Ausschreibungen im strikten Regelkorsett

Öffentliche Ausschreibungen sind hochbürokratisch, oft kompliziert und aufwendig für die offerierende Seite. Dennoch sind Aufträge der öffentlichen Hand attraktiv, weil es sich oft um grosse und langfristige Aufträge handelt. Offertenprofi und "Swiss IT Reseller"-Kolumnist Christopher S. Kälin bringt Licht ins Dunkel.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2019/04

     

Wenn es um Ausschreibungen und Offerten geht, ist die öffentliche Hand ein Auftraggeber mit Sonderstatus. Dementsprechend unterscheiden sich die Offerten für die öffentliche Hand auf der Anbieterseite massgeblich von den üblichen Angebotsprozessen. Christopher S. Kälin, Gründer und Managing Partner des Beratungsunternehmens CSK Management, kann auf viele Jahre Erfahrung mit Ausschreibungen der öffentlichen Hand zurückblicken und erläutert im Gespräch mit "Swiss IT Reseller" den Spezialfall öffentliche Beschaffung aus der Sicht des Offerierenden.


Kenne die Regeln

Die grösste Herausforderung für Anbieter, die sich ein Stück des öffentlichen Beschaffungskuchens abschneiden wollen, sei "das Kennen der Regeln", wie der Offertenprofi erklärt. Kälin gibt zu verstehen, dass es bei der öffentlichen Hand als Auftraggeber Regeln gibt, die sich von den Rahmenbedingungen im privatwirtschaftlichen Offertengeschäft deutlich unterscheiden und dass Anbietern, die diese Regeln nicht kennen, wenig Chancen bleiben. "Öffentliche Ausschreibungen finden aufgrund der gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB), in einem engen Korsett statt", erklärt Kälin. Die Regeln seien prinzipiell aber nicht schwierig einzuhalten, wenn man sie denn kenne. Regelkonformität wie etwa das banale Einhalten des Abgabetermins würden zur Pflicht gehören. "Wenn man auch nur eine Minute zu spät abgibt, ist man draussen. Die strikte Einhaltung dieser Regeln ist daher absolut zwingend." Grund dafür ist die Rechenschaftspflicht, der die öffentliche Hand unterliegt, wie Kälin weiter ausführt: "Wenn der Ausschreibende ­einen Punkt als zwingend definiert, ist er das auch. Würden sich die Behörden selbst nicht an diesen Grundsatz halten, würden sie angreifbar." Ein beispielhafter Stolperstein ist etwa das Offerieren von Zusatz- und Nebenangeboten. Wenn die Ausschreibung das Abgeben von Nebenangeboten untersagt, sei das strikte einzuhalten. Es können dann also nicht, wie in normalen Offerten- und Sales-Prozessen, sinnvollere Alternativen angeboten werden, sonst drohe der Ausschluss aus dem Verfahren.
Besonders bei kleinen Anbietern sieht Kälin deshalb Aufholbedarf: "Das Regelkorsett dieser Ausschreibungen ist viel stärker, strikter und unter Umständen tödlich. Das haben noch nicht alle Anbieter verstanden, besonders die kleineren nicht. Die grösseren Unternehmen, die regelmässig an diesen Ausschreibungen teilnehmen, wissen das alles, aber gerade kleinere Anbieter mit weniger Routine stolpern hierbei regelmässig."


Die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema öffentliche Ausschreibungen ist daher Pflichtprogramm für den Anbieter, der sich in diese Gefilde wagen will, so der Experte. "Ich denke, dass man sich einfach einmal vertieft mit dem Regelwerk auseinandersetzen muss", erklärt Kälin. Sein Rat, wo man am besten damit beginnen sollte, folgt sogleich: "Das BBL (Bundesamt für Bauten und Logistik, der grösste Auftraggeber im öffentlichen Sektor, Anm. d. Red.) führt einen jährlichen Info-Event durch, in dessen Rahmen das gesamte Prozedere um öffentliche Aufträge ausgezeichnet erklärt wird. Das gibt eine gute Basis." Während einem Nachmittag werden die Teilnehmer zur Gesetzeslage auf kantonaler und Bundesebene informiert und über den Ablauf der Ausschreibungen sowie mögliche Fallstricke aufgeklärt. "Ein super Event für den Start, den ich jedem empfehlen kann", so Kälin.

Kommunikation ist alles

Als besonderes Element jeder Angebotserstellung hebt der Experte die Formulierung eines attraktiven Angebotstextes hervor. Da ist etwa die Tatsache, dass sich der Anbieter trotz aller bürokratischen Hürden und der amtlichen Sprache letztlich noch immer in einem regulären Verkaufsprozess befindet. Kälin: "Viele Anbieter verfallen in ein Frage-Antwort-­Spiel und beginnen nur noch trocken Fragen zu beantworten, damit sie beantwortet sind. Damit ist man zwar schön vergleichbar, hebt sich aber nicht mehr von der Konkurrenz ab. Das heisst, dass man neben dem ausschreibungskonformen Beantworten der Fragen durchaus trotzdem auf Nutzen und Vorteile hinweisen und diese attraktiv darstellen sollte. Am Ende ist es schliesslich immer noch ein Verkaufsdokument." Wenn eine Behörde etwa Laptops mit entspiegelten Bildschirmen ausschreibt, wäre die einfache Bestätigung der Entspiegelung zwar korrekt, aber verkaufstechnisch schwach, so Kälin. "Wenn wir aber anfügen, dass die angebotenen Bildschirme bei einem Test in Sachen Entspiegelung Bestnoten erzielt haben, dann wird das Angebot glaubwürdiger. Damit steigen Vertrauen und Sympathie des Lesers, was zu zusätzlichen Punkten in den subjektiven Zuschlagskriterien führen kann." Auch in öffentlichen Ausschreibungen gäbe es in den allermeisten Fällen subjektive Kriterien, die es als Anbieter bestmöglich zu verkaufen gilt. In den seltenen Fällen, in denen das nicht zutreffe, würde man sich ohnehin im Commodity-Bereich bewegen, wo sich alles über den Preis definiere, resümiert Kälin.
Auch die Kommunikation mit dem Kunden und die vorgängige Information über die Kundensituation ist bei der öffentlichen Hand nicht mit der Privatwirtschaft vergleichbar: "Bei öffentlichen Ausschreibungen ist es typischerweise streng geregelt, dass nur mit dem Einkäufer oder der ausschreibenden Beschaffungsstelle kommuniziert werden darf." Dies geschieht, damit sich die Beschaffer vor der Einflussnahme auf User und Entscheidungsträger schützen können und um die Fairness innerhalb des Anbieterfeldes zu wahren. Diese sehen sich aufgrund dessen einer grossen Herausforderung ausgesetzt, wie Kälin erklärt: "Eine bestehende Kundenbeziehung ist die Grundlage für jedes attraktive Angebot. Wenn man einzig die Ausschreibung vor sich hat, ist der Informationsstand und das Verständnis für die Kundenbedürfnisse in der Regel nicht ausreichend, um ein überzeugendes Angebot zu erstellen." Zwei Statements, welche logischerweise in einem grossen Problem resultieren. Das Dilemma, ob man als Anbieter ohne Hintergrundinformationen zur Kundensituation, bestehenden Anbietern und anderen Spezifikationen überhaupt eine Offerte einreichen sollte oder ob man – entgegen der Regeln – den Kontakt vorbei am offiziellen Beschaffer zum Endkunden suchen sollte, ist heikel. "In meinen Augen ist die Hemmung, den Anbieter trotzdem zu kontaktieren, zu hoch", sagt Kälin und fügt an, dass er ein Einreichen der Offerte ohne Zusatzinformationen oft als nicht zielführend erachtet: "Entweder verzichtet man auf die Angebotsabgabe oder man erhöht seinen Informationsstand mit einem kleinen Regelverstoss und steigert aber damit die Angebotsqualität extrem. Der Regelverstoss wiederum beinhaltet die Gefahr, ganz aus dem Verfahren ausgeschlossen zu werden. Wenn man aber mit Fingerspitzengefühl vorgeht, wird einem erfahrungsgemäss im schlimmsten Fall der Hörer aufgelegt. So ist es ein Abwägen zwischen der Chance, wesentliche Zusatzinformationen zu erhalten, und dem Risiko, ausgeschlossen zu werden."

Kompetenzdefizite auf beiden Seiten

Kälin bezeichnet die öffentliche Beschaffung als "Problemzone" mit Kompetenzdefiziten sowohl auf der Anbieter- wie auch auf der Vergabeseite. Auf der Vergabeseite sieht er die Crux vor allem bei den Ausschreibungen selbst, die oft zu wünschen übrig lassen. "Bei den Vergabestellen ist das grosse Problem die oft fehlende Ausschreibungskompetenz, hier sind die Unterschiede enorm. Es gibt durchaus Beschaffungsstellen, die ihre Aufgabe sensationell machen – eine kürzliche SBB-Ausschreibung wäre ein solches Beispiel. Andere Ausschreibungen sind aber schlicht haarsträubend und die beschaffende Stelle tut sich damit auch keinen Gefallen", so Kälin, "Mit diesem Umstand muss der Anbieter umgehen können". Die teils hohen technischen Anforderungen in der IT führen, so Kälin, oft dazu, dass die Vergabestellen die gewünschte Lösung hoffnungslos überspezifizieren und den Anbietern ein sauberes Offerieren dadurch verunmöglichen. Kälin verbildlicht das Problem anhand eines Beispiels: "Bei einer Ausschreibung vor einigen Jahren auf Bundes­bene gab es im Pflichtenheft 540 technische Spezifikationen. In einer Bundesausschreibung sind das automatisch Pflichtkriterien. Wenn ein Anbieter nun nur 539 dieser Anforderungen erfüllt, darf er in der Theorie nicht anbieten und fällt aus dem Angebotsprozess – damit standen die Anbieter in der Praxis vor der unschönen Entscheidung mit drei Optionen, entweder den Ausschreibungsprozess zu rügen (und damit die Hand zu beissen, die einen füttert), nicht anzubieten (und damit alle Chancen auf Umsatz zu vernichten) oder einfach zu schummeln. Statt als technische Spezifikationen (=Pflichtkriterien) müssten die relevanten Punkte einfach als Zuschlagskriterien ein grosses Gewicht bekommen. Das ist einer der klassischen Fehler, der vielen Beschaffungsstellen passiert."
Auch würden vor allem kleinere Organisationen, wie etwa Gemeinden, des Öfteren unsinnige Kriterien in die Ausschreibungen aufnehmen. "Das kann man einer Gemeinde nicht übelnehmen. Das Wissen, wie man eine gute Ausschreibung macht, ist bei den Behörden teilweise einfach nicht vorhanden", erklärt Kälin. "Gesetzliches Know-how und wichtige Themen wie Lieferanten-Management sind bei den öffentlichen Beschaffungsstellen ziemlich gut, die Mitarbeiter haben aber im Schnitt zu wenig Know-how, was die eigentliche Ausschreibungsgestaltung angeht." Für den Anbieter bedeutet das aber auch, bei schwachen Ausschreibungen in der Fragerunde die richtigen Fragen zu stellen oder vielleicht dann doch ganz auf die Angebotsabgabe zu verzichten. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Verdacht besteht, dass es sich um eine Pseudo-Ausschreibung handeln könnte. In der öffentlichen Beschaffung käme es regelmässig zu solchen Ausschreibungen. Aufträge also, die nur ausgeschrieben werden, weil dies von Gesetzes wegen aufgrund der Schwellenwerte verlangt ist. Kälin ist überzeugt, dass dies deutlich öfter vorkommt, als es die im Prinzip auf Fairness auszurichtenden Ausschreibungen vermuten lassen: "Meine Schätzung ist, dass bei über 40 Prozent der Ausschreibungen schon eine klare Anbieterpräferenz besteht." Eine happige Zahl – der Profi rät dazu, in solchen Fällen keine Offerte einzureichen. "Das sind keine Ausschreibungen, bei denen es um Wettbewerb geht", macht Kälin klar und fügt an: "Ein Indikator dafür ist, wenn die Ausschreibung wunderbar auf den bestehenden Anbieter passt. Dieser hat bisher wahrscheinlich einen guten Job gemacht und wird daher vom Kunden bevorzugt. In der Folge werden die Spezifikationen somit bewusst oder unbewusst so formuliert, dass dieser gut abschneidet. Ein zweiter Indikator ist eine sehr kurze Zeit für die Beantwortung des Pflichtenhefts. Dies ist ein möglicher Hinweis, dass der bevorzugte Anbieter die notwendigen Informationen schon kennt und daher in der kurzen Zeit ein attraktiveres Angebot ausarbeiten kann."

Offerieren oder nicht?

Öffentliche Ausschreibungen sind kein leichtes Pflaster, wie aus den Ausführungen des Experten hervorgeht. Trotzdem seien die Aufträge meist lohnend und der Einstieg in öffentliche Ausschreibungen grundsätzlich attraktiv. Wenn bei einem ausgeschriebenen Auftrag keine Anzeichen einer Scheinausschreibung erkannt werden können und die Regeln für den Anbieter klar sind, so empfiehlt Kälin, das Abenteuer öffentliche Beschaffung zu wagen: "Öffentliche Stellen als Auftraggeber sind grundsätzlich sehr attraktiv – sie haben eine gute Zahlungsmoral, sind finanziell stabil und die Aufträge sind tendenziell gross. Wenn man diese Ausschreibungen angehen will, muss man sich der Regeln bewusst sein und sehr selektiv vorgehen. Aber grundsätzlich empfehle ich einen Einstieg in diesen attraktiven Markt natürlich."

Über Christopher S. Kälin

Christopher S. Kälin ist Gründer und Managing Partner bei CSK Management, wo er mit On-site Coaching, Proposal-Management-Trainings und Prozessberatung Unternehmenskunden unterstützt. Zu seinen Kunden gehören grosse und kleine Unternehmen aller Branchen sowie das Who is Who der IT-Welt. Er ist der Autor des Standardwerks "Das grosse Bid-Management-Kompendium" und wurde 2013 von APMP mit dem prestigeträchtigen Fellow Award ausgezeichnet. Er verfügt über einen Hochschulabschluss in Wirtschaft und Wirtschaftsinformatik der Universität Zürich und schreibt regelmässig Kolumnen für "Swiss IT Reseller". (win)


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