Comdex: Das Ende der grauen Kisten

In der Glitzerwelt von Las Vegas ging vom 15. bis 19. November zum 20. Mal die wichtigste und quirligste Computermesse Comdex über die Bühne.

Artikel erschienen in IT Reseller 1999/21

   

Die Eröffnungsrede hielt – wie könnte es anders sein – Microsoft-Chef Bill Gates. Natürlich wurden vor allem seine Ausfälle gegen die US-Justiz rapportiert. («Wissen Sie zufällig einen neuen Juristenwitz?» ). Doch Gates sprach auch über anderes, etwa das, was er als «Personal Web» bezeichnete: «Wir sind daran, einen gewaltigen Schritt zu tun. Das wird das beste Tool werden, das je geschaffen wurde.»
Die Idee besteht darin, dass die Anwender unmittelbar Zugang zu denjenigen Informationen bekommen, die sie persönlich benötigen. Der Computer «lernt», was einen Benutzer am meisten interessiert. So wird fortan niemand mehr Informationen und Einkaufsmöglichkeiten mühsam zusammen suchen müssen. Die Software erkennt die Bedürfnisse, egal ob in einer Business- oder Freizeitumgebung, und sucht im Netz zusammen, was gebraucht wird.
Wie «Personal Web» funktionieren könnte, wurde anhand eines Autos demonstriert: Ein mit Personal Web ausgestattetes Auto lädt über GPS die Route herunter, schlägt Wege zum Ziel vor und berechnet den Benzinverbrauch. Bei Bedarf zeigt es den Weg zur nächsten Tankstelle und wird ein Service fällig, bucht es selbständig den Termin in der Garage. Der Fahrer wird eigentlich gar nicht mehr benötigt.
«Die Industrie ist ständig auf der Suche nach Lösungen», rief Gates aus, «In ganz Amerika arbeiten junge Unternehmen in ihren Garagen an neuartigen Technologien. Und in grossen Gebäude sitzen Anwälte im 20. Stock in ihren Büros und tun das, was sie am besten können…»
Lassen wir Bills Wehleidigkeiten. Mit seiner Vision hat er den Finger auf ein zentrales Thema der diesjährigen Herbst-Comdex gelegt: Die Entwicklungen rund um das Netz.
HP, Compaq und IBM haben zwar im Gegensatz zu früheren Jahren ihre diesbezüglichen Hardwareinnovationen (die wohl alle mehr oder weniger auf den iMac zurück gehen) bereits eine Woche vorher angekündigt. Ein fast allgegenwärtiges Thema waren die Internet Appliances (IA) auf der Comdex dennoch.
Microsoft stellte Hardwarepartner als Web Companion Alliance vor. Compaq zeigte eine IA mit dem Codename Clipper, eine Startrampe für Surfer und E-Mailer. Die meisten andern von Acer bis Philips mochten ebenfalls nicht abseits stehen. Die Experten gaben sich überzeugt, dass die IAs die PC-Industrie bis ins Mark erschüttern werden. IDC hörte bereits die Totenglocke für den PC läuten und schätzte den Verkauf von IAs und Handheld-Geräten im Jahre 2001 auf 18,5 Mio. Stück, gegenüber nur gerade 15,7 Mio. PCs.

Neues Business-Modell

Gekauft werden Internet Appliances in Zukunft allerdings kaum mehr bei den Herstellern. Diese hoffen nämlich auf Deals mit ISPs, Finanzdiensten, Portalen, Online Retailern und Media-Unternehmen. Von ihnen sollen die IAs (ähnlich wie die Handys durch die Telekom-Anbieter) günstig abgegeben werden, um ein Abo zu verkaufen oder Kundentreue zu belohnen.
Boundless Technology zeigt, was da auf uns zukommt. Der IA-Hersteller hat für seinen iBrow (Kein Kosmetikartikel, sondern eine IA mit 10 Zoll LCD-Bildschirm, kabellose Tastatur und Trackball, integriertes 56 K Modem, Streaming Video- und Java-Unterstützung, 128-bit Verschlüsselung) ein Musikunternehmen angelacht, das ab Januar 10’000 iBrows billigst an seine Kunden abgeben will. Das Unternehmen wird das Gerät vollständig personalisieren, mit einer Startpage und gesponserten Links. Der Besitzer kann mit dem Gerät im Web surfen und E-Mails lesen. Der integrierte Browser jedoch gehört der Musikfirma, die ihn jederzeit über das Netz updaten kann.
Die meisten Hersteller von IAs werden für solche zukunftsträchtige Deals allerdings noch einige Hürden nehmen und neue Geschäftsmodelle entwickeln müssen. Marc Warshawsky, verantwortlich für «Info Appliance Advanced Consumer Products» bei Compaq: «Wer behauptet, er wisse, wie dieses Modell aussehen wird, weiss nicht, wovon er spricht.» Und Daniel Stoller, Vizepräsident bei Internet Appliance Network, einer Gesellschaft, die als Vermittler zwischen Service Providern und Hardware-Herstellern auftritt: «Wir sind in einem so frühen Stadium des Spiels, dass die meisten sich noch nicht einmal einig sind, was eine Internet Appliance eigentlich ist.» Na, wer sagt’s denn? Alle aber sind überzeugt, dass die Tage der grauen Kisten gezählt sind. Nur will sich keiner darauf festlegen, wann es so weit sein wird. (fis)


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