Windows XP, Microsofts siamesischer Zwilling

Während Microsoft Windows XP als das beste Betriebssystem aller Zeiten bezeichnet, erheben Gegner neue Kartellvorwürfe gegen den Software-Giganten.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/10

     

Eben erst wurde bekannt, dass Windows XP am 25. Oktober 2001 weltweit ausgeliefert wird, und schon melden sich die Kritiker zu Wort. Auf den Plan gerufen hat sie nicht nur die Meldepflicht (erst wenn der Kunde Windows XP bei Microsoft angemeldet hat, läuft das System unbeschränkt), sondern auch die Bündelung mit verschiedenen Features.
Windows XP soll etwa eine Firewall enthalten, Remote Access Werkzeuge, einen integrierten Media Player mit der Möglichkeit, CDs zu brennen und DVDs abzuspielen, Video- und Photo-Bearbeitungskapazitäten, sowie Unterstützung für kabellose und Breitbandnetzwerke.
Das weckt Erinnerungen daran, wie Microsoft 1996 Windows mit dem Explorer bündelte und so den Browserkrieg gegen Netscape für sich entscheiden konnte. Es war aber auch der Anlass für das Antitrust-Verfahren, das noch immer nicht abgeschlossen ist. Procomp, ein Verband von Microsoft-Gegnern wie Netscape, Sun, Corel und Oracle, erhebt nun neue Kartellvorwürfe und lässt verlauten, die Anwendungen seien «wie ein achtköpfiger siamesischer Zwilling» mit dem Betriebssystem verbunden.
Manche der Features sind dem Vernehmen nach allerdings den entsprechenden Drittprodukten so unterlegen, dass Analysten und Softwarehersteller darin weniger ein heraufziehendes Ungemach für Dritthersteller sehen, als eine Anregung deren Produkte zu kaufen. Andere allerdings vermuten, dass sich viele Anwender mit den gebotenen Leistungen und Standards begnügen werden.

Cui bono - wem nützt’s?

Zu den Drittherstellern, die von den Features profitieren, gehören nach Meinung der Analysten vor allem bestimmte Hardware-Firmen. Die integrierte Video- und Fotobearbeitung etwa dürfte den Verkauf von digitalen Kameras und Videorecordern ankurbeln. Die Unterstützung von kabellosen Verbindungen könnte den Anbietern entsprechender Geräte gelegen kommen.
Anderseits glaubt Frank Gillett von Forrester Research, dass die integrierte Firewall und die Breitbandanschlüsse den Herstellern von Routern und anderem Heimnetzwerkzubehör Kopfzerbrechen bereiten werden.
Die meisten Hersteller geben sich jedoch – zumindest öffentlich – gelassen. Tom Powledge, Product Manager für Sicherheitsprodukte bei Symantec, meint: «Wenn man sieht, was Microsoft in der Vergangenheit in sein Betriebssystem integriert hat, so ergab sich immer ein Bedarf an weiterführenden Produkten. Wir jedenfalls werden uns behaupten, indem wir technisch besser und näher an den Kundenbedürfnissen sind.»

Multimedia als Verlockung?

Der neue Windows Media Player 8 gab zu reden, weil er nur zusammen mit Windows XP erhältlich sein wird. Microsoft argumentiert, dass er auf bestimmte Bestandteile des Betriebssystems angewiesen sei. Aussenstehende vermuten dagegen, dass Microsoft auf diese Weise den Umstieg für Heimanwender verlockender machen will.
Die Software für das CD-Brennen stammt ursprünglich von Roxio. Tom Shea, COO des Unternehmens, sagt: «Was Microsoft von uns übernommen hat, ist eine sehr limitierte CD-Brenn-Engine, die sie in ihren File Manager und einige Anwendungen integrierten.» Shea sieht in den beschränkten Fähigkeiten ein «Upgrade-Potential, das dem Flagschiff unserer Firma, CD Creator 5, zugute kommen wird.»
Andere Unternehmen wie Realnetworks oder Apple mit Quicktime dürften an den Streaming Video- und Audio-Fähigkeiten von Windows Media Player weniger Freude haben. Doch Steve Banfield, General Manager für Realnetworks Consumer Produkte, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: «Microsoft hat den Media Player bereits früher mit Windows ausgeliefert. Trotzdem laufen Streaming Medien im Web noch immer zu 85 Prozent in unserem Format.»
Dass die Gefahr vorläufig nicht überbewertet wird, hängt wohl auch damit zusammen, dass Windows Media Audio (WMA) anstelle der bei MP3 typischen 128 kps nur gerade 56 kps bietet. Mit dieser mickrigen Qualität dürfte WMA nach Meinung der Fachleute den populären MP3-Standard nicht so schnell ablösen.
Für DVD bietet der neue Media Player ausgeklügelte Bedienungselemente und ein sauberes Vollbild, jedoch keinen Decoder. Windows XP-Anwender werden auf Software von Drittherstellern angewiesen sein, damit der Media Player seinen DVD-Dienst tut.
Shawn Sanford, Product Manager Windows bei Microsoft, rechtfertigt dies damit, dass die PC-Hersteller meist sowieso einen DVD-Decoder mitliefern würden. Doch das gleiche liesse sich auch von der CD-Brenn-Software sagen. Das Problem liegt offenbar eher daran, dasss mit DVD-Decodern eine Lizenzgebühr verbunden ist. Und die möchte Microsoft natürlich wenn immer möglich vermeiden…

Balmer: «Rot anstreichen!»

Windows XP kommt in zwei Editionen: Windows XP Home ist auf die Bedürfnisse von Heimanwendern abgestimmt, während Windows XP Professional für den Einsatz in Unternehmen konzipiert ist. Beide Versionen fussen auf dem Code von Windows NT/2000 und sind damit gegenüber den älteren Heim-Versionen weniger absturzgefährdet.
Die Analysten vermuten, dass die Heim-Version im Herbst relativ schnell Verbreitung finden wird, nicht zuletzt wegen der Multimedia-Fähigkeiten.
Im Business-Bereich, sagen sie voraus, werden wohl viele Firmen das erste Service Pack abwarten, bevor sie umstellen. Bei Windows 2000 war ähnliches zu beobachten. Damals lief die Umstellung nur im Notebook-Markt sofort an, wo die Vorteile gegenüber NT klar ersichtlich waren.
Über Preise redet man bei Microsoft noch nicht. Dennoch empfiehlt CEO Steve Balmer, den 25. Oktober 2001 bereits jetzt im Kalender rot anzustreichen: «Windows XP ist das beste Microsoft Betriebssystem aller Zeiten, und unsere Partner werden alles daran setzen, diese neue Computererfahrung allen Anwendern weltweit zugänglich zu machen.» (fis)


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