«Wenn du hier nicht richtig aufgestellt bist, dann bist ­du raus»
Quelle: Freyraum Marketing

«Wenn du hier nicht richtig aufgestellt bist, dann bist ­du raus»

Vor allem digitale Sichtbarkeit ist für IT-Dienstleister heute wichtiger denn je, sagen die ­Channel-Marketing-Experten Andreas Raum und Alexander Glatzeder im Interview. Andere ­Branchen wie der Automobilbereich sind dabei Vorbild.

Artikel erschienen in IT Reseller 2025/07

   

«IT Reseller»: Wie steht es heutzutage um das Marketing von IT-Dienstleistern im KMU-Bereich? Lange Zeit galt ja das Klischee, dass IT-Anbieter vor allem technisch versiert sind, aber das Marketing nur wenig Beachtung findet.
Andreas Raum:
Eine pauschale Antwort kann man hier kaum geben. Es gibt schon heute Systemhäuser, die wirklich ein sehr geiles Marketing machen. Und man kann dabei nicht konkret zuordnen, ob das jetzt kleine oder grosse Unternehmen sind. Auffällig ist aber, dass inzwischen immer mehr IT-Systemhäuser über Marketing nachdenken. Dabei hat die Motivation zwei Facetten. Erstens, dass die Unternehmen Neukunden brauchen, da sie in ihren bestehenden Netzwerken oft an Grenzen stossen. Die zweite Geschichte ist, dass bei vielen Systemhäusern immer wieder Herstellergelder verfallen. Ein Hersteller hatte uns vor einiger Zeit berichtet, dass teils nur 40 Prozent der bereitgestellten Gelder abgerufen werden. Diese Rate dürfte mittlerweile zwar deutlich höher sein, aber dennoch verfällt immer noch viel Kohle – und das tut Systemhäusern weh. Wenn ich eine Million Umsatz mit Dell mache und 5 Prozent davon erhalte ich als potenziellen Marketing-Zuschuss, dann macht das definitiv einen Unterschied.
Alexander Glatzeder: Die Krux ist dabei auch, dass sie ihren Partnerstatus verlieren beziehungsweise das bestehende Level nicht mehr halten können. Wir erleben aber schlicht sehr häufig, dass Systemhäuser strategische Themen wie das Marketing zur Seite legen, weil sie sich um das Tagesgeschäft kümmern müssen.

Das Tagesgeschäft ist also ein Punkt. Sprechen wir darüber hinaus von einer komplexer gewordenen Hersteller-Partner-Beziehung?
Andreas Raum:
Tatsächlich ist es so, dass die Hersteller erheblichen Druck auf die Systemhäuser ausüben, mehr zu machen. Denn die Hersteller wollen schneller wachsen, und das geht nur, wenn auch die Partner wachsen. Daher machen sie Druck, um ihre Ziele erfüllen zu können, und das ist oft alles andere als partnerfreundlich, sondern mit viel Eigennutz. Hinzu kommt der Aufwand. Früher hast du gesagt: «Wir machen eine Weihnachtsfeier», und der Hersteller hat sich gefreut, weil er noch WKZ loswerden konnte. Das ist heute nicht mehr so, die Hersteller haben ganz konkrete Anforderungen. Das muss heute compliant sein, man muss ein Reporting auf die Beine stellen, man muss im Vorfeld nachweisen, dass man vernünftig vorbereitet ist, dass man Leute einlädt und dass der Business-Charakter gegeben ist.


Warum sollten die IT-Dienstleister initial denn überhaupt in Marketing investieren, wenn sie in vielen Fällen ohnehin durch bestehende Kunden bereits am Anschlag arbeiten?
Alexander Glatzeder:
Sicher haben viele Systemhäuser heute mehr Aufträge, als sie bewältigen können, sie haben Personalnotstand et cetera. Aber nur weil das der Status quo ist, heisst es nicht, dass es morgen auch so sein wird. Es geht um die Ausrichtung für die Zukunft. Der Markt entwickelt sich weiter. Beispielsweise rückt der Zeitpunkt des ersten Telefonats immer weiter nach hinten. Wenn also – angefangen beim Internetauftritt – die gesamte Aussenkommunikation nicht richtig aufgestellt ist, dann werde ich perspektivisch eine geringere Relevanz haben. Das heisst, dass ich aus möglichen Projekten fliege, ohne dass ich es überhaupt weiss. Wenn meine Webseite nicht State-of-the-art ist, dann bin ich da überhaupt nicht erst dabei. Und dieser Wandel ist bereits am Laufen. Es gibt schon heute Kunden, von denen wir keine Telefondaten mehr haben. Da läuft alles über Slack, Teams oder Mail. Sie wollen nicht mehr telefonieren. Damit ändert sich der ganze Marketing- und Sales-Prozess. Und diese Entwicklung ist einfach vielen nicht bewusst.
Bekommen Unternehmen diese Projekte, in denen sie überhaupt nicht erst auf dem Schirm sind, schon heute zu spüren oder blicken wir in die Zukunft?
Andreas Raum:
Das sehen wir schon heute, beispielsweise bei AWS. Wenn du dich als IT-Dienstleister nicht um die Partnerschaft kümmerst und Sichtbarkeit schaffst, dann bekommst du viele Projekte einfach nicht, weil sie direkt über AWS laufen. Und das liegt nicht an AWS, das liegt auch nicht an dir, sondern das liegt daran, dass der Kunde überhaupt nicht auf die Idee kommt, mit dir zu sprechen, und dann direkt über den AWS-Marktplatz geht. Und das betrifft nicht nur die Infrastruktur, ähnliches gilt auch für den Security-Bereich. Viele Projekte laufen dann über einen anderen Kanal komplett am Channel vorbei. Diese Entwicklung ist bereits seit über zehn Jahren im Gange, aber nachdem das wirtschaftliche Wachstum jetzt schwächer wirkt, merken viele Unternehmen derzeit erstmals, dass etwas nicht stimmt. Hinzu kommt, dass sich viele Häuser vom Produktgeschäft weg entwickeln, hin zu Dienstleistungen. Auch daher wird das eigene Marketing immer wichtiger, weil du nicht mehr so stark im Herstellermarketing mitschwimmen kannst. Immerhin willst du für deine Dienstleistungen gesehen werden und nicht mehr nur für die Produkte. Die eigene Positionierung gewinnt somit an Bedeutung. Ein weiterer Aspekt ist, dass aktuell sehr viel Venture-Kohle im Markt ist und viele Systemhausverbünde durch Zukäufe immer grösser und stärker werden. Und die geben oft auch im Marketing ordentlich Gas. Vor allem für KMU-Systemhäuser, also mit 20 bis 50 Mitarbeitern, stellt sich hier die Frage: Wie werde ich noch gesehen? Denn die Kluft aus denen, die sich mit Marketing befassen, und denen, die das nicht tun, wird immer grösser.

Sie haben es schon angesprochen: Die eigene Webseite ist also das wichtigste Marketingwerkzeug heutzutage?
Alexander Glatzeder:
Ein Beispiel aus der Automobilbranche: Bevor ein Auto heute überhaupt bestellt wird, konfigurieren es Kunden vorab schon viele Male online. Vor 20 oder 30 Jahren bist du noch zu zehn verschiedenen Autohäusern gegangen und hast dir jedes Modell angeschaut. Heute stehen diese Informationen digital zur Verfügung. Du triffst die Entscheidung also vorab und schaust dir dann vielleicht noch die drei Autos an, die in die engere Wahl gekommen sind. Wenn du nicht ohnehin gleich online bestellst. An diesem Beispiel sieht man ganz klar, wo die Reise hingeht und welche Bedeutung Webseiten perspektivisch bekommen. Und das gilt auch für den IT-Channel. Wenn du hier nicht richtig aufgestellt bist, deine Prozesse nicht stimmig sind, dann bist du raus. Und das wie gesagt: oft, ohne dass du es aktiv bemerkst.


Aber gilt das auch für komplexere Lösungen? Lassen sich diese über ein paar Zeilen auf der Website vermarkten?
Alexander Glatzeder:
Absolut, wir sind der Meinung, dass sich auch sehr komplexe, anspruchsvolle Themen exzellent digital vermarkten lassen. Ein plakatives Beispiel sind CRM-Systeme. Früher waren das teils absurde Projekte, heute kannst du das ganz einfach online buchen, ohne überhaupt mit jemandem zu sprechen. Die Systeme kann man sich in der Cloud selbst zusammenschustern, individuell, an den eigenen Anforderungen ausgerichtet. Im Backup-Bereich ist das ebenfalls schon seit Jahren der Status quo. Wenn wir das aber bei potenziellen Kunden erklären, dann hören wir sehr häufig, dass das vielleicht in den USA und in Asien schon so ist. Aber Europa tickt anders. Das ist eine dramatische Fehlannahme. Es kann zwar sein, dass wir in Europa etwas länger brauchen. Aber es handelt sich um eine globale Entwicklung und vor dieser kann man sich auch hier nicht verschliessen. Der Automobilsektor ist dafür das beste Beispiel.
Wird dieser Wandel auch durch die angesprochene Transformation zu Services und Managed Services getrieben? Was ändert sich damit im Marketing?
Andreas Raum:
Es ändert sich das gesamte Toolset. Man muss die eigenen Leistungen anders vermitteln. Es geht weg von den ganzen Produktfeatures, die wandern vielleicht irgendwo in eine Tabelle. Stattdessen musst du aufzeigen, was du machst, was du bietest, was dich auszeichnet und was der Kunde bekommt, wenn er mit dir zusammenarbeitet. Du musst Dienstleistungen ohne stundenlange Erklärung verkaufbar machen. Der potenzielle Kunde muss das lesen und sagen: «Das ist interessant, das kaufe ich». Es gilt also, viel stärker aus Kundensicht auf die Themen zu schauen und viel weniger aus Technologiesicht. Aber damit tun sich die Techies erfahrungsgemäss am schwersten. In Summe ist gutes Marketing heute online und total vertriebsnah. Das hängt auch viel mit den Generationen zusammen. Wenn jüngere Leute IT-Leiter werden, sind sie viel stärker auf Online-Prozesse ausgerichtet und somit verschiebt sich langsam die gesamte Diskussion.

Und was muss ich als IT-Dienstleister mit 20 Mitarbeitenden nun machen? Welche Optionen habe ich? Eigenes Marketing-Team aufbauen oder lieber externe Unterstützung suchen?
Andreas Raum:
Die allergrösste Schwierigkeit ist tatsächlich, die Relevanz und die Notwendigkeit zu erkennen. Die nächste Herausforderung ist, dass es dann auch einer machen muss. Die einen stellen einen Grafikdesigner ein oder suchen sich Unterstützung im eigenen Umfeld, kürzlich haben wir mit einem Geschäftsführer gesprochen, bei dem das jetzt die Tochter übernimmt, weil sie sich ja mit Social Media auskennt. Und das ist gut, es ist ein erster Schritt. Andere sprechen wieder mit klassischen Werbeagenturen. Aber das ist aus unserer Sicht wiederum nicht produktiv. Zum einen liegt deren Fokus nicht auf den Online-Geschichten, da Werbeagenturen nicht in Call to Action denken und dass man Sachen konvertierbar macht. Und zum anderen verstehen sie das Business, also das Systemhausgeschäft nicht. Das ist das grösste Problem. Denn so sieht dann häufig auch das Marketing aus. Aber in Summe ist auch das besser, als nichts zu machen. Denn am wichtigsten ist, die Relevanz zu erkennen und anzufangen, eine Lösung zu finden. Die Feinheiten folgen dann.
Alexander Glatzeder: Genau, Relevanz erkennen, das passende Mindset entwickeln und das Ganze am Ende des Tages als Bestandteil der Unternehmensstrategie entwickeln und mitentwickeln. Denn das Marketing muss mit dem Unternehmen mitwachsen, damit es im Tagesgeschäft nicht wieder aufgefressen wird. Damit haben wir tatsächlich wirklich häufig zu kämpfen.
Andreas Raum: Und dann ist es wieder wichtig, auch die Herstellerbudgets zu nutzen. Marketing ist nicht immer nur ein eigener Invest. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, etwas gemeinsam mit den Herstellern auf die Beine zu stellen, Vorlagen zu nutzen und diese so umzubauen, dass sie zu deiner Botschaft werden, aber der Hersteller noch präsent ist und somit alles abrechnungsfähig bleibt. Aber auch dafür braucht es jemanden, der sich darum kümmert. Denn wenn du mit fünf grossen Herstellern unterwegs bist, dann hast du auch fünf Partnerportale, meist überbordend mit schlecht organisiertem Material. Manche Hersteller und Distributoren haben zwar Ansprechpartner für genau diese Themen, um Partner an die Hand zu nehmen. Aber du brauchst letztlich eine Person im Unternehmen, die das aktiv steuert.


Ein bisschen Marketing mal schnell nebenbei ist also nicht möglich?
Andreas Raum:
Das ist ganz schwierig. Viel Zeit bleibt einer Person neben diesen Marketing-Aufgaben nicht mehr. Was oft nebenbei läuft, das sind Telemarketing-Aktionen, die zwar nichts bringen, aber die man halt abrechnet, weil es abrechenbar ist. Dabei ist die Situation in der Schweiz noch besser als beispielsweise in Deutschland. Hier gehen die Unternehmen wenigstens noch ans Telefon. Aber auch das ändert sich und die Ergebnisse werden schlechter. Denn oft befinden sich in den Adressbeständen immer dieselben Unternehmen, immer dieselben Ansprechpartner.
Alexander Glatzeder: Die Quintessenz: Telemarketing funktioniert zunehmend weniger, die Quoten werden schlechter und es wird immer teurer. Gleichzeitig ist Telemarketing in der IT-Branche heute aber noch überall gesetzt. Wenn du mit vielen Herstellern marketingtechnisch etwas machen willst, dann mündet es am Ende grundsätzlich in Telemarketing. Darüber könnten wir Bücher schreiben.
Wie können sich IT-Dienstleister also differenzieren? Immerhin gibt es links und rechts einige Wettbewerber. Lassen sich im Marketing überhaupt Alleinstellungsmerkmale herausarbeiten?
Andreas Raum:
Klar, du arbeitest ja immer ein bisschen anders als deine Mitbewerber. Das musst du rausstellen. Denn wenn du sagst, dass sowieso alle dasselbe machen, hast du schon verloren. Und wenn du die Unterschiede nicht kennst, dann frag mal deinen Kunden, warum er genau mit dir zusammenarbeitet.
Alexander Glatzeder: Da hilft aber natürlich auch ein Blick von aussen, von Beratern, die aus der Distanz die richtigen Fragen stellen und so Mehrwerte herausarbeiten. Darauf kann man dann auch sehr gut aufbauen und die eigene Strategie weiterentwickeln.

Ist gutes Marketing am Ende also individuell am Unternehmen ausgerichtet oder gibt es auch allgemeingültige Antworten?
Andreas Raum:
Gutes Marketing ist ganz klar der Blick durch die Brille deines Kunden. Es sollte vor allem online sein, es braucht Call-to-actions, also eine gute Verzahnung von Marketing und Vertrieb, und die Botschaft sollte nicht einfach nur eine Werbebotschaft sein. Du willst ja informieren und die Probleme des Kunden lösen – und von dort braucht es dann einen kurzen Weg zum Gesprächstermin oder zum Angebot. Und das am besten möglichst automatisiert.
Alexander Glatzeder: Was es definitiv nicht braucht, das sind Formulare.


Formulare?
Alexander Glatzeder:
Genau, Kontaktformulare. Du brauchst stattdessen einen Prozess, der in irgendeiner Form in einem Angebot oder einer Entscheidungsvorlage mündet. Das kann beispielsweise ein Terminvorschlag für ein Vertriebsgespräch sein, ein integriertes Kalender-Tool oder Unterlagen mit Empfehlungen für die nächsten Schritte. Es geht darum zu hinterfragen, mit was Kunden wirklich etwas anfangen können.

Wie ist der Status quo? Findet bereits eine Entwicklung in diese Richtung im Channel statt?
Andreas Raum:
Es findet definitiv eine Professionalisierung statt. Und je jünger die Unternehmen sind, umso professioneller sind sie oft. Teils ist es dann eine Frage des Generationenwechsels. Es ist aber auf jeden Fall entscheidend, nicht den Anschluss zu verlieren. Denn wenn sich die ganze Geschichte erst mal in den Zahlen niederschlägt, dann ist es erheblich schwerer, den Laden wieder zu drehen.


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welche Farbe hatte Rotkäppchens Kappe?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER