private-Banking eine Option, die der Kunde erwartet», sagt Bruno Richle, CEO von Crealogix. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Internet-Banking unwesentlich ist. Im Gegenteil: «Für Postfinance und UBS sind die Online-Banken heute absolut relevante Kanäle geworden», sagt Stefan Arn, CEO der Zürcher Software-Schmiede Adnovum. Postfinance etwa wickle einen signifikanten Teil ihrer Transaktionen über das Internet ab, so Arn zu IT Reseller. Auch die technischen Anforderungen an eine E-Bank sind nicht etwa geringer geworden, weil der elektronische Schalter heute ein Massenprodukt ist: «Gerade wenn dieser Kanal intensiv von KMU benutzt wird, muss er sicher sein und stets gut funktionieren», sagt Jakob Magun, Chef-Technologe der Zürcher Ergon Informatik.

Hart umkämpfte Ausschreibungen

Die Zahl der Schweizer Firmen, die im E-Banken-Bereich etwas zu melden haben, ist relativ gering: In der Vergangenheit haben sich Adnovum, Ergon und Crealogix mit dem Bau von
E-Kanälen für Finanzinstitute hervorgetan und im gleichen Zug auch als Vorzeige-Firmen der hiesigen Software-Entwicklungsszene etablieren können. Crealogix hat im Juni HMI Informatik übernommen und hatte es dabei wohl vor allem auf das E-Banking-Modul von HMI abgesehen, das auf die Banken-Software von Avaloq zugeschnitten ist.
Adnovum, Ergon und Crealogix sehen sich heute mit einer gewissen Sättigung des Marktes konfrontiert. «Der Markt für das Schreiben von Online-Applikationen ist nicht mehr sonderlich attraktiv», bemerkt Arn. Adnovum habe im laufenden Jahr noch zwei Online-Projekte bei Privatbanken gewonnen und realisiert. «Heute hat der Kunde klare Vorstellungen, was er haben möchte und was er dafür zu zahlen bereit ist», so Arn. Vieles entscheide sich deshalb in den Ausschreibungen über den Preis. Auch bei Crealogix bemerkt man ein Ende der Goldgräberstimmung: «Die erwarteten Erträge im Internet-Geschäft sind bedeutend kleiner ausgefallen. Für die Banken bedeutet das also, dass sie weit weniger Mittel für den E-Kanal zur Verfügung haben», erläutert Richard Dratva, Chief Strategy Officer bei Crealogix. Dennoch habe man im Jahr 2004 Neukunden gewonnen, darunter die Hypo Invest Bank Liechtenstein sowie die Arab Bank Switzerland. Dass es immer weniger Projekte gibt, lässt sich aber nicht wegdiskutieren: «Erstens besitzen heute schon viele Institute eine Internet-Lösung, und zweitens wird diese oft mit eigenen, internen Teams weiterentwickelt», ergänzt Magun. Während der Bau von E-Banken für Ergon früher ein extremer Wachstumstreiber gewesen sei, so sei er das heute weniger. Stattdessen setzt Ergon auf andere Bereiche, etwa die Entwicklung von mobilen Anwendungen.

Ein Hang zur Standardisierung

Während der Bau einer E-Bank früher noch ein echtes Stück Software-Engineering bedeutete, so findet heute langsam aber sicher eine Standardisierung statt: «Die technischen Probleme wie Sicherheit, Skalierbarkeit, Infrastruktur und Applikations-Architektur, welche Ende der 90er Jahre dominierten, sind heute gelöst und im E-Banking hat sich eine Art Standard-Angebot etabliert», meint Dratva. Funktionen wie Konto- und Depotauszug, Zahlungsverkehr, Börsenhandel, Secure Messaging und Filetransfer für Massenzahlungen seien heute standardmässig vorhanden, während das Gesamtprodukt dennoch hochgradig individualisierbar sei und der Bank ermögliche, im Internet ihre eigene Identität auszuspielen. Crealogix rühmt sich denn auch damit, in der Schweiz über das einzige «E-Banking-Standardprodukt» zu verfügen.
Doch diese Aussage lassen die Mitbewerber nicht unkommentiert: «Die Kundenwünsche im Bereich E-Banking sind extrem individuell, vor allem wenn es um die Integration von bestehenden Fach-Anwendungen und Finanzprodukten Dritter geht», sagt Arn. Er bezweifle, dass man in diesem Zusammenhang von einem Standard im klassischen Sinne sprechen könne. Vielmehr würden alle drei Firmen über genügend Erfahrung und ein genügend gutes Framework verfügen, um E-Kanäle bauen zu können. Arn weiter: «Der Punkt ist, dass die eigentliche Online-Bank nach vorne hinaus nur den sichtbaren Teil des Ganzen darstellt. Und dort gibt es momentan nicht viel zu bauen.»

Das Brot woanders suchen

Das Geld verdienen die Software-Entwickler also nicht mehr zwingend mit dem E-Banken-Bau, doch sie bieten der Finanzindustrie nach wie vor ihre Dienste an: «Im Bereich Call-Center und Multi-Channel-Integration gibt es noch enorm viel Integrationsarbeit zu leisten», erklärt Arn. Die Projeke, die heute gemacht würden, seien halt einfach nicht mehr die augenscheinlichen Knaller, über die man gross Erfolgsgeschichten erzählen würde. Auch für Magun ist klar, dass das Know-how der Entwickler im E-Banking-Bereich immer noch gefragt ist. «Dabei geht es heute aber vermehrt um Troubleshooting und gewisse Weiterentwicklungen und nicht mehr unbedingt um die eigentliche Realisierung», so Magun. Und auch bei Crealogix gibt es neben den E-Banking-Projekten zahlreiche andere Formen der Zusammenarbeit mit der Finanzindustrie, etwa in den Bereichen Applikationsintegration, Intranet/Internet oder E-Learning. (bor)


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