Orbit/Comdex-Umfrage - Hoffnung auf den Aufschwung

Traditionsgemäss hat der IT Reseller nach der Orbit/Comdex im Rahmen einer Messe-Nachlese eine Umfrage unter den Ausstellern gemacht. Das Ergebnis: Die Unternehmen sind flautenmüde, hoffen auf den baldigen Aufschwung und die Veranstalter der Messe müssen sich etwas einfallen lassen, wenn die Orbit/Comdex im nächsten Jahr noch stattfinden soll.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2002/17

     

Schlenderte man als Besucher gemütlich durch die mässig gefüllten Hallen der diesjährigen Orbit/Comdex, hatte man nicht den Eindruck, wirklich Neues zu entdecken. Auch beim Anblick des Designs vieler Messestände schwappte man von einem Déja-vu zum nächsten.
Richtig viele Leute waren eigentlich nur am Roulette-Tisch bei Proact und bei einer Samsung-Produkteshow, bei der halbnackte Damen und Herren übers Parkett stolzierten, zu finden. Auch von Europa kaum eine Spur. Dafür hatte man stellenweise das Gefühl, man habe sich auf den Genfer Autosalon oder auf eine Harley Davidson-Ausstellung verirrt.
Doch die Stimmung nach der Orbit/Comdex 2002 ist gar nicht so trübsinnig, wie im Vorfeld der Messe befürchtet wurde. Das liegt vielleicht auch daran, dass die meisten Aussteller ihre Erwartungen von Anfang an auf ein bodennahes Niveau heruntergeschraubt haben. So haben zwar 54,3% der Befragten weniger Leads (zwischen 10 bis 40% weniger) als im letzten Jahr generiert, ausnahmslos alle befragten Unternehmen bezeichneten die Qualität dieser Leads aber als gut oder besser als 2001. 20% konnten gleich viele Leads wie an ihrem letzten Messeauftritt generieren, 25,7% legten dieses Jahr sogar zu.
Trotz massiv gesunkener Besucherzahlen (minus 36% im Vergleich zum Vorjahr), sind 65,6% mit der Qualität ihrer Besucher zufrieden, bei 31,3% sei diese sogar noch besser als im Vorjahr gewesen. «Aufgrund der Konjunkturschwäche investieren die Kunden klüger», so Denis Waechter von 3Com. Allerdings mussten satte 68,9% einen Besucherrückgang von teilweise bis zu 40% am eigenen Stand erleiden. Allein SAP konnte sich wie auch in den vergangenen Jahren kaum vor Besuchern retten, heisst es.
Und auch bei den SAP-Partnern soll es nicht schlecht gelaufen sein. Walter Landolt von SLI Consulting: «Trotz des enormen Besucherrückgangs haben wir einige interessante Gespräche zu Portalen und voreingestellten Branchenlösungen gehabt. Besonders hat uns gefreut, dass sich schon Interessenten für unseren neuen SAP UCC (Upgrade Cross Check) gemeldet haben.» SLI bietet zusammen mit HewlettPackard eine Kurzanalyse für einen bevorstehenden SAP-Releasewechsel an.
Auch Urs Dannenmann vom SAP Competence Center bei HP freute sich über die Nachfrage auf der Orbit: «Die Kunden benötigen fundierte Informationen für die Entscheidungsfindung. Die ersten Anfragen auf der Messe zeigen uns, dass wir mit dem UCC als neue Dienstleistung ins Schwarze getroffen haben – da kann man doch zufrieden sein.»

ERP, Security, Wireless top

Noch schlechter als im letzten Jahr steht es um die Investitionsbereitschaft der eigenen Kunden. Bewerteten nach der letzten Orbit/Comdex noch 44% der befragten Aussteller ihre Kunden auf einer Notenskala von eins bis sechs (1= Investitionsstopp; 6=sehr investitionsfreudig) mit der Note 4 für einigermassen investitionsfreudig, sind es in diesem Jahr nur noch 35,4%.
Der Anteil der Note fünf sank von 21% auf knapp 15%, die Note sechs wurde in diesem Jahr gar nicht mehr vergeben. Schnitten die Software / Softwareapplikations-Anbieter im letzten Jahr am schlechtesten ab, so ist der Kunde offensichtlich mittlerweile wieder vermehrt bereit in Software, speziell in ERP, zu investieren. Ebenfalls gefragt sind Wireless-Produkte. Dazu Frank Studerus: «Wir sind zufrieden.
ADSL und Wireless laufen, für andere Produkte fehlt das Interesse.» Heiss begehrt ist zudem alles rund ums Thema Security, wobei das Geschäft mit der Sicherheit nur indirekt von der wirtschaftlichen Lage geprägt sei und die Triebfedern vor allem im Sicherheitsbedürfnis und in der Angst lägen. Grundsätzlich wird festgestellt, dass die Kunden fundierter evaluieren und Investitionen Iangfristiger planen. Auch im Schweizer KMU sei eine Investitionsbereitschaft zu erkennen, wobei Projektrealisationen seitens der Kunden aber nicht als dringendst gewertet werden.

Aufschwung des Abschwungs

Um die Konjunktur in der Schweizer IT-Branche ist es schlecht bestellt, doch der Aufschwung kommt spätestens Mitte 2003. Das ist das Ergebnis auf unsere Frage wie die Aussteller generell die IT-Konjunktur nach dieser Orbit/Comdex einschätzen. 64,6% aller Befragten sind sich sicher, dass mit dem Aufschwung zwischen Dezember 02 und Sommer 03 zu rechnen ist. Bei 16,7% hat er gar schon begonnen und nur 18,7% (2001: 21%) sind pessimistisch und davon überzeugt, dass sich die Auftragslage weiterhin verschlechtern wird und ein Wiederaufschwung nicht absehbar ist.

Buyers Club

Der erstmals lancierte «Enterprise IT Buyers Club», eine Art Low-cost-Consulting hat laut den Initianten (Giga Group, Systor, L&W Marcom) nicht so viele Besucher angelockt, wie sie sich erhofft hatten. Es gäbe aber, so Peter Trost von Systor, eindeutige Indizien, dass ein Bedarf an derartigen Dienstleistungen bestehe. Grundsätzlich sei der Buyers Club eine gute Idee, man werde das Ganze aber, sollte es denn im nächsten Jahr wieder stattfinden, vereinfachen. One-to-One Beratungssitzungen hätten vornehmlich zu den Themen E-Business, CRM und EAI stattgefunden, so Trost.
Zumindest für den Systemintegrator Systor hätte der «Buyers Club» eine interessante Plattform geboten, um sich als Unternehmen zu präsentieren und neue Kunden kennenzulernen. Der zweitägige messbegleitende Kongress hingegen ist mit nur 950 Teilnehmern (letzter iEX-Kongress: 3000) und viel verbreiteter PR eher am Rande des Flops anzusiedeln.

Kritik an den Veranstaltern

In einem sind sich alle einig: Auch wenn IT-Messen heutzutage an Attraktivität verloren haben, ein Auslaufmodell sind sie deshalb noch nicht. Messen sind zur Kontaktpflege und –Knüpfung noch immer eine der besten Plattformen. Einig sind sich die Aussteller aber auch darin, dass die Messe Schweiz dringend etwas unternehmen muss, wenn sie die Orbit/Comdex auch in den kommenden Jahren noch ausrichten will.
Viele der Aussteller sind gewillt, an der nächsten Orbit wieder teilzunehmen, vorausgesetzt die Veranstalter überarbeiten ihr Konzept gründlich. Die folgenden Wortmeldungen einiger Aussteller sprechen für sich:
«Rund 41’000 Besucher gemäss Messe Schweiz ist ein klares Verdikt. Es steht ausser Zweifel, dass ein Messeeintrittspreis von 55 Franken viele schweizerische KMUs, und davon gibt es im Segment von 10-50 Mitarbeitern mehr als 300’000, ddavon abhält, nach Basel zu pilgern. Eine Überarbeitung des bestehenden Konzeptes ist dringend notwendig und wird auch von einem Gros der IT-Branche erwartet.» Marzio Tomasetto, Rotron.
«Die Messen sollten sich mehr auf Lösungen, statt auf Hardware ausrichten. Eventuell ersetzen wir die Orbit mit der Internet Expo.» Reto B. Camenzind, Arco Software.
«Ich denke, dass die Messeleitung der Orbit/Comdex über die Bücher gehen sollte, um herauszufinden, ob die aktuelle Strategie noch mit den Bedürfnissen konform geht.
Mike Stoeckli, asp4you.
«Für uns ist nicht verständlich, warum die Messe auf den sich anbahnenden Rückgang der Aussteller und damit auch der Besucher nicht frühzeitig reagiert und mit den Ausstellern rechtzeitig das Gespräch gesucht hat. Die getroffenen Massnahmen, z.B. Autos und Motorräder in der Halle 1, haben das Negative noch verstärkt und wirkten völlig deplaziert.» Ernst-Jan Tolen, RedIT.
«Sache des Veranstalters wird es sein, die Attraktivität für Aussteller zu verbessern. Eine etwas flexiblere Angebots-/Preisstruktur hätte bestimmt auch dieses Jahr für mehr Aussteller gesorgt.» Pascal Lisske, SDN.
«Die Messenachfrage ist abhängig vom Angebot. Grundsätzlich müssen dem Besucher (nicht nur durch die Aussteller) Attraktionen geboten werden, welche ihn wieder anlocken wie zum Beispiel täglich interessante Referate oder Foren.» Fredy Lustenberger, Legato.
«Der Marktplatz Fachmesse ist generell kein Auslaufmodell. Sie muss aber das ‘auf den Kunden zulaufen’ wieder lernen. Der Messeanbieter muss sich heute um kreativere, marktgerechtere Angebote für Aussteller bemühen und aktive Kundenaquisition- und pflege im Vorfeld und während der Messe vermehrt betreiben.» Markus Meister, Cashman.

180-Grad-Kehrtwende

Ein mögliches neues, altes Konzept kristallisiert sich in der Abschluss-Pressemitteilung der Messe Schweiz bereits heraus, da heisst es nämlich: «Zahlreiche Fachbesucher wie auch Aussteller haben dieses Jahr die Anbieter von hochwertigen Endverbraucher-Produkten vermisst. Das Zusammenschmelzen von Produkten und Lösungen im Bereich der Informationstechnologie und Unterhaltungselektronik nimmt rasant zu.
Dadurch verwischen sich die Grenzen zwischen geschäftlichen und privaten Anwendungen. Erklärtes Ziel der Messeleitung ist es deshalb, die Orbit/Comdex Europe auch für diese Unternehmen wiederum zu einer interessanten Plattform zu entwickeln.» Damit würden die Veranstalter ihre über zwei Jahre propagierte Business-Strategie, die sich nun endlich durchgesetzt zu haben scheint, selbst wieder zu Grabe getragen haben. (sk)


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